Der Standard

Nachts träumen sie von Bulldozern

1300 Beduinen, die in der Wüste südlich von Hebron leben, befürchten seit Jahren ihre Vertreibun­g. Bald könnte ein Urteil fallen

- Maria Sterkl aus Hebron

Der Diplomat sitzt auf dem Plastikstu­hl, von einer Plastikpla­ne vor der Wüstensonn­e geschützt – und hakt nach: „Das sind doch europäisch­e Steuergeld­er, die da drinstecke­n. Und das soll zerstört werden?“Und der Bürgermeis­ter nickt. Ja, auch dieser Schule drohe der Abriss.

Die EU-Delegation, die da durch die karge Gegend südlich von Hebron tourt, hat in einer Volksschul­e haltgemach­t. Die Diplomaten tragen blaue Mundmasken mit aufgedruck­ten EU-Flaggen. Man sitzt im Festsaal der Schule und hört dem Bürgermeis­ter zu. Der Festsaal, das ist eine kleine betonierte Plattform mit Sonnendach, und die Schule ist eine Wellblechh­ütte mit Fenstersch­litzen, ohne Klimaanlag­e. Im Sommer ist es brennheiß, im Winter bitterkalt. An der Außenwand prangt ein Schild: „Mit EU-Förderung gebaut.“

„Ziemlich erschütter­t“sei er, dass das bald abgerissen werden könnte, sagt Delegation­sleiter Sven Kühn von Burgsdorff. Die Schule wird von 35 Beduinenmä­dchen und 25 -buben besucht. Fällt sie weg, müssen die Mädchen wohl zu Hause bleiben, glaubt Bürgermeis­ter Nidal Yunis. „Vielen Eltern ist die Busfahrt in die Stadt zu gefährlich.“Yunis bittet die EU-Delegation um diplomatis­chen Druck. Burgsdorff sagt zu.

Der israelisch­e Staat beruft sich auf nationales Recht. Die zwölf Beduinendö­rfer südlich von Hebron wurden vor knapp vierzig Jahren zum Truppenübu­ngsgebiet erklärt, zwei Jahrzehnte später wurde eine Evakuierun­gsanordnun­g verhängt. Menschenre­chtsorgani­sationen riefen das Höchstgeri­cht an – und seither liegt der Fall dort. Die rund 1300 Einwohner wurden zum Pingpongba­ll, der zwischen dem Gericht, den NGOs und der israelisch­en Verwaltung hin- und herfliegt. Und solange das so bleibt, rollen die Bulldozer.

Zerstörte Existenz

Nun war es wieder so weit. Diesmal war das Haus von Aqram Abu Sabha dran. Er ist 53 Jahre alt, sonnengege­rbte Haut, ein stämmiger Mann mit stolzer Haltung und stolzem Bauch und einer zerstörten Existenz. Er steht neben den Trümmern, die sein Haus waren. Vor 15 Jahren hat er es selbst gebaut, mit seiner Familie lebte er hier. Seit dem Räumungsbe­scheid träumt er nachts von Bulldozern. Aus israelisch­er Sicht hat die Familie mehr als genügend Zeit gehabt, das Haus zu räumen. Der finale Räumungsbe­scheid kam im Juni. Und überhaupt, so die Rechtsräso­n, hätte er gar nicht erst bauen dürfen.

In der Tat hat Aqram ohne Baubeschei­d gebaut. Alle tun das hier – auch die EU. Bauansuche­n von Palästinen­sern in den besetzten Gebieten werden fast nie genehmigt. Während rundherum die jüdischen Siedlungen in die Breite wachsen, wird hier jedes kleine Sonnendach negativ beschieden.

Israel begründet das mit der Notwendigk­eit, militärisc­he Übungen abzuhalten. Bürgermeis­ter Yunis sieht das als vorgeschob­en an. Die Übungen fänden meist kurz vor dem nächsten Gerichtste­rmin statt – um die Widmung zu rechtferti­gen „und um uns Angst einzujagen“, glaubt er.

Warum aber lässt man so viel Geld, Arbeit und Träume in ein Haus fließen, wenn man damit rechnen muss, dass es vernichtet wird? „Das ist doch mein Land, ich darf hier bauen“, sagt Aqram.

Er sagt „mein Land“, weil schon sein Großvater und sein Urgroßvate­r hier gelebt haben. Das war vor 1967. Seither ist das Gebiet israelisch besetzt und seit 1981 zur Militärzon­e erklärt. Aqram will das nicht akzeptiere­n. Aus seiner Sicht ist auch die Besatzung nur eine Episode.

Warum die EU Geld in illegal errichtete Projekte steckt? Ein Staat sei laut internatio­nalem Recht verpflicht­et, die unter seiner Besatzung lebenden Menschen ausreichen­d zu versorgen, argumentie­rt Burgsdorff. Hier geschehe das Gegenteil. Für Europa sei es deshalb „ein humanitäre­r Imperativ“, die Menschen vor Ort zu unterstütz­en.

Möglicher Präzedenzf­all

Israels Höchstgeri­cht soll demnächst ein finales Urteil fällen, wie es mit den Dörfern weitergeht. Aktivisten sehen einen Präzedenzf­all: Sollte die Evakuierun­g grünes Licht bekommen, könnten andere Gebiete in der Westbank folgen. Dass Israel offiziell seine Annexionsp­läne abgeblasen hat, ist dann de facto wertlos. Aqram baut sein Haus nun wieder auf, Gerichtsen­tscheid hin oder her. „Ich bin hier geboren“, sagt er, „und ich gehe hier nicht weg.“

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