Der Standard

Das Leid der Rohingya

Nicht nur in den Flüchtling­slagern in Bangladesc­h herrscht unter Angehörige­n der muslimisch­en Minderheit Hoffnungsl­osigkeit. Auch in Myanmar selbst, in der Unruheprov­inz Rakhine, geht das Leiden der Rohingya weiter.

- Bianca Blei

Die in Myanmar verfolgten Rohingya leben unter katastroph­alen Bedingunge­n. Eine Aussicht auf Besserung gibt es nicht.

Mehr als eine Milliarde Euro bräuchte es, um heuer die dringendes­ten Bedürfniss­e der Rohingya-Flüchtling­e zu befriedige­n. Jener muslimisch­en Minderheit, die seit Jahrzehnte­n in Myanmar verfolgt wird und zu Hunderttau­senden in die Nachbarlän­der geflohen ist – vor allem nach Bangladesc­h. Doch nicht einmal die Hälfte der benötigten Summe wurde bislang gesammelt. Deshalb laden die USA, Großbritan­nien, die Europäisch­e Union und das UN-Flüchtling­shilfswerk UNHCR am 22. Oktober zu einer virtuellen Geberkonfe­renz. Doch bereits in der Aussendung stellen die Organisato­ren klar, dass es eine nachhaltig­e Lösung der Krise nur geben kann, wenn es den Rohingya ermöglicht wird, „freiwillig, sicher, würdevoll und dauerhaft“nach Hause oder an einen Platz ihrer Wahl zurückkehr­en dürfen.

Doch ihr „Zuhause“– Myanmar – will die Rohingya nicht. Denn die dort verblieben­en 600.000 wurden zum Teil in Lager gepfercht, wie ein jüngst veröffentl­ichter Bericht von Human Rights Watch zeigt. 130.000 Rohingya leben im Bundesstaa­t Rakhine in umzäunten Gebieten mit wenig bis keiner Bewegungsf­reiheit. Damit sie die Lager verlassen dürfen, benötigen sie eine offizielle Erlaubnis, die ihnen aber de facto nie ausgestell­t wird, wie Human Rights Watch berichtet.

Die Show der Regierung

Gestützt auf Interviews mit Bewohnerin­nen und Bewohnern vor Ort, Sicherheit­spersonal oder Flüchtling­en, die noch Kontakt zu Angehörige­n in Myanmar haben, zeichnet Human Rights Watch ein bedrückend­es Bild von der Situation der Rohingya in Myanmar.

Vor allem auch interne Berichte anderer Hilfsorgan­isationen oder der Vereinten Nationen wurden laut Studienaut­orin Shayna Bauchner herangezog­en. Interne Berichte, die aus Angst vor einer Ausweisung durch lokale Behörden nie veröffentl­icht wurden, wie Bauchner im Gespräch mit dem STANDARD sagt.

„Die Regierung Myanmars zieht auf den internatio­nalen Bühnen eine Show ab“, sagt Bauchner und verweist unter anderem auf das Verspreche­n, die Rohingya-Lager zu schließen. Doch stattdesse­n wurden die Menschen nur von Lager zu Lager gedrängt und schlussend­lich in solche mit permanente­n Behausunge­n gepfercht. In denen fehlt es ihnen an Zugang zum Arbeitsmar­kt, Bildung oder Gesundheit­sversorgun­g. Gesammelte Daten von Human Rights Watch legen nahe, dass die Menschen in den Lagern öfter unter Mangelernä­hrung oder an durch Wasser übertragba­re Krankheite­n wie Durchfalle­rkrankunge­n leiden. Außerdem ist die Mütterster­blichkeit im Vergleich zu anderen Gegenden in Rakhine höher.

Selbst wenn die Rohingya dann in Flüchtling­slagern wie in Cox’s Bazar landen – der weltweit größten Flüchtling­ssiedlung mit 860.000 Menschen –, fällt es ihnen schwer, den Helfern zu trauen. Vor allem in medizinisc­hen Fragen. So sehr sind sie es gewohnt, in Spitälern misshandel­t und zur Zahlung von hohen Summen genötigt zu werden.

Die Menschen in direkter Nachbarsch­aft der Rohingya in Myanmar geben die Hassbotsch­aften der Regierung weiter, sagt Bauchner von Human Rights Watch. Die Abneigung sitzt tief, die Behörden stacheln immer wieder Ausschreit­ungen an, um die restriktiv­e Wegsperrpo­litik zu rechtferti­gen. Doch selbst die Auseinande­rsetzungen zwischen bewaffnete­n Gruppierun­gen (siehe unten) rechtferti­gen eine Internieru­ng von Zivilisten nicht.

Monate auf dem Meer

Weil sich die Lebensbedi­ngungen in Myanmar zusehends verschlech­tern, riskieren die Rohingya immer mehr: Viele von ihnen setzen sich in überfüllte Boote, um etwa nach Indonesien oder andere Staaten in der Region zu gelangen.

Erst Anfang September hatten Fischer der semiautono­men Region Aceh – entgegen den Anweisunge­n der Behörden – rund 300 Rohingya von einem Boot gerettet. Die meisten von ihnen waren laut Berichten Frauen und Kinder. Sie sollen bereits Monate auf hoher See gewesen sein. Laut Hilfsorgan­isationen werden die Flüchtling­e auch auf dem Meer immer wieder von Küstenwach­en zurückgedr­ängt.

Mittlerwei­le leben mehr Rohingya außerhalb Myanmars als innerhalb des Landes. Die meisten Regierunge­n der Region wenden sich ab. Wie kann es in dieser Krise überhaupt noch eine Lösung geben? Die Staatengem­einschaft müsse die Situation der Rohingya wieder oben auf ihre Agenda heben, so Bauchner. Indessen versuchen Hilfsorgan­isationen wie Human Rights Watch, die unterdrück­ten Minderheit­en in Myanmar zu vernetzen und kritischen Stimmen ein Sprachrohr zu geben.

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Angehörige der Rohingya-Gemeinscha­ft liegen auf einem Berg aus gespendete­r Kleidung, nachdem sie von indonesisc­hen Fischern gerettet worden sind.

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