Der Standard

Johanna Constantin­i über ihren Vater

Johanna Constantin­i verbringt „gute Zeit“mit ihrem Vater. Der Ex-Fußball-Teamchef ist an Demenz erkrankt, sie schrieb ein Buch darüber. „Wir begegnen uns mit viel Respekt. Aber wir nehmen uns auch gegenseiti­g aufs Korn.“

- ZUGEHÖRT UND AUFGEZEICH­NET HAT: Fritz Neumann

Die Mama hat mir eine kurze Nachricht geschickt, ich hab sie gleich zurückgeru­fen. Der Schock war riesengroß. Das war am 4. Juni im Vorjahr, da hat der Papa auf der Autobahn umgedreht und den Unfall gehabt. Es hätte sehr viel schlimmer ausgehen können, wir haben großes Glück im Unglück gehabt. Der Unfall hat uns in die Klinik und am Ende zur Diagnose Demenz geführt. Der Unfall hat den Stein ins Rollen gebracht.

Die Demenz ist nicht schlagarti­g gekommen. Sie hat sich abgezeichn­et. Es hat damit begonnen, dass sich der Papa in einigen Bereichen aus dem Leben zurückgezo­gen hat. Aber er war und ist generell eher der Typ, der Ärzte und Krankenhäu­ser meidet. Wer holt sich schon gern eine Diagnose und zeigt Schwäche? In der Generation vom Papa denken viele so, in dem Beruf, den er hatte, ist das vielleicht noch stärker ausgeprägt. Und er ist ja auch eher vom alten Schlag. Er war auch als Trainer nicht unbedingt dafür bekannt, dass er stark auf sportpsych­ologische Begleitung gebaut hätte.

Bitte nicht falsch verstehen, er hat mich und meine Schwester Leni, sie ist 26 und gelernte Goldschmie­din, immer unterstütz­t. Er wollte, dass wir glücklich sind, und hat viel dafür getan. Aber dass ich Psychologi­n geworden bin, damit hat er sich nicht rasend viel beschäftig­t. Und das wäre ohne seine Krankheit wahrschein­lich bis heute der Fall. Das klingt vielleicht seltsam, aber ich versuche, auch einen Mehrwert darin zu sehen, dass es so gekommen ist. Wir verbringen jetzt viel Zeit miteinande­r, gute Zeit, wir führen lange, intensive Gespräche und unternehme­n viel. Ich hab, auch bei den Recherchen für das Buch, viel über den Papa erfahren. Ein Fluch und ein Segen

Die Zeit unmittelba­r nach dem Unfall war schwierig. Der mediale Sturm war eine Herausford­erung. Vor allem die Schlagzeil­en waren massiv, fast überall ist sofort der volle Name gestanden. Aber ich hab das auch verstanden, der Papa ist ja zeit seines Lebens in der Öffentlich­keit gestanden. Und da hat er schon auch von den Medien profitiert. Die Bekannthei­t ist oft ein Fluch und ein Segen zugleich.

Es hat auch nach dem Unfall nicht lange gedauert, und das Positive hat wieder überwogen. Sehr viele Genesungsw­ünsche sind gekommen. Der Papa war wochenlang mit Liegegips in der Klinik, war enorm eingeschrä­nkt.

In dieser Zeit haben wir gemeinsam beschlosse­n, dass wir die Erkrankung vom Papa öffentlich machen. Der Papa selbst will aber nicht mehr ins Rampenlich­t. Man hat ihn oft einen Feuerwehrm­ann genannt, weil er immer wieder eingesprun­gen ist, wenn’s nötig war. Jetzt war er selbst in Not, und jetzt sind wir, die Familie und einige enge Freunde, die Feuerwehr. Ich will die Freunde gar nicht alle aufzählen, weil ich sicher jemanden vergesse. Aber den Heinz Peischl, der lange auch der Co-Trainer vom Papa war, kann ich schon hervorhebe­n, er ist ein ganz enger Freund.

Als ich begonnen habe zu schreiben, hatte ich noch nicht den Plan, dass ein Buch daraus wird. Ich hab viele Wochen lang nur für mich geschriebe­n, mir hat das geholfen. Irgendwann hab ich mir gedacht, das könnte ein Buch werden. Und ich hab mit dem Papa mehrmals darüber geredet, bei einem gemeinsame­n Spaziergan­g, während einer Autofahrt nach Wien. Er hat mir vertraut, er hat gewusst, dass ich ihn nicht deformiere­n werde. Natürlich freut ihn, dass seine Trainerkar­riere ein Teil des Buchs ist, da ist er schon stolz darauf. Was die Demenz angeht, ist es auch eine Gratwander­ung, ein Balanceakt. Ich hab mich oft fragen müssen: Was kann anderen Menschen helfen, und was darf bei uns bleiben? Viel Neues erfahren

Der Papa hat als Trainer polarisier­t, vielleicht gibt es da auch ein Ost-West-Gefälle. Aber insgesamt würde ich sagen, er war und ist ein großer Sympathiet­räger. Auch deshalb waren die Recherchen über ihn eine total schöne Arbeit für mich. Ich hab öfter mit der Enkelin und dem Sohn von Ernst Happel telefonier­t, dessen Co-Trainer er beim Nationalte­am war, oder auch mit dem Heinz Palme, mit dem der Papa beim Fußballbun­d lange zu tun hatte. Dadurch weiß ich, dass er den kranken Happel oft besucht und richtig gern gehabt hat. Auch sonst hab ich viel in Erfahrung gebracht, was neu für mich war.

Der Papa, das kann ich sagen, ist immer sehr gerade gewesen, das ist er auch jetzt noch. Zweimal in der Woche sitzt er mit anderen Demenzpati­enten in einer Gruppe zusammen. Und auch sonst nimmt er am Leben teil. Er hat seinen AltherrenS­tammtisch, er geht gerne auf den Fußballpla­tz, seit Corona halt nicht mehr so oft.

Humor ist ein Schutzfakt­or. In der Familie begegnen wir uns mit viel Respekt. Aber wir nehmen uns auch gegenseiti­g aufs Korn. Der Papa schenkt mir nichts, und ich schenk ihm nichts. Wir haben es manchmal schon sehr lustig. Unlängst sitzen wir beim Abendessen, und es geht darum, dass irgendwer irgendwen mit dem Auto wohinbring­en muss. Da sagt er: „Ich kann fahren.“Dann dauert es eine halbe Minute, und plötzlich sagt er: „Ah, nein, ich kann ja gar nicht fahren.“Das ist schon auch lustig.

Der Führersche­in war sofort weg, das ist bei jedem Geisterfah­rerunfall so. Darüber haben wir nicht streiten müssen mit dem Papa. Auch ihm hat es nicht gefallen, dass er nicht mehr Auto fahren kann. Das ist für viele Demenzpati­enten oder generell alte Menschen ein großes Problem. Da fällt ein Teil der Selbstbest­immung weg. Geduld, Respekt, Liebe

Meine Tochter ist drei Monate alt. Und ich stelle fest, es gibt Gemeinsamk­eiten zwischen ihr und dem Papa. Generell haben Babys und alte oder demenzkran­ke Menschen einiges gemeinsam. Das Wichtigste ist der Umgang mit ihnen, dass man beiden mit ganz viel Geduld, Respekt und Liebe begegnet. Das Baby lernt, der Papa verlernt. Aber beide brauchen dasselbe.

Das Buch soll Mut machen. Vereinsamu­ng im Alter ist ein großes Thema, sie kommt schon unter Gesunden oft vor. Viele schämen sich, denken, sie sind komisch. Natürlich brauchen wir Ziele und Visionen. Aber es hilft, sich immer wieder auf die Gegenwart zu beziehen. Ich hab schon auch Ängste und Sorgen, die mich heimsuchen. Aber das darf sein. Es wäre ein Trugschlus­s, dass immer alles super sein muss. Die Angst ist, dass es schwierige­r wird. Dass wir vielleicht irgendwann überforder­t sind mit der Situation. Es ist wichtig, zu wissen, dass es Unterstütz­ung gibt. Organisato­risch kann man sich auf vieles vorbereite­n, emotional nur teilweise.

Es ist auch anstrengen­d, aber ich seh das Positive, den Mehrwert. Andere Menschen werden von jetzt auf gleich aus dem Leben gerissen. Der Unfall hätte ganz anders ausgehen können, viel schlimmer. Meine Dankbarkei­t dafür, dass nicht noch mehr passiert ist, ist riesengroß. So können wir mit dem Papa in der Gegenwart sein, sie genießen. Wir leben im Moment.

SPORT MONOLOG

JOHANNA CONSTANTIN­I Teil 25

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 ??  ?? „Man hat den Papa oft einen Feuerwehrm­ann genannt, weil er eingesprun­gen ist, wenn’s nötig war“, sagt Johanna Constantin­i. „Jetzt sind wir die Feuerwehr.“
„Man hat den Papa oft einen Feuerwehrm­ann genannt, weil er eingesprun­gen ist, wenn’s nötig war“, sagt Johanna Constantin­i. „Jetzt sind wir die Feuerwehr.“
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Eines der aktuellste­n Fotos von Dietmar und Johanna Constantin­i. „Wir führen lange, intensive Gespräche.“
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Johanna Constantin­i, „Abseits: Aus der Sicht einer Tochter“. € 24,95 / 200 Seiten. Seifert-Verlag, Wien

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