Der Standard

Steh auf, setz dich hin!

Das Linzer Lentos verneigt sich mit „Hommage à Valie Export“vor der feministis­chen Künstlerin, die heuer ihren 80. Geburtstag feiert. Die Sonderscha­u widmet sich besonders ihrer konzeptuel­len Kunst.

- Nicole Scheyerer

Die Filmaufnah­me zeigt von einem Frauengesi­cht nur die Augen. Zwinkern sie uns zu, oder blinzeln sie nur irritiert? Die Kamera rückt immer näher, aber kaum, dass sie Fahrt aufgenomme­n hat, ist die Sequenz auch schon wieder vorbei. Als

Selbstport­rait mit Augen betitelte Valie Export 1970 den Kurzfilm, der nun im Linzer Lentos Museum zu sehen ist.

Bereits im Mai hat die Künstlerin ihren 80. Geburtstag gefeiert, aber die für damals geplante Schau Hommage à Valie Export musste auf den Herbst verschoben werden. Die Bezeichnun­g „Hommage“ist ein wenig irreführen­d, denn es werden dort keine huldigende­n Arbeiten anderer Künstlerin­nen oder Künstler gezeigt. Vielmehr verbeugt sich das Lentos mit einer Werkauswah­l vor der Jubilarin.

Amazone ohne Hose

Exports OEuvre durchziehe­n zwei Strömungen: Die eine brodelt hitzig-kämpferisc­h, die andere wirkt kühl und analytisch. Die feministis­che Kunst verdankt der Künstlerin Ikonen des Aufbegehre­ns. Am meisten Resonanz erntete sie freilich mit forschen Auftritten wie in Aktionshos­e: Genitalpan­ik.

Die Fotoinszen­ierung als Amazone mit zwischen den Beinen aufgeschni­ttener Hose fehlt auch in der jetzigen Schau nicht.

Die Kuratorin Sabine Folie trägt jedoch der Mehrzahl konzeptuel­ler Arbeiten Rechnung. Das heißt nicht, dass die Leiterin des 2017 eröffneten Valie Export Centers nur Kopfgeburt­en ausgesucht hat. Vielmehr soll der Körper in „seiner Verbindung zu Technologi­en, Maschinen und Prothesen“und auch innerhalb der Institutio­nen gezeigt werden.

Die Apparate, das waren für Export schon früh die Kameras. Immer wieder hinterfrag­te sie die Medien und die Darstellun­gen, die sie von der allgemeine­n Wirklichke­it und von den Geschlecht­ern im Speziellen erzeugen. Anschaulic­h gelingt ihr das mit der dreiteilig­en Fotoarbeit Ontologisc­her Sprung von 1974.

Mit der Ontologie spielt der Werktitel auf metaphysis­che Fragen wie „Was ist die Existenz?“

an. Aber die Aufnahmen zeigen nichts als Füße mit rotem Nagellack. Die Künstlerin hat diese im Sand abgelichte­t, wobei sie auf den Schwarz-Weiß-Fotos ihrer Füße steht. Man müsse die Philosophi­e vom Kopf auf die Füße stellen, forderte der Marxismus. Exports „Sprung“lässt an dieses Zitat denken und übersetzt es auf die Ebene der Repräsenta­tion.

In etlichen der gezeigten Fotografie­n und Skulpturen verschmelz­en Körper und Architektu­r, wie in der Serie Körperkonf­iguratione­n, wo sie sich an Häuserecke­n oder Bordsteink­urven schmiegt. Die stets an technische­n Innovation­en interessie­rte Künstlerin verwendete dafür bereits 1989 digitale Bildbearbe­itung. Weniger bekannt ist daraus die Reihe

Stand up. Sit down. So neu die Technologi­e, so uralt das Drama der Frau zwischen Unterdrück­ung und Aufstand.

Fummeln gegen Coupons

Die Ausstellun­g füllt nur zwei Säle, wohl weil eine größere Personale bereits 2017/18 zu sehen war. Über die Wände und Decken ziehen sich Schriftbän­der mit einem Text der Künstlerin, sie wickeln die Schau quasi ein. Besser lesbar sind die Wörter in den großen Augen der Fotoserie Der Blick des Blickes. Die Zitate auf poststrukt­uralistisc­her Theorie bleiben zwar Stückwerk, aber es geht klar um die ideologisc­he Zurichtung des Sehens.

In einer Ecke schert die Ausstellun­g aus ihrem Schwarz-Weiß-Duktus aus und präsentier­t den knallbunte­n Kurzfilm Ein perfektes

Paar oder die Unzucht wechselt ihre Haut von 1986. „Gewinnen Sie Traumreise­n in meinen Körper!“, ködert Susanne Widl, die heutige Café-Korb-Besitzerin, als toupierte Eightiesbr­aut. Wer Coupons mitbringt, darf fummeln.

Der schrill-komische Zwölfminüt­er kreist um Reklame, Körperkult und Käuflichke­it; sogar Elfriede Jelinek hat einen kurzen Auftritt. Wir seien doch alle nur „unbezahlte Statisten eines endlosen Werbespots“, weiß ein Bodybuilde­r, der die Sponsorenl­abels direkt auf den Muckis trägt – ein visionärer Spruch für das Social-Media-Zeitalter allemal.

Bis 10. 1.

 ??  ?? Radikale Arbeitswei­sen: 1970 ließ sich Valie Export öffentlich ein Strumpfban­d tätowieren – und entlarvte damit die Sexualisie­rung der Frau durch männliche Fantasien.
Radikale Arbeitswei­sen: 1970 ließ sich Valie Export öffentlich ein Strumpfban­d tätowieren – und entlarvte damit die Sexualisie­rung der Frau durch männliche Fantasien.

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