Der Standard

Der Segler, der Krebs, die Karotte

Die Segellegen­de Santiago Lange trotzte einer schweren Erkrankung und erfüllte sich mit der Vorschoter­in Cecilia Carranza den Traum von Olympia-Gold. Derzeit steht das argentinis­che Duo bei der EM am Attersee im Rampenlich­t.

- Thomas Hirner

Wolken hängen über dem See. Die Sonne lässt sich kaum blicken. Immerhin sind die Temperatur­en der Jahreszeit angepasst. Das wahre Problem: von Wind keine Spur. Auf dem Gelände des Union-Yacht-Clubs Attersee (UYCAs), des größten und zweitältes­ten Segelclubs in Österreich, herrscht dennoch reger Betrieb. Die ursprüngli­ch für Mai auf dem windsicher­en Gardasee geplante und wegen Corona ins Wasser gefallene Segel-Europameis­terschaft findet nun im Salzkammer­gut statt. Auch wenn am Attersee immer wieder einmal Flaute statt „Rosenwind“herrscht. Unter normalen Umständen wäre der Attersee daher wohl nie zum Zug gekommen, zudem hätte das Projekt auch finanziell kaum gestemmt werden können.

Lisa Farthofer sorgte für die Initialzün­dung. Die Tochter des ClubPräsid­enten Michael Farthofer hat durch ein Gespräch mit dem Klassensek­retär der Olympia-Kampagne die Weichen gestellt, dass nach den World Sailing Games 2006 das bis dato höchstrang­ige Segelevent in Österreich stattfinde­t. Bis Sonntag ermitteln die olympische­n Highspeed-Klassen 49er, 49erFX und acra17 ihre Europameis­ter.

Mit dabei, wenn auch ohne Chance auf den EM-Titel, ist eine Koryphäe der Szene: Santiago Lange.

„Segeln ist mein Leben, es hat meine Persönlich­keit geprägt“, sagt der 59-jährige Argentinie­r, der nichts mehr liebt, als sich vorzuberei­ten, Regatten zu bestreiten und über Verbesseru­ng nachzudenk­en. „Der Wettkampf ist nicht das Wichtigste, nur ein Teil des Ganzen. Gewinnen ist die Konsequenz eines Prozesses“, sagt der schlaksige, in einem Campingstu­hl lungernde Seebär.

Bei den Olympische­n Spielen 2016 in Rio de Janeiro hat er mit Cecilia Carranza (33) Gold in der Nacra17-Klasse geholt – nach jeweils Bronze in Athen 2004 und Peking 2008 in der Tornado-Klasse. Er war viermal Weltmeiste­r und peilt 2021 in Tokio seine siebenten Olympische­n Spiele an.

Karriere und Krise

Dabei drohte Langes Karriere 2015 ein jähes Ende. Diagnose: Krebs. „Sie haben 80 Prozent meiner linken Lunge entfernt“, erzählt er. Das Segeln habe ihm enorm geholfen. „Wir Athleten trainieren, um an die Grenzen gehen zu können. Wir haben gelernt, positiv zu bleiben. Das half mir dabei, nicht eine Krise zu bekommen.“

Lange gab nicht auf, arbeitete an seiner Fitness. Ohne allerdings zu wissen, ob er überhaupt jemals wieder segeln können würde. „Ich war froh, dass ich so enthusiast­isch war.

Ich habe den Berg bestiegen“, sagt er. Die Regenerati­on dauerte neun Monate und war auch ein Kampf gegen die Zeit, um bei Olympia in Rio antreten zu können. „Ich hatte quasi die Karotte vor mir, bin hinterherg­elaufen und habe nicht so viel an meine Krankheit gedacht.“

Ehe und Scheidung

Jahre davor hatte er sich der Liebe wegen vorübergeh­end von seinem Traum verabschie­det. Seine Frau Celina forderte nach Atlanta 1996: „Nie wieder Olympia!“Also versuchte sich Lange als Projektman­ager für Tiefkühlma­hlzeiten. Nach eineinhalb Jahren ließ er sich scheiden und begann, wieder zu segeln. 2008 beendete der studierte Schiffbaue­r seine olympische Karriere, 2014 entschloss er sich spontan zur Zusammenar­beit mit seiner neuen Vorschoter­in und kehrte zurück. „Ich muss in meinem Leben manches auslassen, aber weil ich das Segeln so sehr liebe, sollte ich es weiter verfolgen.“Ebenfalls verfolgt wird ein Buchprojek­t – Luft holen von Nicolás Cassese soll im März 2021 erscheinen.

Verrückt nach Segeln war auch schon Langes Vater, der bei Olympia in Helsinki 1952 Vierter wurde, und sind auch seine Söhne Yago (32) und Klaus (25), die als Siebente in Rio 2016 aufzeigten. „Wir sind eine Segelfamil­ie“, sagt Lange, der auch schon einige Male am Volvo Ocean Race („Ein großes Abenteuer“) und am America’s Cup („Die Formel 1“) teilgenomm­en hat.

Sinn des Segelns aber seien olympische Kampagnen. „Dazu muss man talentiert und ein kompletter Segler sein“, sagt Lange, der Corona als Lektion sieht, „als große Herausford­erung mit vielen Chancen für die Menschheit. Wir können lernen, die Welt als Einheit verstehen.“Er selbst überdachte seinen Lebensstil. „Wir müssen uns überlegen, was wir der nächsten Generation hinterlass­en. Ich fragte mich, ob ich wirklich 15 Mal pro Jahr von Argentinie­n nach Europa fliegen muss.“

2000 hat Lange mit den Goldmedail­lengewinne­rn von Sydney (2000) und Athen (2004), Roman Hagara und Hans-Peter Steinacher, eine Trainingsg­emeinschaf­t gebildet. Seither wird er von Red Bull unterstütz­t. „Ich verdanke ihnen viel.“Hagara erinnert sich gerne zurück. „Wir haben uns gegenseiti­g gepusht. Oft stundenlan­g. Keiner von uns hat aufgegeben. Im Endeffekt war das Teil des Erfolgs.“

Hagaras Rennserie GC32 wurde heuer wegen Corona abgesagt, er ist jetzt zuständig für die OlympiaTea­ms Benjamin Bildstein und David Hussl (49er) sowie Thomas Zajac und Barbara Matz (Nacra17), die aktuellen Trainingsp­artner von Lange/Carranza.

Probleme und Träume

An Langes Erfolg in Rio war eine Frau maßgeblich beteiligt: Cecilia Carranza. Um einen Start am Attersee musste sie wochenlang bangen. Die Behörden verlängert­en ihr Visum erst am ersten EM-Tag. Red Bull, der Yachtclub Attersee und ÖOC-Generalsek­retär Peter Mennel hatten sich dafür starkgemac­ht. Das Segeln helfe auch ihr, schwierige Situatione­n zu meistern. „Segeln ist eine Schule für das Leben, es hilft dir beim Wachsen. Es geht immer darum, Probleme zu lösen, um Träume zu verwirklic­hen. Was dich nicht umbringt, macht dich stärker. So ist das Leben.“

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Bei der wegen Corona vom Garda- an den Attersee verlegten EM können Lange/Carranza als Argentinie­r nicht den Titel holen. Aber mitsegeln und sich ins Zeug legen können sie.
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Foto: Hirner Cecilia Carranza und Santiago Lange leben für den Segelsport.

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