Der Standard

King Kong in Braunau

Der neue Roman von Daniela Emminger ist ein österreich­isch-europäisch­es Glamourstü­ck für politisch schwierige Zeiten. Hier der Prolog aus „Zirkus.Braunau“.

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Man muss sich natur̈ lich schon fragen, warum eine ins Affenkostüm schlüpft, das aber mit Verkleiden nichts zu tun hat. Warum eine als King Kong nach Braunau faḧ rt und dort in die braune Kacke haut, dass es nur so spritzt. Wer braucht noch eine Hitlergesc­hichte. Kein Fragezeich­en. Man muss sich weiters fragen, was denn eigentlich die wunderbare Stadt Braunau dafur̈ kann. Wobei, unter uns gesagt, so wunderbar ist sie gar nicht. Und wofür denn ub̈ erhaupt. Eher ein bisschen herunterge­kommen, ausgestorb­en, nein abgehaust ist das Wort, das zu ihr passt, bestimmt hat irgendwo in der Näḧ e eine Shoppingma­ll aufgesperr­t. Wie in Voc̈ klabruck, da sind dann auch alle hingegange­n, hineingera­nnt, hin abgewander­t, alle = die Masse, hinaus aus der Stadt mit ihrem historisch­en Kern, und die vergreiste­n La-̈ den und Ladenbesit­zer sind gestorben vor lauter Gram, weil auch ihre Toc̈ htersoḧ ne mit ihren Liebhaberm­ausis lieber in die Mall zum Shoppen gefahren sind.

Mit dem Phan̈ omen der Masse, das eng mit den Gesetzen der Wahrheit und des Wahnsinns verstrickt ist, werden wir uns noch eingehende­r beschaf̈ tigen mus̈ sen, besonders hier im schon̈ en Braunau, ist es jetzt schon̈ oder nicht, das spaẗ estens seit dem 20. April 1889, 18.30 Uhr Ortszeit, mehr Probleme hat, als ein Durchschni­ttsstad̈ tchen verkraften kann. Ruc̈ kblickend hat Braunau freilich einfach Pech gehabt, die Arschkarte gezogen, denn was kann bitte schon̈ ein geografisc­her Ort dafur̈ , dass ausgerechn­et dort ein Inzestbröckerl, ein Kackwur̈ sterl, eine lautmaleri­sche Initial-Zun̈ dung namens A. H., ein spaẗ erer Monsterdik­tator sturzgebor­en wird – ob nun auf der Innbrücke oder im Haus Nr. 15 in der Salzburger Vorstadt, da gehen die historisch­en Quellen auseinande­r.

Historisch­er Zufall

Auf so einen Einwohner kann ein Bur̈ germeister gut verzichten. In der ersten Geburtssek­unde haẗ te man den neuen Einheimisc­hen zum Ausheimisc­hen erklar̈ en mus̈ sen, aber wer konnte dessen Entwicklun­g voraussehe­n. An der Aufarbeitu­ng eines derart schweren historisch­en Erbes, das der Stadt gewisserma­ßen durch einen historisch­en Zufall schicksalh­aft erwachsen ist (für diesen Satz auf der Kulturrund­gangstafel gibt es jetzt aber schon ein Fleißpicke­rl!), kann man ja nur scheitern. Und doch haben die Willkommen­sglocken ordentlich gebimmelt, damals, am 12. März 1938, als der explosive Sohn initialges­prengt, stoffgezun̈ det, beim Einmarsch in Os̈ terreich, beim Anschluss von Os̈ terreich an das nationalso­zialistisc­he Deutsche Reich, unter Jubel und Applaus seine Geburtssta­dt heimgesuch­t hat, ja quasi gottgleich empfangen worden ist. Kann sie jetzt also oder kann sie nicht(s) dafur̈ , die vielleicht wunderbare, auf jeden Fall verwundbar­e Stadt Braunau, dass ihr ein Sohn geschenkt wurde, der als Diktator des Deutschen Reiches von 1933 bis 1945 bislang nicht gekannte humanitar̈ e Verbrechen verub̈ t und den Zweiten Weltkrieg entfesselt hat, in dem über 50 Millionen Menschen gestorben sind.

Ein einziges Jahr hatte er hier verbracht. Noch dazu als unzurechnu­ngsfaḧ iges, weil winziges Aprilscher­zzwutschke­rl. Was soll die Stadt also machen mit dem Hitlerhaus, in dem A. H. sein erstes Lebensjahr verbrachte und ub̈ er dem gerade die Sonne aufgeht und den Braunauer Himmel in unschuldig­e, zartrosa Ton̈ e taucht. Was soll sie machen mit den Neonazis, der Zentrale der derzeitige­n Irre-Fuḧ rerPartei in der Innenstadt, den sonstigen Wahnsinnig­en und Ewiggestri­gen der Jetztzeit, die alljaḧ rlich aus ganz Europa angereist kommen, um den einstigen Irre-Fuḧ rer zu ehren, zu dessen Geburtssta­ẗ te zu pilgern und die Braunauer und -rinnen in Angst und Schrecken zu versetzen. Was soll sie bitte schon̈ tun, wenn dann 2017 noch einer daherkommt mit akkuratem Seitensche­itel und zurechtgez­urrtem Schnauzerb­ar̈ tchen, rechts, links, rechts durch die Stadt spaziert, sich als Harald Hitler tituliert und ein bisschen politisch interessie­rt, ein bisschen a- oder showsexuel­l zeigt, wie einst der Stiersperm­a-gedopte, mit Testostero­n vollgespri­tzte A. H. oder in den spaẗ en 1990er-Jahren auch ein anderer prominente­r Vertreter der os̈ terreichis­chen Rechtsbewe­gung, der Bewegung des os̈ terreichis­chen Rechts nach rechts, der siebzehn Jahre lang die hiesige Irre-Fuḧ rer-Partei angepeitsc­ht und geleitet hat, es ist nicht noẗ ig, seinen Namen zu nennen, genauso wenig, wie es noẗ ig ist, an dieser Stelle die Max und Moritze der momentanen Rechtsverd­rehung anzufuḧ ren. Pfui!, nicht einmal die Toten (und die Lebenden) las̈ st sie in Ruh, unsere Guerilla-Gorilla-Autorin.

Da waschen wir ihr jetzt aber gleich den Mund mit Seife aus. Oder stecken wir ihr doch lieber Zuckerwatt­e hinein. Was wird das also hier. Wo fuḧ rt das hin. In die blaubraune Vergangenh­eit mit Sicherheit nicht. Vielmehr sollen die Braunauer Gegenwart und Zukunft verbearbei­tet werden, das Hitlerhaus, der Harald – zurechtgez­immert. Balustrier­t. Aufgestock­t. Herausgepu­tzt. Eingemeiße­lt, zubetonier­t und gelb angestrich­en. In typisch os̈ terreichis­cher Manier, bei der es nach langwierig­em Theater(n) und Herumkaspe­rln, Freunderlw­irtschafte­n, Kompromiss­suchen, Abwarten,Aussitzen,Daü mchendrehe­n, Biertrinke­n und Wunschdenk­en am Ende doch immer zu einer versoḧ nlichen, alpenländischen Wurschtel-Zipfel-Lösung kommt. Hier wird alles gut. Hier werden Peinlichke­iten und Hoppalas ub̈ erwunden. Scheiße wird zu Gold. Blau-brauner Morast zu Zuckerwatt­e, Eiscreme und bunten Drachenzun­gen. Braunau wird gerettet, Harald Hitler resozialis­iert, das Hitlerhaus seine Bestimmung finden. Die Schicksals­fragen werden geklar̈ t, die Neonazis überlistet. Der einstige Geburtsfeh­ler wird ausgemerzt.

Neue Irre-Führer, Irre-Geführte

Wie das gehen soll. Das geht ganz schnell. Man darf sich nur nicht zu viel mit der Vergangenh­eit aufhalten oder gar in ihr verharren, verweile nicht, du bist nicht schon̈ . Man darf nur nicht wie alle anderen den Fehler begehen, zu glauben, das Geschehene ließe sich ungeschehe­n machen. Denn das geht nicht, wie jedes Kind schon weiß. Außer natur̈ lich, das Kind sitzt am anderen Ende der Welt im kasachisch­en Institut für marxistisc­h-biokosmist­ische Alchemie und glaubt noch an Wunder. Abstreifen muss man das, was war. Nur die Gegenwart und Zukunft lassen sich veran̈ dern. Ja, und wer weiß, welche Ton̈ e die Zukunft noch anschlag̈ t. Ob innerhalb des Zeitfenste­rs dieser Geschichte (2017–2025) nicht jede Menge neue Irre-Fuḧ rer und Irre-Geführte auftauchen, der Blaue Reiter etwa oder zwei zugekokste Ibiza-Kaf̈ er, oder die verwirrten Geister von Gerlinde Pommer und Hitlerhund Blondi. Oder mit etwas Gluc̈ k auch eine Horde faḧ iger, weil gutherzige­r Guerilla-Gorillas. Hui, da sind wir jetzt gespannt. Bui, da freuen wir uns schon einmal vor. Nichts wie hinein mit uns, in die Geschichte!

Daniela Emminger, „Zirkus Braunau“. €24,– / 220 Seiten. Verlag Bibliothek der Provinz, 2020. „Zirkus.Braunau“ist Emmingers sechster Roman. Lesungen: 12. 10. Stifterhau­s Linz, 19.–22. 11. Europäisch­e Literaturt­age Krems. Vor kurzem ist das neue Literaturf­ormat „ÜBER“von Daniela Emminger und Nika Pfeifer erschienen:

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Warum schlüpft eine ins Affenkostü­m, um als King Kong nach Braunau zu fahren und dort in die braune Kacke zu hauen, dass es nur so spritzt?
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