Der Standard

Selbstbest­immt leben, selbstbest­immt sterben

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Soll Beihilfe zum Suizid in Österreich weiterhin verboten bleiben oder nicht? Darüber muss der Verfassung­sgerichtsh­of demnächst entscheide­n, und die Diskussion darüber ist in vollem Gange. Im Grunde geht es um eine Auseinande­rsetzung zwischen zwei Kulturen: eine westlich-aufgeklärt­e, in deren Mittelpunk­t der freie Bürger und die mündige Bürgerin steht, und eine traditione­ll-autoritäre, in der Staat und Kirche über Leben und Tod des Einzelnen zu entscheide­n haben.

In der Schweiz, sagte vor einiger Zeit der Gründer der Schweizer

Sterbehilf­e-Organisati­on Dignitas, Ludwig Minelli, ist alles erlaubt, was nicht verboten ist. In Österreich ist alles verboten, was nicht erlaubt ist. In der Sterbehilf­efrage sind die Argumente für und wider längst bekannt. Das Leben ist unter allen Umständen zu schützen, sagen die Kirchenver­treter. Palliativm­edizin und Verzicht auf Behandlung im allerletzt­en Lebensabsc­hnitt können Leiden lindern und sind auch jetzt schon möglich, sagen Ärzte. U nd würde eine Liberalisi­erung der Sterbehilf­e nicht Alte und Kranke unter Druck setzen? Einen „Dammbruch“auslösen? Würde aus „Sterbendür­fen“ein „Sterbenmüs­sen“werden? Kann man Missbrauch verhindern?

Vor dem Verfassung­sgerichtsh­of sagte auch die als Auskunftsp­erson geladene Ärztin und Neurologin Nikola Göttling aus. Sie ist an multipler Sklerose erkrankt und sitzt im Rollstuhl. Sie könne ihre Beine nicht mehr bewegen, sagte sie, und sie wisse, dass sehr bald auch ihre Arme gelähmt sein würden. „Dann bin ich ein Pflegefall und muss gewickelt und gefüttert werden. Das ist entwürdige­nd.“Lieber wolle sie zu gegebener Zeit auf zivilisier­te und würdige Weise sterben dürfen. Da wirkten die philosophi­schen Argumente zur Sterbehilf­e auf einmal seltsam blass und akademisch.

Beihilfe zum Suizid ist derzeit in Kanada, in der Schweiz, in den Niederland­en, Belgien und Luxemburg

und seit kurzem auch in Deutschlan­d erlaubt. Die Entscheidu­ng des deutschen Verfassung­sgerichts wurde damals als „historisch“bezeichnet. Als sie verkündet wurde, gab es Applaus im Saal. Die Deutschen sind noch weniger restriktiv als die Schweizer. Nicht nur schwere Krankheit wird als Begründung für assistiert­en Suizid akzeptiert, sondern auch andere Gründe. P assend zur laufenden Diskussion ist in diesen Wochen auch das Theaterstü­ck Gott des bekannten deutschen Autors und Juristen Ferdinand von Schirach erschienen, das eine Diskussion des Deutschen Ethikrates über Sterbehilf­e zum Thema hat. Zum Urteil darüber ist, wie schon in einem anderen SchirachBu­ch

über Terror, das Publikum aufgerufen. In Umfragen hat die deutsche Öffentlich­keit ihr Urteil schon gesprochen: Sie stimmte mit überwältig­ender Mehrheit für Ja. Das österreich­ische Verfassung­sgericht will in den kommenden Wochen über das Für und Wider beraten.

In der jüngeren Vergangenh­eit hat dieses Höchstgeri­cht zwei Entscheidu­ngen getroffen, die im Gegensatz zu konservati­ven und kirchliche­n Meinungen standen. Das Recht auf Abtreibung und das Recht auf Ehen zwischen Homosexuel­len wurden festgeschr­ieben. Jetzt geht es um ein verwandtes Thema. Man kann davon ausgehen, dass sich die Höchstrich­ter die Entscheidu­ng nicht leichtmach­en werden.

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