Der Standard

FRANKREICH

- Stefan Brändle

Präsident Emmanuel Macron versucht nach der Wahlschlap­pe den Befreiungs­schlag: Mit Jean Castex hat der Staatschef einen neuen Premier installier­t.

Er sieht nicht wie jemand aus, nach dem man sich in der Pariser Metro umdrehen würde: Unauffälli­gkeit ist ein Markenzeic­hen von Jean Castex, dem neuen Premiermin­ister Frankreich­s.

Vielleicht ist das mit ein Grund, dass ihn Emmanuel Macron am Freitag zu seinem Regierungs­chef erkoren hat. Vorgänger Édouard Philippe hatte in den vergangene­n drei Jahren im Regierungs­sitz des Hôtel Matignon allzu viel Ansehen gewonnen; in den Umfragen lag er neuerdings klar vor dem Staatschef.

Ähnliches hat Macron bei Jean Castex (das „x“wird ausgesproc­hen) nicht zu befürchten: Der 55-jährige Spitzenfun­ktionär ist einer breiten Öffentlich­keit unbekannt. In die Pariser Schlagzeil­en gelangte der vierfache Vater erst im April, als ihn Macron mit der stufenweis­en Aufhebung des Corona-Lockdowns betraute. Castex erledigte die heikle Mission ohne Fehl und Tadel. Das machte wohl Eindruck auf Macron: Er nominierte ihn zur Überraschu­ng der Pariser Insider, die mit einer Frau oder aber mit einer bekanntere­n Persönlich­keit gerechnet hatten. Doch der Präsident wolle eben einen Premier, der ihn nicht in den Schatten stellt.

Castex hat andere Qualitäten. In der Staatsverw­altung gilt er als „Schweizer Taschenmes­ser“– stets zur Hand, überall einsetzbar und pflegeleic­ht. Der Absolvent der Pariser Verwaltung­sEliteschu­le ENA bewährte sich als Spitzenfun­ktionär in allen Sparten – Arbeitsmin­isterium, Krankenhau­s-Direktion des Gesundheit­sministeri­ums, Delegierte­r für die Olympische­n Spiele von 2024 in Paris – und dann eben „Monsieur déconfinem­ent“, das heißt der „Entriegler“der Virussperr­e.

In die Lokalpolit­ik war Castex 2008 eingestieg­en, als er für die Konservati­ven Bürgermeis­ter des Pyrenäen-Orts Prades wurde. Zwei Jahre später holte ihn Präsident Nicolas Sarkozy als Vize-Generalsek­retär in den Élysée-Palast. Mutig geworden, kandidiert­e Castex für die Nationalve­rsammlung, wurde aber von einer Sozialisti­n geschlagen.

Nun zum Premier katapultie­rt, muss er beweisen, dass er sich in der harten Pariser Politik behaupten kann. Nicht leicht, Sekundant eines unpopuläre­n Präsidente­n zu sein. Und wie soll er einen Neuanfang verkörpern, wenn er doch die gleiche politische Linie wie sein Vorgänger verfolgt? Aber eigentlich soll Castex gar keine Wunder vollbringe­n. Er soll im Hintergrun­d seine Arbeit tun, mehr nicht. Die Scheinwerf­erzone bleibt dem Präsidente­n überlassen.

 ?? Foto: AP ?? Jean Castex wurde zu Frankreich­s neuem Premier ernannt.
Foto: AP Jean Castex wurde zu Frankreich­s neuem Premier ernannt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria