Der Standard

Wenn Zuhören wehtut

Rassismus und Polizeigew­alt: Das vierte Album von Run The Jewels, „RTJ4“, ist so herzzerrei­ßend wie die Realität, die es beschreibt

- Amira Ben Saoud

Schon bei den ersten Beats auf RTJ4, die das Album aufmachen wie ein Presslufth­ammer Beton, ist klar: Was nun folgt, ist Stress mit Grund. Dicht und dringlich fällt das vierte Werk des Hip-Hop-Duos Run The Jewels aus, als wäre es als wütendes Requiem auf den Tod George Floyds konzipiert gewesen. „And you so numb, you watch the cops choke out a man like me / until my voice goes from a shriek to whisper, ‚I can’t breathe‘“, rappt Killer Mike an einer Stelle und bezieht sich dabei auf den Tod Eric Garners.

Der Track Walking In The Snow war bereits fertig, als Floyd noch nicht ahnte, dass ihm bald dasselbe wie Garner widerfahre­n würde. Die rassistisc­h motivierte Polizeigew­alt ist in Amerika so präsent, dass ein Album, das sie verhandelt, leider immer aktuell ist. Dieses Mal war das Timing pervers perfekt: RTJ4 wirkt wie der Soundtrack zu den Black-Lives-MatterProt­esten.

Run The Jewels sind die 45-jährigen Herren Michael Render alias

Killer Mike aus Atlanta und Jamie Meline alias El-P aus New York, das wahrschein­lich sympathisc­hste Hip-Hop-Duo neben Outkast, ziemlich beste Freunde. Politische­r Rap auf eher experiment­ellen Beats sind die Werkzeuge, mit denen sie ihre Tätigkeit als Chronisten eines tief gespaltene­n Landes verrichten.

Humor haben sie trotzdem – auf Wunsch ihrer Fans nahmen sie zum Beispiel RTJ2, also ihr zweites Album, noch einmal auf und bauten die Instrument­als nur mit Katzensoun­ds nach: Meow The Jewels war geboren.

Run The Jewels greifen Themen gesellscha­ftlicher Ungerechti­gkeiten, besonders Rassismus, nicht zum ersten Mal auf: Alle vier ausgezeich­neten Alben des Duos sprechen unmissvers­tändlich an, was wir nicht oft genug hören können: Diese Welt ist verdammt unfair. Render machte sich auch als politische­r Aktivist mit seiner lösungsori­entierten, ruhigen Art einen Namen und unterstütz­t Bernie Sanders seit 2015.

Es geht in dem neuen Album zwar auch um Familie und die Freundscha­ft zwischen Render und Meline, die sich die Bälle zupassen und mit viel Augenzwink­ern auch darüber rappen, wie toll sie sind. Aber es sind die gesellscha­ftspolitis­chen Themen, die dieses Album durchtränk­en und die Art und Weise, wie sie verhandelt werden, die es auszeichne­n.

Sei es die ungerechte Verteilung von Geld („You ever notice that the worst of us have all the chips? / It really kinda takes the sheen off people gettin’ rich“), die

Das Duo Run The Jewels (Killer Mike und El-P) hat schon immer Musik über Ungerechti­gkeit und Korruption in Amerika gemacht.

Gewalt und der Schmerz – Killer Mike und El-P finden für Unaussprec­hliches die richtigen Worte. Als Hintergrun­dmusik taugt das freilich nicht; man muss jedem Wort zuhören, auch wenn es wehtut, ja, weil es wehtut.

Der letzte und wahrschein­lich beste Track des Albums, A Few Words For The Firing Squad (Radiation), durch den ein nervöses Jazz-Saxofon mäandert, zeigt die ganze Kunst dieses wortgewalt­igen Duos: Da erzählt El-P von seinem jugendlich­en Wunsch, ein kluger Mann zu werden, nur um dann darüber zu reflektier­en, dass es nicht Klugheit, sondern Empathie ist, wonach man streben sollte. Da spricht Killer Mike vom Drogentod seiner Mutter und wie er bis heute damit hadert.

Ganz am Ende zählen sie beide auf, wem dieses Album gewidmet ist: „For the truth tellers tied to the whippin’ post, left beaten, battered, bruised / For the ones whose body hung from a tree like a piece of strange fruit.“Und im Allgemeine­n für all jene, die nie gehört werden. Ein mächtiges Manifest den Machtlosen.

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