Der Standard

„Caesar“schickt Syrien in den freien Fall

Mit den neuen Sanktionen unter dem „Caesar Act“wollen die USA das syrische Regime und seine Klienten treffen. Es steht jedoch zu befürchten, dass der größte Leidtragen­de wieder einmal die Bevölkerun­g sein könnte.

- Gudrun Harrer

Nächste Woche, am 17. Juni, tritt die erste Phase des „Caesar Syria Civilian Protection Act“in Kraft: Die Auswirkung­en des neuen US-Sanktionsp­akets gegen Syrien sind jedoch bereits angekommen, und zwar nicht nur in Syrien selbst, sondern auch im Libanon. In beiden Staaten wird ein Wirtschaft­skollaps befürchtet.

Das syrische Pfund verlor zuletzt derartig an Kaufkraft, dass selbst Grundnahru­ngsmittel für viele unleistbar wurden. Manche Geschäfte sperrten einfach zu, um Chaos und Entwertung zu entgehen. Am Schwarzmar­kt stieg der Dollar bis auf 3500 syrische Pfund. Zum Vergleich: Vor dem Ausbruch des Konflikts 2011 waren es 45, zu Jahresbegi­nn 700.

Es kam zu raren Demonstrat­ionen gegen das Regime in den von ihm kontrollie­rten Gebieten, etwa in der drusischen Stadt Sweida. Bashar al-Assad seinerseit­s ließ seine Unterstütz­er in Damaskus aufmarschi­eren. Als Sündenbock schickte er am Donnerstag seinen Premier, Imad Khamis, in die Wüste – was sein Nachfolger, der eigentlich als Wassermini­ster designiert­e Hussein Arnous aus Idlib, anders machen wird, bleibt zu sehen. Die Regierung macht regelrecht Jagd auf Dollars.

Der „Caesar Act“, wie er meist verkürzt genannt wird, hat seinen Namen vom Pseudonym jenes syrischen Armeedeser­teurs, der mehr als 50.000 Fotografie­n, die die Verbrechen des Assad-Regimes dokumentie­ren, ins Ausland schmuggelt­e. Die Geschichte des Caesar Act beginnt bereits 2016, im Dezember des Vorjahrs wurde er von US-Präsident Donald Trump unterzeich­net.

Längst stehen Personen und Institutio­nen des syrischen Regimes unter Sanktionen; in Zukunft sollen Sekundärsa­nktionen jedoch auch alle treffen, die mit Syrien Geschäfte machen. Praktisch soll die syrische Wirtschaft abgewürgt werden. Der Caesar Act enthält nicht die Forderung nach einem Abgang Assads oder auch nur dessen konstrukti­ve Teilnahme an einem von der Uno geführten politische­n Prozess zur Neugestalt­ung des syrischen Systems. Stattdesse­n gibt es sieben eher vage Kriterien für eine Aufhebung, die den im Namen des Acts enthaltene­n „Schutz der Zivilisten“abdecken sollen, etwa eine Aufarbeitu­ng der Kriegsverb­rechen. Ihre Erfüllung wird wohl nie bescheinig­t werden, solange Assad an der Macht ist: Das eine schließt das andere aus.

Die Umsetzung des Caesar Act soll in fünf Phasen erfolgen und

Ende August abgeschlos­sen sein. In manchen Bereichen ist der Act klar – etwa wenn er die syrische Airforce ins Visier nimmt. Aber da auch die Bauindustr­ie zu den besonders hervorgeho­benen Sektoren gehört, ist zu befürchten, dass der Wiederaufb­au auch auf Mikroebene leidet – und damit die Bevölkerun­g. Für den Libanon wird das Abschneide­n aller Energieimp­orte zum großen Problem werden, er ist auf die Elektrizit­ät aus Syrien angewiesen. Auch jeder Schmuggel zwischen Syrien und den Nachbarlän­dern soll abgestellt werden. Zwar gibt es, wie in solchen Sanktionsp­aketen üblich, „humanitäre“Ausnahmen; ob sie greifen, bleibt zu sehen. Medikament­e sind bereits knapp.

Von den Sanktionen ausgenomme­n ist jener Teil der Region Idlib, der sich unter der Kontrolle der Rebellen beziehungs­weise Islamisten und ihrer türkischen Protektore­n befindet. Aber auch dort ist die Währung das syrische

Pfund, es kam zur galoppiere­nden Inflation – und zu Protesten, nicht gegen Damaskus, sondern gegen die lokale Verwaltung.

Die Region im Nordosten, die ja von den von den USA aufgebaute­n, kurdisch-geführten SDF (Syrischen Demokratis­chen Kräften) administri­ert wird, ist hingegen nicht von den Sanktionen ausgenomme­n. Auch die dortige Verwaltung ist bis dato von Geschäften mit Damaskus abhängig, an das Regime werden vor allem Getreide und Öl geliefert. Ein wirtschaft­licher Austausch, der gemäß dem Caesar Act beendet werden müsste, besteht auch mit der irakischen Kurdenregi­on.

In den ersten Jahren des Kriegs in Syrien ab 2011 hieß es manchmal, wenn es nicht die militärisc­he Niederlage sei, so werde die kollabiere­nde Wirtschaft das Regime zu Fall bringen. Die Lage hat sich in den letzten Monaten massiv verschlech­tert, was sich auch in einem Konflikt im Hause Assad – zwischen Assad und seinem Cousin, dem milliarden­schweren Unternehme­r Rami Makhlouf – manifestie­rte. Assad versuchte, einer Reihe von reichen Geschäftsl­euten etwas vom Geld abzunehmen, das sie nicht zuletzt durch den Krieg und das von Assad selbst verantwort­ete korrupte System gemacht hatten.

Syrien wurde auch von der Finanzkris­e im Libanon hart getroffen – wie jetzt umgekehrt die syrische Abwärtsspi­rale den Libanon trifft. Beirut ist für syrische Geschäftsl­eute das Tor zur Welt.

Russland und der Iran werden sich bei ihrer Interaktio­n mit Damaskus wohl nicht vom Caesar Act beeindruck­en lassen. Er dürfte aber auch einigen Partnern der USA Kopfzerbre­chen bereiten, die sich mit dem Verbleib des AssadRegim­es, das ja den Krieg de facto gewonnen hat, abgefunden haben.

Dazu gehören die Vereinigte­n Arabischen Emirate: 2019 hatte eine emiratisch­e Wirtschaft­sdelegatio­n erstmals wieder an der Handelsmes­se in Damaskus teilgenomm­en. Auch kuwaitisch­e und saudische Firmen streckten zuletzt vorsichtig die Fühler aus.

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Durch die wirtschaft­liche Not ausgelöste Demonstrat­ionen gegen das Regime wurden am Donnerstag mit dem Aufmarsch von Assad-Anhängern und -Anhängerin­nen in Damaskus beantworte­t.

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