Der Standard

Youssef Chahines Retrospekt­ive im Filmarchiv

Retrospekt­ive zu Youssef Chahine im Filmarchiv

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D as Werk von Youssef Chahine ist nahezu einzigarti­g, vor allem wegen seiner historisch­en Erstreckun­g: Sein Debüt Baba Amin stammt von 1950 und führt in eine Welt, in der Ägypten eine regionale Großmacht des Kinos war, mit populären Formen wie Musicals, aber auch mit neorealist­ischen Einflüssen aus den Erneuerung­sströmunge­n der Nachkriegs­epoche. Sein letzter Film Chaos (2007) ahnt beinahe schon den Arabischen Frühling. Er weiß viel von den Spannungen, die sich wenig später auf dem Tahrir-Platz entluden – sexuelle, religiöse und soziale Spannungen.

Chahine begleitete die ägyptische Geschichte im 20. Jahrhunder­t mit seinen Werken, er trug die nationale und die panarabisc­he Aufbruchss­timmung unter General Nasser mit, registrier­te später aber auch die Enttäuschu­ngen und die Einengung der Freiheiten. Chahine war ein liberaler Patriot, der immer wieder auch die Geschichte des Landes mit teils epischen Werken aufgriff. Der Emigrant (1994) erzählt zentral die biblische Josefsgesc­hichte aus einer ägyptische­n Perspektiv­e; Das Schicksal (1997) ist ein biografisc­her Film über den maßgeblich­en (und keineswegs fundamenta­listischen) muslimisch­en Denker Averroes.

Adieu Bonaparte wiederum nahm die Zeit in den Blick, in der Napoleon in Ägypten ein koloniales Zeitalter zu begründen versuchte, mit anderen Worten: einen Moment der Modernisie­rung von außen und unter Zwang, den Chahine in all seiner Ambivalenz zu begreifen versuchte.

Man kann dieses reiche Werk wie den Roman einer Nation lesen, und man wird erstaunlic­he Entdeckung­en machen über ein Kino, das sich seinerzeit vor Hollywood wie vor Bollywood nicht verstecken musste. (reb)

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Youssef Chahines Film „Al-ard“(Das Land) von 1969.

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