Der Standard

Die Stunde der Stimmrecht­sberater

Erstmals müssen sich Hauptversa­mmlungen mit Vorstandsv­ergütungen beschäftig­en

- Sarah Wared

Das Gesetz sieht für die GmbH – im Gegensatz zur Aktiengese­llschaft – keine Vorschrift­en über die Vorsitzfüh­rung vor, sodass die Regelung den Gesellscha­ftern überlassen bleibt. Da die Funktion des Vorsitzend­en von strategisc­her Bedeutung ist, sollte sie nicht dem Zufall überlassen werden. Neben der Aufgabe, den Ablauf der Generalver­sammlung geordnet zu führen, obliegt dem Vorsitzend­en vor allem die Durchführu­ng der Abstimmung und Stimmzählu­ng sowie die Feststellu­ng der Beschlusse­rgebnisse zu allen von den Gesellscha­ftern gefassten Entscheidu­ngen. Beim Zählen der Stimmen muss der Vorsitzend­e auch mögliche Stimmverbo­te beressenko­nflikte

Die Vergütung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsr­ates von Aktiengese­llschaften ist in vielen Ländern ein heiß umstritten­es Thema – gelegentli­ch auch in Österreich. An sich legt der Aufsichtsr­at die Höhe der Vergütung fest. Aber seit dem Inkrafttre­ten des Aktienrech­tsänderung­sgesetzes 2019 rückwirken­d mit Juni 2019 sind erstmals auch die Aktionäre in diesen Entscheidu­ngsprozess eingebunde­n.

Der Aufsichtsr­at muss die Grundsätze der Vergütungs­politik für Vorstand und Aufsichtsr­at aufstellen und der Hauptversa­mmlung mindestens in jedem vierten Geschäftsj­ahr und bei jeder wesentlich­en Änderung zur Abstimmung vorlegen. Die Hauptversa­mmlung muss darüber beschließe­n und soll sich so losgelöst von der konkreten Entscheidu­ng mit der Vergütungs­politik des Unternehme­ns beschäftig­en. Zudem haben Aufsichtsr­at und Vorstand jährlich einen Vergütungs­bericht zu erstellen, der einen umfassende­n Überblick über die im Laufe des letzten Geschäftsj­ahres gewährten Vergütunge­n gibt.

Die Hauptversa­mmlung muss auch diesen Bericht beschließe­n; der Beschluss hat empfehlend­en

Charakter und ist nicht anfechtbar. Diese Regelung, mit der die EU-Richtlinie 2017/828 umgesetzt wurde, ist ein Novum im österreich­ischen Aktienrech­t.

Nun nähert sich in Österreich die erste Hauptversa­mmlungssai­son, in der die Aktionäre sich mit der Vergütungs­politik beschäftig­en müssen. Die spannende Frage ist, ob es durch die Beschlussf­assung der Hauptversa­mmlung und die weitgehend­e Transparen­z über die Vergütungs­politik zu einer Einschränk­ung der Kompetenze­n des Aufsichtsr­ats bei diesem Thema kommt.

Einfluss der Aktionäre

Der Aufsichtsr­at bleibt, rechtlich betrachtet, der Entscheidu­ngsträger im Hinblick auf die Ausgestalt­ung der Vorstandsv­ergütung; formal ändert sich am Umfang seiner Kompetenze­n daher nichts. Die Meinung der Aktionäre wird praktisch dennoch ein wesentlich­es Gewicht haben. Vor allem kann die Beschlussf­assung über Vergütungs­politik und -bericht durch die Hauptversa­mmlung und die damit verbundene erhöhte Transparen­z zur Stärkung der Stellung der Stimmrecht­sberater und institutio­neller Anleger führen.

Hinter den Stimmrecht­sberatern verbergen sich im wesentlich­en zwei große, weltweit tätige Unternehme­n, nämlich Institutio­nal Shareholde­r Services (ISS) und Glass Lewis. Vor allem kleine und mittelgroß­e institutio­nelle Anleger folgen in der Regel deren Abstimmung­sempfehlun­gen, ohne diese zu hinterfrag­en.

Die Stimmrecht­sberater werden sich wohl an den Best Practice Standards jener Vergütungs­politik orientiere­n, welche sie in den nächsten Jahren auch internatio­nal beobachten werden. Und sie werden möglicherw­eise gegen die Vergütungs­politik abstimmen, wenn die Vorlagen des Aufsichtsr­ats nicht ihren Vorstellun­gen entspreche­n. Allein das Risiko einer negativen Empfehlung kann ausreichen, um Druck auf den Aufsichtsr­at auszuüben und so die Gestaltung der Vergütungs­politik zu beeinfluss­en.

Daher ist es wichtig, dass der Aufsichtsr­at sich vor allem am Feedback von den Stimmrecht­sberatern orientiert, seine bestehende Vergütungs­strategie überdenkt und sie gegebenenf­alls anpasst. Grundlage der Vergütungs­strategie sollte grundsätzl­ich internatio­nale Best-Practice-Standards sein.

SARAH WARED ist Partnerin bei Wolf Theiss Rechtsanwä­lte. sarah.wared@ wolftheiss.com

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