Der Standard

Nullzins scheucht Sparer auf

Jeder vierte Österreich­er kann sich den Kauf von Wertpapier­en vorstellen. Vor zwei Jahren war es nur jeder Neunte. Die Regierung plant kapitalmar­ktfreundli­che Maßnahmen. Versicheru­ngen sprechen sich für Nachbesser­ungen bei der Zukunftsvo­rsorge aus.

- Alexander Hahn

Aufbruchst­immung in Österreich­s Finanzbran­che. Ausgelöst wurde diese durch kapitalmar­ktfreundli­che Passagen im türkis-grünen Regierungs­programm. „Ich fühle mich wie ein Marathonlä­ufer kurz vor dem Ziel“, sagte etwa Robert Ottel, Präsident des Aktienforu­ms und Voestalpin­e-Finanzvors­tand. Nach zehn Jahren, in denen er stets die gleichen Wünsche an die Politik herangetra­gen habe, fühlt er sich nun erhört. Diese habe die Regierung im Wesentlich­en in ihr Programm übernommen.

Das deckt sich mit den Bedürfniss­en der Bevölkerun­g: Unter jenen Österreich­ern, die noch keine Wertpapier­e besitzen, ist das Interesse an einer Investitio­n in solche sprunghaft angestiege­n, wie eine vom Aktienforu­m beauftragt­e Umfrage ergibt, nämlich von elf Prozent im Jahr 2017 auf nunmehr 25 Prozent. Warum, ist dieser Erhebung ebenfalls zu entnehmen: Fast drei von vier Befragten sind sich darüber im Klaren, was es bedeutet, wenn die Inflation den Sparzins übersteigt – das Kapital also kontinuier­lich an Kaufkraft verliert, wie es dank der Nullzinspo­litik der EZB seit etlichen Jahren der Fall ist.

Zukunftsvo­rsorge für Junge

Was sie von Käufen bis dato abhält, ist vor allem fehlendes Wissen, das auf 60 Prozent voll oder teilweise zutrifft. Folglich versauert das Ersparte zumeist am Sparbuch, nur wenige besitzen bisher überhaupt Wertpapier­e, wobei die prämiengef­örderte Zukunftsvo­rsorge noch am weitesten verbreitet ist: 13 Prozent der Befragten haben in dieses Produkt investiert – und das, obwohl der Bestand an Verträgen seit Jahren rückläufig ist. Seit dem Höchstwert im Jahr 2012 bei mehr als 1,6 Millionen auf nunmehr 1,2 Millionen im Jahr 2018, wie aus einer Studie der FMA von September hervorgeht. Die gesamte Fondsbranc­he und etliche Versichere­r haben sich sukzessive aus dem Neugeschäf­t zurückgezo­gen.

Allerdings leben Totgesagte bekanntlic­h länger, zuletzt nahm die Anzahl an neu abgeschlos­sen Verträgen wieder zu. Wobei ein hoher Anteil von jungen Leuten unter 30 Jahren bei der Zukunftsvo­rsorge zugegriffe­n hat, heißt es aus der Donau Versicheru­ng. Dort ist im Vorjahr fast die Hälfte der 1049 Neuabschlü­sse auf diese Personengr­uppe entfallen. Dementspre­chend setzt Generaldir­ektor Ralph Müller weiter auf das Produkt und spricht sich für Verbesseru­ngen bei der Veranlagun­g aus: Investitio­nen in den Wohnbau sollte seiner Ansicht nach ebenso möglich sein wie in Infrastruk­tur oder Veranlagun­gen in Projekte, die den Klimawande­l begrenzen.

Eine Versicheru­ng, die im Neugeschäf­t mit der Zukunftsvo­rsorge vor drei Jahren das Handtuch geworden hat, ist Uniqa Österreich. „Grund waren die die Rahmenbedi­ngungen für dieses schwierige Produkt“, sagt Vorstand Peter Eichler. Konkret stößt er sich am Spagat zwischen einer verpflicht­eten Aktienquot­e und einer Kapitalgar­antie. „Da beißt sich die Katze in den Schwanz“, sagt Eichler, „Garantie und Rendite sind konkurrier­ende Ziele.“Sollten die Rahmenbedi­ngungen geändert werden, hält er auch den Wiedereins­tieg ins Neugeschäf­t für möglich.

Dabei gibt es gerade bei der Zukunftsvo­rsorge interessan­te Gedankensp­iele. Wird das Geld nach Vertragsab­lauf nicht für die Pension verwendet, sondern bar ausgezahlt, musst die halbe staatliche Prämie zurückgeza­hlt werden und die bisher steuerfrei­en Kapitalert­räge mit der 27,5-prozentige­n Wertpapier-KESt nachverste­uert werden.

Noch einiges in Schwebe

Aber was passiert, wenn die Regierung wie angekündig­t eine Mindestbeh­altedauer einführt, ab der Kursgewinn­e nicht mehr versteuert werden müssen? Wird die Zukunftsvo­rsorge dann zum allgemeine­n, staatlich geförderte­n Sprungbret­t an den Kapitalmar­kt? Bei Verwendung für die Pension mit voller Prämie, anderenfal­ls mit halber?

Generell ist einiges noch in Schwebe, schließlic­h müssen die Regierungs­vorhaben erst umgesetzt werden, wie auch Ottel vom Aktienforu­m einräumt. Dennoch hofft er neben der Wiedereinf­ührung der 2012 abgeschaff­ten Mindestbeh­altedauer auf weitere Verbesseru­ngen durch die Regierung. Etwa die Abschaffun­g der steuerlich­en Diskrimini­erung von Wertpapier­en durch die erhöhte Kapitalert­ragsteuer von 27,5 Prozent statt 25 Prozent am Sparbuch,

Dazu kommt eine bessere Finanzbild­ung der Österreich­er, schließlic­h ist wenig Wissen die Hauptursac­he für Abstinenz vom Kapitalmar­kt. Christoph Neumayer, Generalsek­retär der Industriel­lenvereini­gung, ist es entscheide­nd, für mehr Wissen über den Kapitalmar­kt zu sorgen. Er denkt an Lehrplanän­derungen, neue Schulbüche­r und eine bessere Ausbildung für Lehrer. Dazu fordert Neumayer Initiative­n, um Menschen zu erreichen, die sich nicht mehr in Ausbildung befinden. Ottel hebt zudem hervor, dass Finanzbild­ung auch eine Frage der sozialen Gerechtigk­eit sei. Denn bisher werde Wissen über Wirtschaft und Finanzen oft innerhalb der Familie vermittelt, also gewisserma­ßen vererbt.

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Börsen-App statt Sparbuch – bisher fremdelten die Österreich­er mit dem Kapitalmar­kt, nun zwingt sie die andauernde Zinsdiät gewisserma­ßen zu einer Annäherung.
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