Der Standard

Angriff der bösen Geister

Wer in Nigeria an Lepra erkrankt, muss sich neben gesundheit­lichen Problemen so manches Mal Spott und Schande gefallen lassen

- Katrin Gänsler aus Oji River und Abakaliki

Felix Onwuamah sitzt vor der Tür seiner kleinen Wohnung. Seit 22 Jahren lebt der 60-Jährige schon in der Siedlung Oji River im Südosten Nigerias. Er fühlt sich hier zu Hause. Ganz freiwillig ist der hagere Mann, der einst als Händler und Schweißer gearbeitet hat, jedoch nicht hergezogen. Felix Onwuamah schaut immer wieder auf seine Hände, die der Grund dafür waren. Die Finger haben sich zurückgebi­ldet, das Gefühl hat er schon vor vielen Jahren verloren. Auch das Gehen fällt ihm schwer. Er kann sich weder allein waschen noch ins Bett hieven. In den 1990er-Jahren erkrankte er an Lepra und wohnt deshalb in einer speziellen Siedlung für Patienten, die es bis heute überall in Nigeria gibt.

Diagnostiz­iert wurde die Krankheit 1996, nachdem Onwuamah schon eine vierjährig­e Odyssee hinter sich hatte. Er wurde immer schwächer, Ärzte tippten auf Malaria, Bekannte auf einen spirituell­en Angriff böser Geister. In seinem Umfeld sei jemand, der ihn jagt, waren sie sicher. Als klar war, dass er an Lepra litt, war er auch nach der Behandlung längst zu schwach, um zu arbeiten.

Auf Almosen angewiesen

Kein eigenes Geld mehr verdienen zu können und auf Almosen angewiesen zu sein, darunter leiden viele Betroffene, sagt Cecilia Igbokwe. Die Sozialarbe­iterin betreut seit 2012 die Siedlung. Knapp 100 Patienten leben hier, mit den Angehörige­n sind es rund 300. Mitunter gelten die Siedlungen als nicht mehr zeitgemäß.

Cecilia Igbokwe erlebt jedoch auch, dass viele Bewohner ihre Verwandten nicht einmal mehr besuchen wollen. „Sie haben Angst, im Dorf diskrimini­ert zu werden. Dieses Problem haben sie hier nicht.“Spott und böses Gerede

hat Felix Onwuamah selbst nicht direkt erlebt. Doch auch in seinem Dorf sagten Bekannte und Nachbarn ihm schnell: „Es ist wohl besser, wenn du wegziehst.“

Dabei ist die Infektions­krankheit weitaus weniger ansteckend, als meist angenommen – und sogar heilbar. Um Folgeschäd­en zu vermeiden, ist jedoch eine frühzeitig­e Diagnose wichtig. Allerdings

Felix Onwuamah leidet seit 24 Jahren an Lepra.

müssten Ärzte auch mit den Symptomen vertraut sein. Das sei bei jungen Ärzten heute nicht mehr immer der Fall, sagt Arne Utermark, Landesleit­er der Deutschen Lepra- und Tuberkulos­ehilfe in Nigeria. Weiterbild­ungen seien deshalb dringend erforderli­ch. „Man denkt immer, Lepra gehöre der Vergangenh­eit an. Das ist aber nicht der Fall“, so Utermark.

Das zeigen auch Zahlen der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO). Die Statistik 2018 spricht von weltweit 208.619 neu registrier­ten Fällen. Im Vergleich zu 2009 ist die Zahl um 15 Prozent gesunken, eine Entwarnung bedeutet das jedoch keinesfall­s. Für Nigeria werden heuer 2000 bis 3000 Neuinfekti­onen prognostiz­iert. Neben Afrika sind Asien und Lateinamer­ika betroffen.

Wie anstrengen­d ein Leben mit Lepra ist, weiß am Rande von Abakaliki, Provinzhau­ptstadt des Bundesstaa­tes Ebonyi, auch Salome Edeh. Die alte Frau, die sich beim Gehen auf einen Stock stützen muss, erkrankte schon als Kind. Doch zehn Jahre lang wurde sie nicht behandelt. „Zuerst fiel es gar nicht auf, und ich spielte ganz selbstvers­tändlich mit den anderen Kindern. Dann wusste man lange nicht, was es war“, erinnert sie sich. Später erhielt sie eine Kombinatio­nstherapie, dennoch leidet sie an Geschwüren und zeigt auf den rechten Fuß, der in einem weißen Verband steckt: „Der will einfach nicht heilen.“

Neben dem immer knappen Geld und den Bettelanru­fen bei seiner Familie fragt sich auch Felix Onwuamah so manches Mal, wie es in Zukunft um seine Gesundheit bestellt sein wird. „Ich wünsche mir so sehr, dass es doch noch besser wird.“Er schweigt einen kurzen Moment und schaut dabei auf seine Hände. „Am meisten würde ich mir allerdings wünschen, noch einmal in meinem Leben etwas in den Händen halten zu können.“

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