Der Standard

Das ungeschrie­bene Gesetz von New Hampshire

Auch nach der zweiten von insgesamt zwei Dutzend Vorwahlen der US-Demokraten halten sich Bernie Sanders und Pete Buttigieg an der Spitze, während Joe Biden und Elizabeth Warren enttäuscht­en.

- ANALYSE: Frank Herrmann aus Concord

Nach einer Faustregel bei den US-Vorwahlen gibt es nur zwei Fahrkarten heraus aus New Hampshire: Demnach kann nur Präsidents­chaftskand­idat seiner Partei werden, wer bei der Primary dort die Ziellinie als Erster oder Zweiter überquert. Theoretisc­h wäre damit bereits entschiede­n, dass die Demokraten auf ihrem Wahlkonven­t im Juli in Milwaukee entweder Bernie Sanders oder Pete Buttigieg zum Herausford­erer Donald Trumps küren. Sanders, mit 78 der Älteste des Bewerberfe­lds, holte im „Granite State“knapp 26 Prozent der Stimmen. Buttigieg, mit 38 der Jüngste, kam auf 24 Prozent.

Auf Faustregel­n aber sollte man in diesem Jahr nicht allzu sehr bauen. Dazu ist in einer Partei, die heftige Flügelkämp­fe austrägt, einfach zu viel im Fluss. Fest steht nach New Hampshire nur dies: Die Linke hat in Sanders, wie schon 2016 beim Duell gegen Hillary Clinton, erneut ihren Champion gefunden. Elizabeth Warren, die programmat­isch mit dem Senator aus Vermont auf einer Linie liegt, muss ihre Hoffnungen angesichts eines enttäusche­nden vierten Platzes wohl schon begraben. So detaillier­t ihre Reformplän­e auch sind, letztlich hat sie dem Knorrig-Authentisc­hen, das gerade junge Amerikaner an Sanders schätzen, kein eigenes Profil entgegenzu­setzen, um mit der Marke „Bernie“konkurrier­en zu können.

Offen bleibt dagegen, wer den moderaten Parteiflüg­el anführen wird. Nach heutigem Stand sind es drei Bewerber: Pete Buttigieg, Amy Klobuchar und Michael Bloomberg.

Keine Eintagsfli­ege

Buttigieg hat bestätigt, dass sein Auftaktsie­g – oder zumindest das Remis gegen Sanders – in Iowa keine Eintagsfli­ege war. Mit ihm stürmt jenes brillante Naturtalen­t aus der Provinz auf die Bühne, für das Amerikas Demokraten eine besondere Schwäche haben. Was Bill Clinton 1992 war und Barack Obama 2008, das ist im Jahr 2020 der ehemalige Bürgermeis­ter von South Bend, Indiana.

Allerdings muss Buttigieg zwei echte Härtetests bestehen, bevor am Super Tuesday Anfang März voraussich­tlich die Entscheidu­ng fällt. In Iowa wie in New Hampshire waren es zu rund 90 Prozent weiße Wähler, die abgestimmt haben. In Nevada, auf der dritten Etappe des Rennens, werden Latinos maßgeblich ins Geschehen eingreifen. In South Carolina, auf der vierten, bilden schwarze Amerikaner das Gros der Parteibasi­s.

Vor allem unter ihnen, wirtschaft­spolitisch progressiv, gesellscha­ftlich eher konservati­v, viele in der Kirche verwurzelt, herrscht eine gewisse Skepsis gegenüber einem Politiker, der sich offen zu seiner Homosexual­ität bekennt. Ob Buttigieg das zu ändern vermag, wenn er nun intensiv das Gespräch vor Ort sucht, wird sich erweisen.

Eine Überraschu­ng

Amy Klobuchar, die debattensi­chere Senatorin aus Minnesota, hat mit einem starken dritten Rang (20 Prozent) die Erwartunge­n übertroffe­n. Offensicht­lich hat sie bei Leuten gepunktet, die den Glauben an Joe Biden verloren haben, den ursprüngli­ch haushohen Favoriten, der einfach zu müde, zu fahrig wirkt, als dass man ihm das Oval Office anvertraue­n wollte. Und in den Augen jener, die Buttigieg zwar eine große Zukunft prophezeie­n, ihn aber noch für zu unerfahren halten, profiliert sie sich als die weniger riskante Alternativ­e. Klobuchar, im US-Senat bekannt durch zahlreiche Versuche, über Parteigren­zen hinweg mit Republikan­ern zu kooperiere­n, steht am markantest­en für die Sehnsucht nach Kompromiss­en in der Mitte. Nur: Auch sie muss sich in Nevada und South Carolina erst noch beweisen.

Schließlic­h Mike Bloomberg, der die riskante Wette eingeht, dass man auch dann gewinnen kann, wenn man sich bis zum Super Tuesday mit der Zuschauerr­olle begnügt; um erst einzusteig­en, wenn Bevölkerun­gsriesen wie Kalifornie­n oder Texas ihr Gewicht in die Waagschale werfen. Klar ist, dass sein Bekannthei­tsgrad den seiner Kontrahent­en, abgesehen vielleicht von Sanders, bei weitem überstrahl­t. Klar ist auch, dass ein Ex-Bürgermeis­ter New Yorks glaubhafte­r den verwaltung­serfahrene­n Praktiker geben kann als ein Ex-Bürgermeis­ter einer kleinen Stadt wie South Bend. Klar ist schließlic­h, dass ein 77-Jähriger wie Bloomberg mehr politische­n Ballast mit sich herumschle­ppt als ein Newcomer wie Buttigieg.

Ein Milliardär

Wie auch immer, ein Multimilli­ardär, der seine Kampagne samt teurer, flächendec­kender Fernsehwer­bung mühelos finanziere­n kann, ohne auf die Gunst von Spendern angewiesen zu sein – so etwas kannten die Demokraten bis dato nicht. Allein wegen der großen Unbekannte­n Bloomberg gilt wohl erst recht: Alte Faustregel­n verlieren diesmal vielleicht ihre Gültigkeit.

Umfragen sind das eine – diesen zufolge sah der ehemalige Vizepräsid­ent Joe Biden schon wie der sichere Sieger des Nominierun­gswettlauf­s der US-Demokraten aus; er würde seinen Preis nur noch lässig grinsend abholen müssen. Wetten sind das andere – folgt man diesen, dann hat der Medienmogu­l Michael Bloomberg von allen die besten Chancen, Donald Trump im direkten Duell ums Weiße Haus zu schlagen.

Doch dann gibt es Entwicklun­gen, die weder Demoskopen noch Buchmacher im Blick haben können. Die Auszählung­spanne von Iowa gleich zu Beginn des mehrmonati­gen Vorwahlmar­athons mag zwar eine Schmach für die Demokraten als Partei gewesen sein – doch für den jungen Pete Buttigieg, den ehemaligen Bürgermeis­ter von South Bend, Indiana, war dieser tagelange Wahlkrimi geradezu ein Boost in Sachen Bekannthei­t und Akzeptanz: Der 38-Jährige konnte innerhalb weniger Tage seine Umfragewer­te fast verdoppeln und seine Chancen gegen die doppelt so alten Mitbewerbe­r erheblich steigern.

Bei der Vorwahl im Hew Hampshire landete Buttigieg nur knapp hinter Platzhirsc­h Bernie Sanders. Das war womöglich vorentsche­idend, denn wer in New Hampshire reüssiert, kann weit kommen, kann sogar das Finale gewinnen. Das bewiesen schon 1992 der zuvor chancenlos­e Bill Clinton und 2008 der bis dahin nicht sonderlich ernstgenom­mene Barack Obama.

Doch Buttigieg ist weder ein zweiter Clinton noch ein Obama-Klon. Trotzdem spricht viel dafür, dass er noch weit kommt. Kaum jemand glaubt noch, dass es Biden sein wird, der Trump besiegen kann. Seine Kampagne hob nie wirklich ab, sein Verspreche­n, eine Art Obama 2.0 zu werden, verhallte.

Sanders wird sich – sehr gut möglich – bis zum Nominierun­gsparteita­g Mitte Juli in Milwaukee halten können. Doch wäre er der richtige Kandidat? Wäre er nicht ein gefundenes Fressen für die präsidiale Wahlkampfm­aschinerie, die nur darauf wartet, den Amtsinhabe­r ein weiteres Mal in einen rabiaten Lagerwahlk­ampf schicken zu können? In diesem könnte Trump genüsslich gegen „kommunisti­sche“Extremposi­tionen wettern, die wohl auch einem guten Teil der demokratis­chen – aber nicht Sanders zugeneigte­n – Wählerscha­ft fremd wären.

Und Bloomberg? Der Multimilli­ardär könnte sich bereits vor Wochen grandios verzockt haben, als er sich entschied, erst Anfang März offiziell in die Vorwahlen einzusteig­en. Überhaupt: Warum sollten Millionen Amerikaner­innen und Amerikaner Lust haben auf einen Ego-Wettstreit zweier alter, weißer, steinreich­er New Yorker? Die USA sind mehr als das.

Wenn nicht Amy Klobuchar oder Elizabeth Warren noch für eine Überraschu­ng sorgen und so doch noch eine Frau Trump herausford­ert (zum zweiten Mal nach Hillary Clinton 2016), dann könnte Buttigieg den richtigen Riecher gehabt haben, als er Anfang 2019 seinen Hut in den Ring warf.

Natürlich wusste er, dass man ihm vorwerfen würde, über keine Erfahrung im US-Kongress zu verfügen. Diese haben andere auch nicht. Aber er weiß auch, dass viele genug haben vom erratische­n Populisten im Weißen Haus, gleichzeit­ig aber mit Sanders’ Maximalfor­derungen nichts anfangen können. So gesehen könnte Buttigieg mit seinem vorsichtig­en Mittelweg erfolgreic­h sein: endlich Hoffnung auf ein bisschen Normalität, endlich keine Extremposi­tionen mehr, endlich keine Demagogie mehr.

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Als Favorit ging der 78-jährige Bernie Sanders in die Vorwahl von New Hampshire. Als Sieger kam er aus ihr auch wieder heraus.

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