„Affäre muss für Europa ein Weckruf sein, autonomer zu werden“
Der Geheimdienstexperte Thomas Riegler sieht in der nun aufgedeckten Abhöraffäre jahrzehntealte Gerüchte bewiesen
STANDARD: Was interessiert BND und CIA am kleinen Österreich? Riegler: Als Standort von vielen internationalen Organisationen ist Österreich von vornherein hochinteressant für Spionage. Im Kalten Krieg war das Land außerdem ein wichtiger Begegnungsort zwischen Ost und West. Österreich hatte aber auch spezielle Informationsquellen, wo es sich wohl ausgezahlt hätte „mitzunaschen“: Bundeskanzler Bruno Kreisky knüpfte etwa enge Kontakte in den Nahen Osten, hatte ein Vertrauensverhältnis mit (PLO-Chef, Anm.) Yassir Arafat und (Libyens Staatschef, Anm.) Muammar Gaddafi. Und mit dem „Wiener Club“hatte Österreich Ende der 1970er-Jahre eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit der BRD, Frankreich, Italien und der Schweiz initiiert.
STANDARD: Hat die Aktion Rubikon die Welt sicherer gemacht – oder unsicherer?
Riegler: Die Operation dürfte sehr detaillierte Einblicke in die Absichten und Pläne der Gegenseite ermöglicht haben. Insofern hat es sicher zu einer realistischen Bedrohungseinschätzung beigetragen. Gerade im spannungsgeladenen Kalten Krieg war das von großem Nutzen. Zwar waren die Sowjetunion und China keine Kunden der Crypto AG, aber dafür einige der sogenannten „Schurkenstaaten“im Nahen Osten: Irak, Iran, Libyen und Syrien. Auch wenn viele Erkenntnisse also aus „zweiter Hand“stammten, waren sie sicher willkommen.
STANDARD: Gab es in Expertenkreisen schon früher Gerüchte zum Thema?
Riegler: Den Verdacht gegen die Crypto AG gibt es schon seit den 1980er-Jahren. Ronald Reagan hat 1986 die Beweise gegen Libyen für einen Bombenanschlag in Westberlin als „direkt“, „präzise“und „unwiderlegbar“bezeichnet. Es hieß, es sei Kommunikation abgefangen worden. Das ließ aufhorchen. Als dann der Iran 1992 einen Crypto-AG-Manager ein Jahr in Einzelhaft gehalten hat, war die Katze im Grunde aus dem Sack. Aber erst jetzt wissen wir über das genaue Ausmaß der Operation Rubikon Bescheid.
STANDARD: Sollten die manipulierten Geräte auch hierzulande eingesetzt worden sein: Wer hat einen Fehler gemacht?
Riegler: Für solche Bewertungen fehlen noch handfeste Belege. Eine Schweizer Firma war natürlich auf den ersten Blick unverdächtig. Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Auch für Spionage gilt: „Hiding in plain sight“ist am effektivsten.
STANDARD: Welche Konsequenz muss die Politik aus der Affäre jetzt ziehen?
Riegler: Die aktuelle Kontroverse um Huawei und die KasperskyAntivirensoftware (aus China respektive aus Russland, Anm.) ist ein gutes Beispiel, wie das heute funktioniert. Der Einbau von Hintertüren und andere Manipulationen können da nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Gerade für Europa ist es ein Weckruf, in Sachen Kommunikationstechnologie autonomer zu werden.
120 Staaten sollen von der CIA und dem deutschen BND abgehört worden sein. Dass auch Österreich betroffen sein soll, wundert Thomas Riegler nicht.
THOMAS RIEGLER (43) ist Historiker und Affiliated Researcher am Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies.