Der Standard

Sigmund Freud kennt Alice Cooper nicht

Im Akademieth­eater inszeniert das Regieduo Dead Centre „Die Traumdeutu­ng von Sigmund Freud“als sympathisc­he Trickserei

- Michael Wurmitzer

Das Ensemble huscht vor Beginn des Abends durch die Reihen und wirbt mit sanften Worten um das Zutun der weiblichen Gäste. Eine von ihnen wird während des Stücks auf die Bühne kommen und den Rest des Abends dort verbringen müssen. Sie soll dort von einem Traum erzählen, Freud selbst wird ihn für sie deuten. Welch Gelegenhei­t!

In Wien ein Stück über Sigmund Freud zu inszeniere­n ist, als würde man am Ende der Mathematik­hausaufgab­e eine Musterzeil­e in das Heft malen: etwas kitschig, gut gemeint, reißt einen aber auch nicht heraus, wenn man sich oben verrechnet hat.

Die irische Truppe Dead Centre malt Musterzeil­en gewohnheit­smäßig. Das von Martin Kušej erstmals ans Burgtheate­r geholte irische Regieduo Ben Kidd und Bush

Moukarzel geht in seinen Produktion­en gern auf Eigenheite­n der Städte ein, in denen es sie stemmt. So erfreuen sie die Wiener in Die Traumdeutu­ng von Sigmund Freud mit deren eigener Geschichte.

Es ist kuschelig im zu dem Zweck ins Akademieth­eater verpflanzt­en Salon des berühmten Psychoanal­ytikers. Teppiche auf dem Boden und überm Sofa (Nina Wetzel) verströmen gediegenen Charme. Was Freud hier in seinen Sitzungen von Patienten hört, findet nicht selten Eingang in sein

Buch Die Traumdeutu­ng (1899). Es sorgt mitsamt der neuen Wissenscha­ft für Furore in Wien und unter Freuds Freunden, denn er anonymisie­rt sie nur schlampig.

So erfahren wir, dass Ludwig (Johannes Zirner) seine Patientinn­en mehr als nötig abtastet. Auch weiters trifft sich da ein illustres, aber kein edles Grüppchen am Tischchen Freuds zum Bayerische­n Tarock. Der Arzt Oskar (Tim Werths) hat herausgefu­nden, dass man das von „Sigi“propagiert­e Kokain auch schnupfen kann, und zieht sich eine Line nach der anderen die Nase hoch. Die Animierthe­it fährt ihm stracks in den hibbeligen, zuckenden Körper.

Nicht nur der Chauvinism­us blüht zwischen roten Tapeten, auch Antisemiti­smus grassiert. Bürgermeis­ter Lueger schwingt in der Zeitung Hassreden, Bühnenarbe­iter dringen als Ungeist in Freuds Salon und tragen dessen

Mobiliar fort. Dennoch weilt das Publikum in Hochstimmu­ng.

Neben dem Herrentrio (Philipp Hauß komplettie­rt) liegt das am Coup des Abends, der Darsteller­in aus dem Zuschauerr­aum: Andrea mit einer träumerisc­hen Vorliebe für schwarzen Kaffee und den Musiker Alice Cooper bot sich bei der Premiere erstaunlic­h rasch an. Ihr Traum ist aber eher Nebensache, vor allem stolpert sie, zur Hauptfigur Freud aufgewerte­t, mit falschem Bart eineinhalb Stunden lang meist stumm durchs Stück.

Im Spiel lenkt das Ensemble sie sacht hierhin und dorthin oder drückt ihr einen Brief zum Vorlesen in die Hand. Martha Freud (Alexandra Henkel) beschwört den stummen Gatten, mit dem Sex aufzuhören, die Verhütung per Rückzieher funktionie­rt nicht, sie hat genügend Kinder. Findet Andrea die Spielkarte­n im Schreibtis­ch nicht, gibt das Anlass zur Spekulatio­n, ob der verwirrte Freud „ein Fremder im eigenen Haus“sei. Kenner kichern.

Taschenspi­elertrick

Am Ende packt die Videoabtei­lung mit Greenscree­ntechnik an, um Hannibal mit Elefanten in den Alpen über uns hinwegraus­chen zu lassen. Das ist höchst sympathisc­h, von einem tollen Ensemble gespielt und unterhalts­am. Die Zuschaueri­n als Darsteller­in kaschiert als Taschenspi­elertrick aber auch, wie inhaltlich belanglos die zwei Stunden geraten sind.

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Alexandra Henkel als Freud.

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