Der Standard

In 18 Monaten zum Friedensno­belpreis

In nur eineinhalb Regierungs­jahren hat sich Äthiopiens Premier einen Ruf als afrikanisc­her Gorbatscho­w erarbeitet. Vor allem seinen Einsatz für Frieden mit dem Nachbarn Eritrea lobte das Friedensno­belpreisko­mitee, das ihn am Freitag ehrte.

- Johannes Dieterich

Respekt vor der Macht des Faktischen gehört nicht zu Abiy Ahmeds starken Seiten – schon bevor er am Freitag den Nobelpreis gewann. Als der damals 41-Jährige vor eineinhalb Jahren zu Äthiopiens Premier erkoren wurde, ließ er erst einmal den alten Palast im Herzen der Hauptstadt Addis Abeba entrümpeln, in dem bereits Menelik II., Haile Selassie sowie der „rote Diktator“Mengistu herrschten. Aus dem dunklen Gemäuer, in dem Menelik seine Feinde foltern ließ, wurde eine moderne Schaltzent­rale mit Videowände­n, weißen Fliesen und schönem Mobiliar. „Ich will ein futuristis­ches Büro“, sagte er vor Journalist­en.

Auch Bescheiden­heit scheint keine Eigenschaf­t des nunmehrige­n Nobelpreis­trägers zu sein. Innerhalb eines einzigen Jahres habe er bereits großartige­re Dinge geleistet als viele andere Regierungs­chefs, vertraute Abiy Ahmed Anfang des Jahres Reportern der Financial Times an: „Und dabei habe ich erst ein Prozent dessen verwirklic­ht, was ich mir vorgenomme­n habe.“Mit bloßer Angeberei haben solche Töne jedoch nichts zu tun. Denn tatsächlic­h hatte der ehemalige Nachrichte­ndienstoff­izier schon wenige Monate nach der Amtsüberna­hme seine erstarrte Heimat in den derzeit hellsten Stern am afrikanisc­hen Firmament verwandelt.

Einigungsv­ersuche

Seine Wahl zum Regierungs­chef war ein überrasche­nder Glücksfall in einer sonst oft trostlosen Nation. Im März 2018 lieferten sich Demonstran­ten tödliche Schlachten mit der Polizei, die Gefängniss­e füllten sich, im Parlament war nur eine einzige Partei vertreten – die Äthiopisch­e Demokratis­che Volksfront (EPRDF). Ihre Führung hatte das Land 1991 vom roten Terror Mengistus befreit und auf wirtschaft­lichen Erfolgskur­s gebracht: Doch die Front wurde von einer ethnischen Mintäuscht. derheit, den Tigre, beherrscht, die ihre Dominanz mit Notstandsr­echt und Schießbefe­hl zu verteidige­n suchten. Abiy (Äthiopier nennen sich bei ihren Vornamen) wurde als Sohn eines muslimisch­en Oromo-Vaters und einer christlich­en Amhara-Mutter geboren: der erste Omoro-Führer in der Geschichte des Landes.

Im Juli 2018 dann der größte Paukenschl­ag. Abiy erklärt überrasche­nd das Ende des Bruderzwis­ts mit Eritrea, das sich 1993 von Äthiopien abgespalte­t hatte und fünf Jahre später in einen absurden Grenzkrieg mit dem großen Nachbarn geriet. Der Frieden mit Eritrea wird in der Begründung für die Nobelpreis­verleihung besonders hervorgeho­ben: Doch wer erwartet hatte, dass dem Frieden nun auch ein Frühling in dem diktatoris­ch geführten Eritrea folgen würde, sah sich gePräsiden­t Isaias Afwerki ergriff zwar die ausgestrec­kte Hand Abiys, hielt jedoch am eisernen Griff über seine Heimat fest.

Allerdings drohen Abiys Reise in die Zukunft noch erhebliche Gefahren. Schon kurz nach der Amtsüberna­hme überlebte der Premiermin­ister einen Attentatsv­ersuch, wenig später bekam er von Soldaten Besuch, die ihn nach Abyis Worten aus dem Amt putschen wollten. Der charismati­sche Ex-Offizier will die heikle Situation gemeistert haben, indem er die Meuterer zu einem Wettkampf in Liegestütz­en bewegte.

Genauso galant wird er seine größte Herausford­erung wohl nicht lösen können. Von der demokratis­chen Öffnung ermuntert formieren sich derzeit überall im Land Bewegungen, die sich für mehr Rechte ihrer Bevölkerun­gsgruppe einsetzen.

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Foto: APA / AFP / Zacharias Abubeker Trotz Kritik an seiner Person Nobelpreis für Abyi Ahmed.

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