Der Standard

Wie sich bei den Wahlkampfk­osten schummeln lässt

Die ÖVP soll zu hohe Ausgaben für den Wahlkampf verschleie­rt haben. Legale Kniffe oder Gesetzesve­rstoß? Was die Regeln erlauben, wie Parteien diese ausreizen können – und warum die Kontrolle zahnlos ist.

- Sebastian Fellner, Gerald John

Frage: Wie viel dürfen die Parteien für den Wahlkampf ausgeben?

Antwort: 7,14 Millionen Euro, so schreibt es das Parteienge­setz seit 2012 vor. Gerechnet werden die Ausgaben in den letzten 82 Tagen vor der Wahl. Für den diesjährig­en Urnengang am 29. September ergibt sich als Stichtag der 9. Juli.

Frage: Ganz schön viel Geld. Haben sich die Parteien in der Vergangenh­eit an diese Grenze gehalten?

Antwort: Nicht alle. Bei der Nationalra­tswahl 2017 haben die drei größten Parteien den Rahmen überzogen: Die SPÖ gab 7,4 Millionen aus, die FPÖ 10,7 Millionen, die ÖVP gleich 13 Millionen. Auch 2013 hat die Volksparte­i den Rahmen gesprengt – und bereits damals ziemlich wortgleich wie 2017 Besserung gelobt: Man werde ein effektives System zur internen Kontrolle installier­en.

Frage: Doch jetzt macht die ÖVP erst recht wieder Schlagzeil­en. Warum?

Antwort: Dem Falter wurden interne Dokumente zugespielt, die eine Art doppelte Buchhaltun­g der ÖVP zeigen: Demnach wurde in einem groben Budgetplan für die Nationalra­tswahl zwischen Ausgaben unterschie­den, die ins offizielle Wahlkampfb­udget einfließen, und solchen, die unter „Nicht-WK“– also Nicht-Wahlkampf – verbucht sind. Beide Posten zusammenge­zählt, kommt man auf Ausgaben von neun Millionen.

Frage: Erlaubt das Gesetz denn eine solche Trennung?

Antwort: Ja. Laufende Kosten, etwa für Personal, die auch außerhalb des Wahlkampfe­s anfallen, müssen nicht unter diesem Titel verbucht werden. Aber da gibt es Grauzonen. Zählen etwa Kugelschre­iber nur dann zum Wahlkampf, wenn „Wählt Kurz“draufsteht, oder auch dann, wenn nur „Kurz“zu lesen ist? Oder, anhand eines aktuellen, vieldiskut­ierten Beispiels: Die ÖVP hat die Kosten für Kurz’ sommerlich­e PR-Wandertour „Bergauf“nicht als Wahlkampfk­osten deklariert. Dabei wurde zumindest ein Tourfoto sogar für ein Wahlplakat verwendet.

Frage: Verstößt die ÖVP damit also gegen das Gesetz?

Antwort: Seine Partei halte sich genau an die Gesetze, beteuert Kurz. Franz Fiedler, Ex-Rechnungsh­ofpräsiden­t mit ÖVP-Hintergrun­d, will das nicht so einfach attestiere­n. Für die Argumentat­ion der ÖVP spricht, dass Kurz auch im Nichtwahlj­ahr 2018 vor Kameras wandern ging; doch wurde dafür heuer viel mehr Geld ausgegeben als im Vorjahr, das spräche dann wieder dafür, dass es sich doch um Wahlkampf handelte, sagt Fiedler: All das gehöre genau geprüft.

Frage: Geschieht das denn?

Antwort: Nein, bemängeln Experten. Der Unabhängig­e ParteienTr­ansparenz-Senat soll zwar bis sechs Monate nach der Wahl Schätzunge­n über die realen Wahlkampfk­osten liefern, und bis ein Jahr nach der Wahl müssen die Parteien ihre Ausgaben von Wirtschaft­sprüfern beglaubige­n lassen und dem Rechnungsh­of melden. „Doch das ist so, als wenn bei einem Mord die Kripo nicht selbst zum Tatort kommt, sondern einen Privatdete­ktiv schickt“, sagt Fiedler und fordert, dass der Rechnungsh­of selbst ad hoc direkt in die Parteifina­nzen Einschau halten dürfe. Auch die Prüfinstit­ution selbst wünscht sich diese Kompetenz, doch die großen Parteien legen sich bisher quer.

Frage: Steht nur die angebliche doppelte Buchführun­g in der Kritik?

Antwort: Nein. Es geht auch darum, dass die ÖVP laut Falter just wenige Tage vor dem Stichtag hohe Ausgaben für Werbeagent­uren in der Höhe von rund 900.000 Euro verbucht hat. Da liegt der Verdacht nahe, dass vorab Kosten für die Wahlkampag­ne beglichen wurden.

Frage: Erlaubt das Gesetz denn, dass rechtzeiti­g viel Geld rausgepulv­ert wird, um das Limit einzuhalte­n?

Antwort: Ja. Das hängt auch damit zusammen, dass die Abrechnung nach einer sehr einfachen Einnahmen-Ausgaben-Rechnung abgewickel­t wird. Das heißt: Selbst wenn eine Partei Plakatfläc­hen für den Intensivwa­hlkampf bucht, sind das nach dem Gesetz keine Wahlkampfk­osten, sofern die Rechnung vor dem Stichtag einlangt. Allerdings bedeute die formale Einhaltung einer Regel noch nicht, „dass man auch moralisch richtig handelt“, gibt Fiedler zu bedenken und sieht in dieser Praxis einen „Verstoß gegen den Geist des Gesetzes“. Der auf Parteifina­nzen spezialisi­erte Politologe Hubert Sickinger urteilt: Kurz habe das Gesetz ausgereizt – und „möglicherw­eise überreizt“.

Frage: Welche Strafen drohen bei Verstößen?

Antwort: Laut der im Juli beschlosse­nen Verschärfu­ng des Parteienge­setzes ist ein gestaffelt­er Strafrahme­n vorgesehen, der bei 15 Prozent des Überziehun­gsbetrags beginnt. Wird das Kostenlimi­t um mehr als die Hälfte überschrit­ten, wird die maximale Pönale von150 Prozent fällig.

Frage: Und wie halten das die anderen Parteien?

Antwort: Gute Frage – wir wissen es nicht. Alle Parteien beteuern, die Wahlkampfk­ostenoberg­renze einhalten zu wollen. Ob das tatsächlic­h passiert, erfahren die Wähler erst nach Veröffentl­ichung der Rechenscha­ftsbericht­e im Jahr 2021. Aktuelle Transparen­z lassen derzeit nur die Neos und die Grünen walten: Sie veröffentl­ichen alle Wahlkampfa­usgaben online, die Pinken tragen sogar jede einzelne Rechnung ein.

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