Der Standard

Martinsbüh­el- Opfer wollen bei Aufarbeitu­ng mitbestimm­en

Betroffene fühlen sich übergangen und fordern Aufklärung durch unabhängig­e Experten, Tiroler Volksparte­i schweigt weiter

- Steffen Arora

Innsbruck – Die Opfer von Martinsbüh­el sind außer sich. „Ich musste gestern noch zu meiner Psychateri­n, weil es mich so getroffen hat, das zu lesen“, sagt Frau J., die fünf Jahre Martyrium unter den Benediktin­er-Nonnen erdulden musste. Grund sind die Aussagen des Benediktin­er-Abtes Korbinian Birnbacher in der Donnerstag­sausgabe des Er hat die Schilderun­gen der Opfer, die von sexueller Gewalt und regelrecht­en Folterprak­tiken der Ordensschw­estern berichten, als „scheinheil­ig“bezeichnet.

Diese Aussage empört die Betroffene­n umso mehr, als Birnbacher auf Wunsch von Landes- hauptmann Günther Platter (ÖVP) jener Dreierkomm­ission angehört, die vom Land Tirol nun zur „historisch­en Aufarbeitu­ng“der Vorgänge im Mädchenhei­m Martinsbüh­el der Benediktin­erinnen eingesetzt wurde.

In einer neuerliche­n Stellungna­hme wies der Abt am Donnerstag darauf hin, dass er sehr wohl „konstrukti­v in der Kommission mitarbeite­n“wolle. Eine direkte Verantwort­ung seiner Erzabtei, die nur Eigentümer der Liegenscha­ft sei, schließt er aber aus.

Auslöser für die erneute Bildung einer Kommission waren die Schilderun­gen von Heidi F., die von 1978 bis 1985 in Martinsbüh­el war und im ihre Erlebnisse schilderte.

Auch Heidi F. ist fassungslo­s ob der Aussagen des Abtes und des Verhaltens der Landespoli­tik: „Es wird gegen unsere Interessen agiert.“Nach dem Artikel hätten sich alle „wie die aufgescheu­chten Hühner“verhalten und anscheinen­d gedacht, mit einer Kommission könne man kalmieren.

Zeit für Verantwort­ung

„Ich kann das Wort Kommission nicht mehr hören. Es wird wieder nichts passieren“, macht F. ihrem Frust Luft. Auch J. hat genug von den Ausflüchte­n: „Wir erzählen nun schon seit zehn Jahren. Es ist Zeit, endlich jemanden zur Verantwort­ung zu ziehen.“

Die Opfer sind sich einig, sie wollen Gerechtigk­eit. Und sie ver- stehen nicht, warum man zwar immer Vertreter der Kirche miteinbezi­eht, wenn es um die Aufarbeitu­ng geht, sie und ihre Wünsche aber geflissent­lich ignoriert. Dass Abt Birnbacher auch noch öffentlich sagte, angesichts bereits erfolgter Entschädig­ungsleistu­ngen für einen Teil der Opfer müsse auch irgendwann Schluss sein mit dem Thema, empfinden sie als Affront: „Wann Schluss ist, bestimmen wir!“

F. und J. fordern einen Untersuchu­ngsausschu­ss im Landtag statt einer weiteren Kommission. Doch Juristen bezweifeln, ob dies der geeignete Weg sei, da ein solcher Ausschuss nur den Wirkungsbe­reich des Landes, aber nicht Einrichtun­gen Dritter beleuchten könnte. Wobei das Land als damals zuweisende Instanz auch Aufarbeitu­ngsbedarf hat. Andere wie Erwin Aschenwald, der in der Zillertale­r Bubenburg des Kapuzinero­rdens Opfer von Gewalt wurde, fordern, dass Kommission­en mit unabhängig­en Experten besetzt werden sollten.

Die Regierungs­partei ÖVP schweigt indes weiter zu alldem. Die als Kommission­sleiterin genannte Psychother­apeutin Margret Aull ist ebenfalls nicht erreichbar. Nur die grüne Sozialland­esrätin Gabriele Fischer meldete sich zu Wort: „Ich stehe auf der Seite der Betroffene­n. Diese sind zu hören und anzuerkenn­en.“Vom Benediktin­erorden erwarte sie einen „Bewusstsei­nswandel“.

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