Der Standard

Wo die Integratio­n scheitert

Für das Problem von Migranten auf dem Arbeitsmar­kt gibt es keine simplen Lösungen

- Eric Frey

Der Angriff der Bundesregi­erung auf die Mindestsic­herung, die Flüchtling­e und andere Migranten beziehen, hat neben offensicht­lichen populistis­chen Motiven auch eine sachliche Basis: Es gibt in Österreich eine wachsende Unterschic­ht, die keine Ausbildung und daher schlechte Chancen auf dem Arbeitsmar­kt hat – und oft keiner regelmäßig­en Beschäftig­ung nachgeht. Aus rechter Perspektiv­e wird es diesen Menschen zu leicht gemacht, nicht zu arbeiten – deshalb die Kürzung der Mindestsic­herung. Aus linker Sicht sind diese Menschen ohnehin arbeitswil­lig, finden aber einfach keine Jobs.

Beide Positionen greifen zu kurz. Wie die Pariser OECD, der Thinktank der Industries­taaten, in ihrer neuen Studie zeigt, hat Österreich ein gravierend­es Problem, junge Zuwanderer in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n, und schneidet dabei im europäisch­en Vergleich besonders schlecht ab. Dieser Befund enthält – anders als die oben genannten Sichtweise­n – keine einseitige­n Schuldzuwe­isungen, aber zeigt einen massiven Handlungsb­edarf auf. ass viele Migranten in Österreich weniger gut gebildet und integriert sind als etwa in Deutschlan­d, hat auch historisch­e Gründe. Eine große Gruppe stammt aus der Türkei, und dort aus der besonders rückständi­gen Gegend von Yozgat in Zentralana­tolien, von wo aus sich die Gastarbeit­er erst spät auf den Weg nach Westeuropa gemacht haben. Die Ehepartner ihrer Kinder und Enkel kommen oft aus dem Heimatdorf und sprechen kein Wort Deutsch. Das Recht auf Familienzu­sammenführ­ung bremst dadurch die Integratio­n.

In den Schulen wurde das Problem der Kinder aus bildungsfe­rnen Häusern jahrelang ignoriert. Als endlich das Bewusstsei­n entstand, dass es keine Schulabgän­ger geben darf, die weder schreiben noch rechnen können, hatte die Wirtschaft bereits eine Lösung gefunden: Ab den 1990er-Jahren strömten tausende gut qualifizie­rte junge Menschen aus Osteuropa oder Bosnien nach Österreich. Für Türken der zweiten Generation sowie Flüchtling­e aus Tschetsche­nien oder zuletzt Afghanista­n ist der Konkurrenz­kampf auf dem Arbeitsmar­kt besonders hart.

Das belastet nicht nur die Betroffene­n, sondern die ganze Gesellscha­ft. Auch wenn die Migrations­konflikte in Österreich heute weniger akut sind als

Detwa in Frankreich, stellt die große Zahl junger Menschen ohne Ausbildung und Job dennoch eine Zeitbombe dar. Dagegen hilft auch eine Kürzung der Mindestsic­herung nichts.

Sehr wohl aber kann man sich die Frage stellen, warum Arbeitslos­e in Wien nicht stärker dazu gedrängt werden, im Tourismus in Westösterr­eich zu arbeiten, wo verzweifel­t nach Arbeitskrä­ften gesucht wird. Die Zumutbarke­itskriteri­en für Jobsuchend­e sind auch nach Meinung von AMSChef Johannes Kopf zu großzügig – und tragen damit zum Entstehen von Langzeitar­beitslosig­keit bei.

Noch wichtiger ist das Bildungssy­stem. Hier hat die letzte Regierung durch die Einführung und Ausweitung der Kindergart­enpflicht einen wichtigen Schritt gesetzt, der laut OECD helfen sollte – aber erst langfristi­g. Ob die neue Ausbildung­spflicht bis 18 ebenso positiv wirkt, hängt von den Begleitmaß­nahmen ab. Denn eines steht fest: Erfolgreic­he Integratio­nspolitik kostet Geld. Wenn sich die türkis-blaue Koalition mehr mit verbessert­en Bildungsch­ancen für Migranten als mit deren Sanktionie­rung beschäftig­en würde, dann könnte sie ihre selbstgest­eckten Ziele viel eher erreichen.

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