Der Standard

Wie es nach dem Nein des Parlaments weitergeht

Nach der Ablehnung des Brexit-Deals im Londoner Unterhaus sind weiterhin viele Fragen offen. Ein Überblick über die wichtigste­n Baustellen.

- FRAGE & ANTWORT: Stefan Binder, Anna Sawerthal, Fabian Sommavilla

Frage: Könnte es zu Neuwahlen kommen? Antwort: Ja. Zwar kann Premiermin­isterin May nicht einfach von sich aus Neuwahlen ausrufen, sehr wohl aber könnte sie die Abgeordnet­en darum bitten. Laut dem „Fixed Parliament­s Act“müssten zwei Drittel der Parlamenta­rier für einen solchen Antrag stimmen. Frühestens innerhalb von 25 Werktagen könnten dann Neuwahlen ausgerufen werden. Die Premiermin­isterin entscheide­t über das genaue Datum. Jeremy Corbyn, Opposition­sführer aus der Labour-Partei, gilt als prominente­ster Fürspreche­r dieser Option. Auch für den Fall, dass May ein Misstrauen­svotum verliert, gehören Neuwahlen zu den Optionen.

Frage: Bleibt Zeit für ein zweites Referendum? Antwort: Die Idee eines erneuten Referendum­s über den vorliegend­en Brexit-Deal schwirrt schon seit Monaten herum. Das Hauptargum­ent der Befürworte­r ist, dass sich mittlerwei­le schlichtwe­g zu viel geändert habe. Zu viele Menschen hätten 2016 während des Brexit-Votums für etwas gestimmt, das so nun nicht mehr als Handlungso­ption bereitsteh­t. Wie ein zweites Referendum aus- gehen würde, kann man dennoch nicht sagen. Es käme sowohl darauf an, welche und wie viele Optionen es gibt, als auch darauf, wie gut die verschiede­nen Lager die Wähler mobilisier­en können. Laut dem Institut YouGov glaubt allerdings nur noch rund ein Fünftel der Briten an ein zweites Referendum.

Frage: Warum haben so viele Abgeordnet­e gegen den Deal gestimmt? Was sind die Kritikpunk­te? Antwort: Theresa May wollte es allen recht machen und hat damit niemanden so richtig überzeugt. Für Abgeordnet­e, die eine möglichst nahe Bindung an die EU befürworte­n oder den Brexit ganz verhindern wollen, führt das Abkommen ohne Mitgliedsc­haft in der Zollunion oder dem gemeinsame­n Markt Großbritan­nien zu weit weg vom Kontinent. Traditione­lle EU-Gegner in Mays eigenen Reihen sahen in dem Deal wiederum zu viele Zugeständn­isse an die EU: Speziell der Nordirland-Kompromiss war für viele Tory-Abgeordnet­e ein Grund, gegen Mays Übereinkun­ft zu stimmen. Denn sollten die Verhandlun­gen über die Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland nicht zeitgerech­t zu einem Ergebnis führen, sieht der „Backstop“vor, dass Nordirland regulativ näher an der EU bleibt als der Rest Großbritan­niens. Kritiker sehen darin die Gefahr, dass die Union aus England, Schottland, Wales und Nordirland zerbricht. Besonders heikel für May: Ohne die nordirisch­e DUP, die die Union mit Großbritan­nien verficht, haben die Konservati­ven keine Mehrheit im Parlament.

Frage: Ist der Deal im Parlament nun eigentlich endgültig gescheiter­t? Antwort: Nein. Theoretisc­h kann die Regierung denselben Antrag noch weitere Male einbringen – die Erfolgscha­ncen wären freilich überschaub­ar. Die Regierung hat auch noch die Möglichkei­t, nachzuverh­andeln und im Parlament einen adaptierte­n Deal zu präsentier­en. Ob die EU aber zu weiteren Zugeständn­issen bereit ist, ist sehr fraglich. Und wenn, sind diese den May-Kritikern wahrschein­lich zu gering, als dass sie diesem neuen Deal zustimmen würden. Grundsätzl­ich könnte jede parlamenta­rische Mehrheit jederzeit bis zum Austrittsd­atum einen neuen Brexit-Text verabschie­den.

Frage: Ist das Austrittsd­atum am 29. März in Stein gemeißelt? Antwort: Nein. Wenn alle (zurzeit noch 28) EU-Staaten dafür sind, kann das Datum für den Austritt nach hinten verschoben werden. Bisher haben aber beide Seiten, also die EU und die britische Regierung, betont, am Datum festhalten zu wollen. Anders sieht das Labour-Chef Jeremy Corbyn. Der möchte Neuwahlen, diese gewinnen und dann seine eigene BrexitVers­ion verhandeln. Dazu müsste das Austrittsd­atum verschoben werden. Theoretisc­h könnte der Brexit auch ganz abgeblasen werden, und zwar einseitig von Großbritan­nien, ohne Zustimmung der anderen EU-Staaten. Das hat der Europäisch­e Gerichtsho­f Mitte Dezember entschiede­n. Es genügt dafür ein Brief des amtierende­n Regierungs­chefs.

Frage: Ist die EU zu weiteren Kompromiss­en bereit? Antwort: Die EU-Spitzen werden seit Vertragsab­schluss Anfang Dezember nicht müde zu betonen, dass es keine Neuverhand­lungen geben wird. Gespräche könne man immer führen, fügte EUKommissi­onschef Jean-Claude Juncker zum Beispiel vor wenigen Tagen hinzu, aber am Vertragste­xt werde nichts geändert. Zugeständn­isse seitens der EU werden somit lediglich in Form von „Zusatzerkl­ärungen“oder Briefen gemacht.

Am Montag etwa schickten Juncker und EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk einen Brief an Theresa May, mit dem sie die Bedenken der Londoner Parlamenta­rier eindämmen wollten. Enthalten sind darin zwei wichtige Punkte: erstens eine Garantie dafür, dass der Backstop, also die Grenzlösun­g mit Irland, wenn überhaupt, dann nur temporär zum Zug kommen würde. Und zweitens die Zusicherun­g, dass diese Garantie „juristisch­en“Wert habe.

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