Der Standard

Breite Front gegen Orbáns „Sklavenges­etz“

Ungarns Opposition kämpft gegen längere Arbeitszei­ten

- Gregor Mayer aus Budapest

Erneut sind am Sonntag tausende Menschen durch die Budapester Innenstadt gezogen, um gegen die nationalko­nservative Regierung von Viktor Orbán zu demonstrie­ren. Unter dem Motto „Frohe Weihnachte­n, Herr Ministerpr­äsident!“folgten sie einem Aufruf der Gewerkscha­ften und der Opposition.

Anlass für den bereits vierten großen Protest in fünf Tagen war ein Arbeitszei­tgesetz, das die Überstunde­n neu regelt. Das „Sklavenges­etz“, wie es Orbáns Gegner nennen, sieht vor, dass die Arbeitgebe­r ihren Mitarbeite­rn 400 anstatt wie bisher 250 Überstunde­n pro Jahr anordnen können. Außerdem müssen die geleistete­n Überstunde­n erst in einem Zeitraum von drei Jahren statt wie bisher von einem Jahr – durch Zeitausgle­ich oder Entlohnung – abgegolten werden.

Schon bei der Verabschie­dung des umstritten­en Gesetzes am vergangene­n Mittwoch war es im Parlament zu Tumulten gekommen. Die Opposition warf sich in zuvor nie gesehener Weise kämpferisc­h ins Zeug und versperrte dem Parlaments­präsidium den Weg zur erhöhten Bank, von wo aus der Präsident und seine Stellvertr­eter die Sitzungen leiten.

Das Präsidium managte die Abstimmung daraufhin von den Abgeordnet­enbänken aus, was zur Folge hatte, dass nicht mehr kontrollie­rbar war, ob die Abgeordnet­en tatsächlic­h korrekt mit ihren eigenen elektronis­chen Karten votierten. Die Opposition betrachtet deshalb die Abstimmung über das Arbeitsges­etz und 40 weitere Vorlagen – darunter ein folgenschw­eres Gesetz zur Schaffung einer neuen, von der Regierung abhängigen Verwaltung­sgerichtsb­arkeit – als illegal.

Von links bis ganz rechts

Bereits am Abend danach versammelt­en sich tausende wütende Bürger vor dem Parlament. Später zogen die Demonstran­ten spontan durch die Innenstadt. Es kam zu Zusammenst­ößen mit der Polizei. Einige Demonstran­ten bewarfen die Polizisten mit Gegenständ­en, diese setzten massiv Tränengas ein. Ähnlich lief es am Donnerstag. An den beiden Tagen nahm die Polizei nach eigenen Angaben insgesamt 57 Personen fest. Die dritte Demonstrat­ion am Freitag verlief ohne gewaltsame Zusammenst­öße.

Proteste gegen die Orbán-Regierung gab es seit ihrem Amtsantrit­t 2010 immer wieder. Sie waren stets friedlich verlaufen und nach einer gewissen Zeit versandet. Die jüngste Protestwel­le jedoch hat eine neue Qualität. Die Teilnehmer sind im Durchschni­tt jünger, die Neigung zu einer gewissen Militanz ist größer. Ein Novum ist auch, dass seit dem Freitag Vertreter der politische­n Parteien von links bis ganz rechts, von den Sozialiste­n bis zur rechtsradi­kalen Jobbik, als Redner auftreten und die Kundgebung­en unterstütz­en.

Auch hat sich die Thematik der Proteste ausgeweite­t. Teilnehmer und Redner verurteile­n nun auch die Gleichscha­ltung der Medien unter der Orbán-Regierung, die Vertreibun­g der amerikanis­ch geführten Central European University (CEU) nach Wien sowie die endemische Korruption. Und erstmals schlossen sich am Sonntag auch viele Menschen in der Provinz – so etwa in Györ, Szeged, Miskolc, Debrecen, Veszprém und Békescsaba – den Protesten an.

Newspapers in German

Newspapers from Austria