Reif für die Insel
Deutscher-Buchpreis-Shortlist: Inger Maria Mahlkes Teneriffa-Roman „Archipel“erzählt die Geschichte dreier Familien. Und er blendet in eine Vergangenheit, die nicht vergehen will.
Der Schmerz, die Erinnerung, Lebensverwicklungen, Momente des Glücks: Nichts von alldem vergeht, alles bleibt in Inger Maria Mahlkes Roman Archi
pel. Auch jeder Börsencrash, „jede Hungersnot, jeder gewaltsam niedergeschlagene Aufstand“haben sich in diesem Roman auf die Festplatten der Seelen gebrannt. Und zwar mit Auswirkungen auch auf folgende Generationen.
Die 1977 geborene Inger Maria Mahlke, die Rechtswissenschaften studierte, an der FU Berlin am Lehrstuhl für Kriminologie arbeitete und sich spät, dafür aber umso ernsthafter für das Schriftstellerleben entschied, lässt ihren Roman mit dem Ende beginnen. Einem in der Gegenwart liegenden Ende, von dem aus sie hundert Jahre zurück in die Tiefen einer Vergangenheit blendet, die nicht vergehen will.
Ort der Handlung ist die Kanareninsel Teneriffa, wo Mahlke – ihre Mutter ist Spanierin – Teile ihrer Kindheit verbrachte. Hier treffen wir gleich zu Beginn des Romans auf einen rüstigen 95-Jährigen. Sein Name ist Julio Baute, doch im Asilio, dem Altersheim, rufen sie ihn „il Portero“. Letzteres, weil er die Ausgangstür des Heims zum Schutz seiner Bewohner wie Zerberus bewacht, falls er nicht gerade die Liveberichterstattung der Tour de France im Fernseher verfolgen muss.
Dieser Julio ist der Vater von Ana, einer hochrangigen, für den Tourismus auf der Insel zuständigen Politikerin, die gegen eine künstliche Insel kämpft, die ein US-amerikanisches Konsortium zwanzig Seemeilen vor der Küste an einer flachen Stelle des Ozeans aufschütten möchte.
Am Faden der Erzählerin
Ana gehört zu den entschiedenen Gegnerinnen des Projekts, ihre Kollegen indes stimmen dafür. Als der Sprecher für Infrastruktur dann bei einem seltsamen Unfall zu Tode kommt, scheint Mahlkes Roman Richtung Krimi abzubiegen.
Gekonnt aber zieht die Autorin von dieser perfekt exponierten Geschichte aus an ganz anderen Erzählfäden, indem sie in drei verschiedene Familiengeschichten abschweift, die anfänglich nur angedeutet werden. Im Verlauf