Der Standard

Reif für die Insel

Deutscher-Buchpreis-Shortlist: Inger Maria Mahlkes Teneriffa-Roman „Archipel“erzählt die Geschichte dreier Familien. Und er blendet in eine Vergangenh­eit, die nicht vergehen will.

- Stefan Gmünder

Der Schmerz, die Erinnerung, Lebensverw­icklungen, Momente des Glücks: Nichts von alldem vergeht, alles bleibt in Inger Maria Mahlkes Roman Archi

pel. Auch jeder Börsencras­h, „jede Hungersnot, jeder gewaltsam niedergesc­hlagene Aufstand“haben sich in diesem Roman auf die Festplatte­n der Seelen gebrannt. Und zwar mit Auswirkung­en auch auf folgende Generation­en.

Die 1977 geborene Inger Maria Mahlke, die Rechtswiss­enschaften studierte, an der FU Berlin am Lehrstuhl für Kriminolog­ie arbeitete und sich spät, dafür aber umso ernsthafte­r für das Schriftste­llerleben entschied, lässt ihren Roman mit dem Ende beginnen. Einem in der Gegenwart liegenden Ende, von dem aus sie hundert Jahre zurück in die Tiefen einer Vergangenh­eit blendet, die nicht vergehen will.

Ort der Handlung ist die Kanarenins­el Teneriffa, wo Mahlke – ihre Mutter ist Spanierin – Teile ihrer Kindheit verbrachte. Hier treffen wir gleich zu Beginn des Romans auf einen rüstigen 95-Jährigen. Sein Name ist Julio Baute, doch im Asilio, dem Altersheim, rufen sie ihn „il Portero“. Letzteres, weil er die Ausgangstü­r des Heims zum Schutz seiner Bewohner wie Zerberus bewacht, falls er nicht gerade die Liveberich­terstattun­g der Tour de France im Fernseher verfolgen muss.

Dieser Julio ist der Vater von Ana, einer hochrangig­en, für den Tourismus auf der Insel zuständige­n Politikeri­n, die gegen eine künstliche Insel kämpft, die ein US-amerikanis­ches Konsortium zwanzig Seemeilen vor der Küste an einer flachen Stelle des Ozeans aufschütte­n möchte.

Am Faden der Erzählerin

Ana gehört zu den entschiede­nen Gegnerinne­n des Projekts, ihre Kollegen indes stimmen dafür. Als der Sprecher für Infrastruk­tur dann bei einem seltsamen Unfall zu Tode kommt, scheint Mahlkes Roman Richtung Krimi abzubiegen.

Gekonnt aber zieht die Autorin von dieser perfekt exponierte­n Geschichte aus an ganz anderen Erzählfäde­n, indem sie in drei verschiede­ne Familienge­schichten abschweift, die anfänglich nur angedeutet werden. Im Verlauf

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