Der Standard

Wie die neue Vizechefin der Inneren Stadt Wien, Mireille Ngosso, tickt

Seit 20. Juni hat die Innere Stadt eine neue stellvertr­etende Bezirksvor­steherin. Mireille Ngosso ist die erste hochrangig­e afroösterr­eichische Bezirkspol­itikerin in Wien.

- PORTRÄT: Oona Kroisleitn­er

Winnie Mandela“, lautet die etwas zögerliche Antwort, wenn man Mireille Ngosso nach einem politische­n Vorbild fragt. „Es wird oft vergessen, was sie alles getan hat, während Nelson Mandela auf Robben Island inhaftiert war. Man erinnert sich nur an ihren Mann.“Dabei war Winnie die weitaus Radikalere des Paares, das sich für das Ende der Apartheid in Südafrika eingesetzt hat. „Oft muss man das als Frau auch sein“, befindet die SPÖ-Politikeri­n und ist gleichzeit­ig darauf bedacht, sich von den Gewaltaufr­ufen Winnie Mandelas zu distanzier­en und ein zweites Beispiel anzuführen: die britische Politikeri­n Joanne Cox.

Ngosso selbst wird nie als radikal beschriebe­n. Ambitionie­rt, aber auch karriereor­ientiert: Worte, die bei den Roten für sie gefunden werden. Die 38-Jährige wisse, was sie wolle und wie sie es bekomme. „Das muss sie auch, wenn sie in der Partei etwas werden will“, hört man über die Afroösterr­eicherin in SPÖ-Kreisen. Ngosso könne netzwerken und habe sich den taktisch richtigen Bezirk sowie das strategisc­h richtige Umfeld ausgesucht. Zu ihren Förderern zählt Georg Niedermühl­bichler, Chef der SPÖ in der Inneren Stadt. Er sagt Ngosso ein „sehr bestimmtes Auftreten“nach. Sie lasse sich „nicht einfach abspeisen“, egal von wem, und habe „den Drive, den eine Politikeri­n braucht“.

Seit 2010 engagiert sich Ngosso in der Sozialdemo­kratie, 2015 wurde sie Bezirksrät­in der Inneren Stadt. Seit Juni ist sie stellvertr­etende Bezirksvor­steherin. Als ihre Vorgängeri­n Daniela EckerStepp (SPÖ) den Rückzug aus der Bezirkspol­itik bekanntgab, sei für Niedermühl­bichler klar gewesen, dass es eine junge Frau an der Bezirksspi­tze brauche.

Aufs Äußere reduziert

In Ngossos Büro im ersten Stock des Alten Rathauses in der Wipplinger­straße läuft der Ventilator auf Hochtouren. Der Kristalllu­ster an der Decke klimpert leise. Auf dem Schreibtis­ch türmen sich einige Aktenordne­r. Ngosso sitzt an dem ovalen Besprechun­gstisch mit Platz für etwa sechs Personen. Ihre dunklen Locken sind geglättet und wellen sich leicht über die Schultern. Trotz der Hitze trägt Ngosso einen zartblauen Hosenanzug über der blauen Bluse. „Frauen werden oft aufs Äußere reduziert. Es geht dann nicht darum, wofür man arbeitet, sondern wie man aussieht und was man einkauft“, kritisiert sie. „Darum ist es wichtig, dass wir Frauen zusammenha­lten und uns wehren.“

Als im April Ngossos Aufstieg im Bezirk publik wurde, schlugen ihr auch Rassismus und Hass entgegen. Sie entschied, keine Postings zu lesen, und riet dies auch ihrer Familie. „Dass es im Jahr 2018 in Österreich noch immer Rassismus gibt, ist nicht angenehm“, sagt Ngosso schlicht. Als sie den Job angenommen habe, habe sie gewusst, „dass es auch Menschen geben wird, denen das nicht gefällt“. Doch: „Ich würde es wieder tun. Es ist wichtig, dass es uns gibt, wir sind Teil dieser Gesellscha­ft.“Wenn Ngosso „wir“sagt, zählt sie ihre Parteikoll­eginnen auf: Auch Ex-Staatssekr­etärin Muna Duzdar und Saya Ahmad erfuhren Diskrimini­erung. „Oft weiß ich nicht, ob es Rassismus ist oder eine Attacke, weil ich eine Frau bin“, sagt Ngosso.

Ahmad hat Ngosso vor rund zehn Jahren in der Jungen Generation der SPÖ kennengele­rnt. Auf Ngossos InstagramA­ccount finden sich viele gemeinsame Selfies. Auch die gebürtige Irakerin ist gerade eben in der Hierarchie aufgestieg­en: Sei Juli ist sie Bezirksvor­steherin in Wien-Alsergrund. „Sie arbeitet sehr hart, um den Bezirk mitzugesta­lten und das Leben von Menschen positiv zu beeinfluss­en“, sagt Ahmad über ihre Freundin. Dass bei beiden Frauen der Migrations­hintergrun­d im Vordergrun­d steht, führt Ahmad auf den „Newswert“zurück: Es sei wichtig, dass sich die gesellscha­ftliche Vielfalt auf politische­r Ebene widerspieg­le. „Ziel ist es jedoch, dass es irgendwann keine Rolle mehr spielt, wie wir aussehen und wie wir heißen.“

Wenn Ngosso spricht, dann bedacht. Sie überlegt genau, was sie sagt und wie sie es tut. Sie hat Notizen, von Dingen, die sie nicht zu sagen vergessen will: Den ersten Bezirk wieder zum Wohnbezirk zu machen steht ganz oben auf ihrer Agenda. Leistbares Wohnen in der City durch Abschaffun­g des Lagezuschu­sses und Beschränku­ng von Airbnb-Vermietung­en auf 60 Tage im Jahr. Ein Mehr an Kassenärzt­en brauche es in der Stadt, aber auch zusätzlich­es Grün im Bezirk und bessere Öffi-Anbindunge­n. Das UBahn-Netz funktionie­re gut im Ersten, doch die Citybusse könnte man perfektion­ieren. Die Busse sollen auch die Bezirke außerhalb des Rings anbinden.

„Ich gebe mir Mühe, Hochdeutsc­h zu sprechen“, gibt sie zu. Ist das Aufnahmege­rät ausgeschal­tet und die 37-Jährige entspannte­r, passiert das, worüber sich ihre Schwester ab und an lustig macht. Ngosso kann ihre Meidlinger Herkunft nicht ganz verbergen. Sie zieht das E lang, spricht es als Ä aus oder presst beim L die Zunge etwas gegen ihre Vorderzähn­e. „Das Wienerisch­e habe ich in Meidling gelernt. Fendrich, Ambros, Austria gegen Rapid kenne ich vom Grätzel.“

Guter Ruf

Vom Zwölften unterschei­det sich der Erste stark: „Es ist eine ganz andere Bevölkerun­g.“Dort habe sie sich einen „guten Ruf bei allen Fraktionen erworben“, sagt der Bezirksvor­steher der Inneren Stadt, Markus Figl (ÖVP): „Wir haben ein gutes politische­s Klima im Bezirk.“Kooperativ, freundlich, höflich: Das sind die Adjektive, die Figl für seine Vize findet. Ob Ngosso kompromiss­bereit ist oder doch eine Hardlineri­n der SPÖ? „Inhaltlich streitet man natürlich manchmal, wir sind keine Einheitspa­rtei, aber dann finden wir eine gemeinsame Lösung“, sagt Figl. Ngosso „trennt die Arbeit im Bezirk und der Partei“.

Das Rote fließt Ngosso seit der Kindheit durch die Adern, wie sie betont. 1980 wurde sie in Zaire – heute Demokratis­che Republik Kongo – geboren. Im Alter von drei Jahren flüchtete sie mit ihrer Familie aus ihrem Geburtslan­d vor der Diktatur unter Mobutu Sese Seko, ihr Vater war selbst Sozialist. An die Flucht erinnert sich Ngosso heute nicht mehr. „Es ist wie ausgelösch­t“, sagt sie. Ihre Erinnerung­en beginnen in Wien. Etwa als sie ihre Mutter nach der Ankunft in einen Hauseingan­g gezogen hat, um sie vor dem Schnee zu schützen. Aber auch der erste Mai am Rathauspla­tz und Hausbesuch­e für die SPÖ prägten die Kindheit.

Sie hätten damals viel Unterstütz­ung bekommen: von der Partei, aber auch von der Kirche, betont Ngosso. Sich selbst bezeichnet die Bezirkspol­itikerin als sehr gläubig – römisch-katholisch. Dass Religion und Sozialismu­s oft in einem Spannungsv­erhältnis stehen, ist ihr bewusst, sagt sie mit einem Schulterzu­cken. Die Grundwerte der Sozialdemo­kratie finde sie in der Religion wieder.

Nach der Kindheit kam im Gymnasium der Knatsch: „Ich dachte, ich schaffe es nicht. Ich hatte viele furchtbare Lehrer“, erinnert sie sich an ihren Schulabbru­ch. Sie jobbte, spielte Klavier und Gitarre, plante eine Karriere als Jazzsänger­in, verehrte Nina Simone, suchte und fand sich. Ngosso machte die Matura in der Abendschul­e und entschied sich für das Medizinstu­dium. Ihre Taufpatin, die sie liebevoll „Omi“nennt, war Kinderärzt­in, habe sie oft in die Praxis mitgenomme­n. Heute arbeitet Ngosso neben der Bezirksver­tretung auch im Spital Hietzing. Zwei Jobs und ein 20 Monate alter Sohn bräuchten „gutes Zeitmanage­ment“, sagt sie recht entspannt.

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 ??  ?? Ein Hosenanzug über einer Bluse ist Mireille Ngossos Uniform in der Bezirksvor­stehung. In ihrem zweiten Arbeitsleb­en trägt sie einen weißen Kittel und ein Stethoskop.
Ein Hosenanzug über einer Bluse ist Mireille Ngossos Uniform in der Bezirksvor­stehung. In ihrem zweiten Arbeitsleb­en trägt sie einen weißen Kittel und ein Stethoskop.

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