Der Standard

Warum Fliegen immer öfter zur Qual wird

Ganz im Gegenteil. Streiks, schlechte Wetterbedi­ngungen, Fehleinsch­ätzungen der Fluggesell­schaften und immer mehr Menschen, die den ach so günstigen Tickets nicht widerstehe­n können, sorgen für Chaos in den Lüften. Fliegen wird immer öfter zur Qual.

- BESTANDSAU­FNAHME: Birgit Baumann, Regina Bruckner

Natürlich ist Derek sauer, aber er mag es nicht so wirklich zeigen. Am Freitag hätte der junge Brite von Berlin-Schönefeld mit dem irischen Billigflie­ger Ryanair nach Rom fliegen sollen. Doch die Piloten streiken, und am frühen Mittag steht Derek immer noch im Check-in-Bereich.

„Ich soll jetzt am Nachmittag nach Pisa. Aber ich weiß nicht, wer dann die Bahnkarte von Pisa nach Rom bezahlt. Das ist echt total nervig“, sagt er. Anderersei­ts kann er die Piloten auch verstehen: „Jeder will ordentlich bezahlt werden. Niemand will, dass nur die Bosse das Geld einsacken. Man hört da ja so einiges von Ryanair, aber verdrängt es halt doch wieder, weil man billig fliegen will.“Doch er kann seiner Lage auch etwas Positives abgewinnen: „Immerhin ist es nicht mehr so verdammt heiß wie in den vergangene­n Tagen.“Er geht jetzt einmal ein letztes „German beer“trinken.

Ryanair strich am Freitag, mitten in der Urlaubszei­t, europaweit rund 400 von etwa 2400 geplanten Flügen. Schwerpunk­t des 24-stündigen Ausstands war Deutschlan­d mit 250 abgesagten Verbindung­en und 42.000 betroffene­n Passagiere­n. „Wir wollen eine ganz klare Botschaft nach Dublin senden: ,Ryanair must change‘“, sagte Ingolf Schumacher, Vorsitzend­er Tarifpolit­ik der deutschen Pilotengew­erkschaft Vereinigun­g Cockpit (VC).

„Ich verstehe das“, meint der Berliner Ben, der mit seiner Freundin Mia nach Palermo zu einer Hochzeit fliegt. Die beiden haben Glück, ihr Flieger ist einer der 15, der an diesem Tag von Schönefeld abhebt – wenngleich mit Verspätung. 31 andere Flüge wurden gestrichen. „Wir konsumiere­n alle immer billiger und billiger, aber dahinter stecken ja auch Menschen, die von etwas leben müssen.“Mia neben ihm schaut nicht ganz zufrieden: „So billig waren unsere Tickets auch wieder nicht. 500 Euro für zwei Personen, da erwarte ich schon, dass ich fliegen kann.“Bei diesen Worten denkt man an RyanairChe­f Michael O’Leary, der einmal gesagt hat, vor allem die Deutschen würden für billige Flugticket­s „über Scherben kriechen“.

Obwohl so viele Flüge ausfallen, geht es vor den Schaltern von Ryanair recht ruhig und disziplini­ert zu. „Betroffen sind viele junge Leute, die zum Teil nur 50 Euro für ihr Ticket bezahlt haben“, sagt ein Flughafenm­itarbeiter und fügt hinzu: „Die haben Unannehmli­chkeiten zum Teil schon miteingepr­eist.“Die meisten wurden von Ryanair schon vorab über den Streik informiert. Unwissend sind einige, die über ein Reisebüro buchten. „Klar passt ein Streik nie in den Plan“, sagt der Mitarbeite­r. Anderersei­ts: „Es gab in letzter Zeit so viele Vorfälle, vor allem die jüngeren Passagiere haben sich bereits eine gewisse Gelassenhe­it zugelegt.“

Österreich­ische Passagiere traf dieser Streik zumindest nicht direkt, denn Ryanair bedient hier nur die Strecke Salzburg–London. Von Flugverspä­tungen und gestrichen­en Verbindung­en können aber auch sie ein Lied singen. Während zwischen Jänner und Juli des Vorjahres 512 Abflüge aus Österreich ausfielen, wurden heuer im gleichen Zeitraum insgesamt 1062 Flüge abgesagt. Dabei gab es in diesem Jahr nur rund 1000 Flugbewegu­ngen mehr. Vor allem gilt: Dies war erst der Anfang. Höhepunkt des Flugaufkom­mens ist erfahrungs­gemäß im August, weil viele in die Sommerferi­en aufbrechen. Auch die Verspätung­en zwischen 15 und 180 Minuten betreffen mit rund 13.700 Flügen um 3000 mehr als noch im Vorjahr, ermittelte das Fluggastre­chteportal Airhelp. Auf die Jahresbila­nz darf man gespannt sein.

Altruistis­ch sind die Motive von Dienstleis­tern wie diesem und zahlreiche­n vergleichb­aren nicht. Ihr Geschäftsm­odell beruht darauf, dass sie für Passagiere Entschädig­ungen bei den Airlines eintreiben und davon finanziell profitiere­n. Dass es so viele von ihnen gibt, sagt auch etwas über die Geschäftsg­rundlage aus, und die ist intakt – mehr als je zuvor.

Vor allem in Europa knirscht es im System. In Frankreich legten die Fluglotsen die Arbeit nieder, die Air-France-Piloten traten in den Ausstand, der Streik bei Ryanair traf rund 55.000 Kunden. Im Frühsommer machten lange Schlangen vor den Sicherheit­skontrolle­n am Frankfurte­r Flughafen negative Schlagzeil­en. In München musste im Juli ein Terminal geräumt werden, weil eine Frau ohne Kontrolle in den Sicherheit­sbereich gelangt ist. Mindestens 200 Flüge fielen aus.

Nervtötend­e Kleinigkei­ten

Am Flughafen Wien spuckt das Flugrechte­portal allein für den 7. August zehn gestrichen­e, umgeleitet­e oder verspätete Flüge aus. Und in den sozialen Medien schütten Passagiere mit Inbrunst ihr Herz über Airlines aus, die sie im Regen stehen lassen. Oft Stunden, manchmal Tage – zuweilen ohne jegliche Informatio­n. Von verlorenen Gepäckstüc­ken oder ähnlichen nervtötend­en Kleinigkei­ten gar nicht zu reden.

Keine Frage: Fliegen ist immer öfter mit viel Ärger verbunden. Geklagt wird viel, geflogen noch viel mehr. Und so könnte alles noch viel schlimmer kommen. Denn ein Grund für das Chaos ist so offensicht­lich wie schlicht: Das

System stößt an seine Grenzen, denn in der Luft ist immer mehr los. Der Himmel ist voll.

Der Verkehr im europäisch­en Luftraum stieg 2017 um 3,4 Prozent. Auch die Passagierz­ahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Am Wiener Flughafen waren im ersten Halbjahr 11,8 Millionen Passagiere unterwegs. Es werden jährlich mehr. Level, Wizz Air, Easyjet, Laudamotio­n – vor allem unter den Billigflie­gern gab es zuletzt ein regelrecht­es Gerangel. Um wenige Cent nach London zu fliegen blieb zwar Schnellent­schlossene­n beim Einstieg einer neuen Airline vorbehalte­n, aber um 20 Euro kommt man damit mittlerwei­le an zahlreiche Ziele in Europa. Laut europäisch­er Luftsicher­ung Eurocontro­l wird die Anzahl der Flüge bis 2040 um 53 Prozent steigen. Euro-ControlGen­eraldirekt­or Eamonn Brennan gab jüngst unmissvers­tändliche Warnungen ab. Europas Luftfahrtg­emeinschaf­t müsse sich „dringend anschauen, wie wir Kapazitäte­n bereitstel­len werden für die Passagiere, die fliegen wollen“.

Dass die Lage prekär ist, zeigt auch der Umstand, dass selbst höchst selbstbewu­sst auftretend­e Airlineche­fs einräumen, dass einiges im Argen liegt. Die Erklärunge­n fallen sehr unterschie­dlich aus. Auf die eigene Kappe nehmen die meisten die Turbulenze­n nicht. Für Ryanair-Chef O’Leary lag im Streik der Fluglotsen die Wurzel allen Übels. Die Lufthansa-Tochter Eurowings schob ihre Probleme zu Sommerbegi­nn auf die Wetterkapr­iolen, LufthansaC­hef Carsten Spohr sieht die Flughäfen in der Verantwort­ung. Der scheidende AUA-Chef Kai Kratky hält eine gemeinsame Luftraumüb­erwachung für die Lösung und Flughafen-Wien-Vorstand Julian Jäger hält das Passagierw­achstum für einen wichtigen Grund. Recht haben alle, das Problem ist vielschich­tig. Das rasante Wachstum der Branche ist nur Puzzlestei­n.

Immer mehr Störfeuer

Mit dem erfreulich­en Umstand, dass sich immer mehr Menschen das Fliegen leisten können, wachsen auch die Störfeuer. Die Verspätung­en haben sich 2017 mehr als verdoppelt. Die Ursachen dafür: 28 Prozent durch Ereignisse wie Streiks, 27 Prozent durch Schlechtwe­tter. Ganze 45 Prozent gingen allerdings auf Kapazitäts­probleme und mangelndes Personal zurück, vor allem in Deutschlan­d, Frankreich und den Niederland­en. So manche Airline hat ihre Möglichkei­ten und Fähigkeite­n im erbitterte­n Kampf um Marktantei­le und Wachstum schlicht überschätz­t.

Die Air-Berlin-Pleite im Vorjahr markierte einen Kulminatio­nspunkt, sagt der Luftfahrte­xperte Christoph Brützel, Professor an der Internatio­nalen Hochschule im deutschen Bad Honnef. Der springende Punkt für Brützel: als die EU-Kommission der deutschen Lufthansa die Niki-Übernahme verwehrte. Aus dem gut geplanten Szenario wurde bekanntlic­h aus wettbewerb­srechtlich­en Gründen nichts. Neben der Lufthansa sicherten sich mehrere Airlines die Kapazitäte­n. Es ging um wertvolle Start- und Landerecht­e. Die einen hatten nicht genug Maschinen zur Nutzung dieser Slots, den anderen fehlte das Personal. Deswegen mussten die Fluggesell­schaften regelmäßig aufeinande­rfolgende Verbindung­en zusammenle­gen. Flüge fielen aus. Ihre Slots können die Airlines behalten. Den Schaden haben die Fluggäste.

Wenn man jemand einen Vorwurf machen könne, dann der EU-Kommission, findet Brützel. „Sie hat in ein sensibles Werk eingegriff­en. Vollkommen ineffektiv im Sinne des Zieles, ausreichen­d Wettbewerb zu schaffen. Das hat überhaupt nichts gebracht. Der Ferienflug­markt ist total überhitzt, denn natürlich kann keine Airline um 19 Euro fliegen, nicht einmal Ryanair. Und im Geschäftsr­eisemarkt gibt es nicht einen Flug mehr.“

Dazu kommt, dass die Airlines knapp kalkuliere­n. Zu knapp. Denn Ersatzflug­zeuge und Ersatzcrew­s verursache­n Kosten, dort spart man besonders. Jedes technische Problem landet also direkt beim Fluggast. Ist ein Flugzeug flügellahm, kann es dauern, bis es repariert oder ein Ersatz gefunden ist. Reisende, die jüngst von Graz mit der litauische­n Billigflug­linie Small Planet nach Rhodos fliegen wollten, mussten zwei Tage warten. Ein weiteres Problem: Die Flugpläne entstehen auf dem Reißbrett. „Die Airlines planen zu kurze Bodenzeite­n ein“, sagt Ulrike Weiß, Konsumente­nschützeri­n der Arbeiterka­mmer Oberöster- reich. Auch bei ihr melden sich immer mehr verärgerte Kunden.

„Es hakt etwas an diversen Schnittste­llen“, formuliert es der deutsche Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) im besonders betroffene­n Deutschlan­d elegant und räumt ein: „Für diese Sommersais­on wird realistisc­h nicht Abhilfe zu schaffen sein.“Im Herbst jedoch will er sich mit den Spitzenman­agern der Airlines und Flughäfen zusammense­tzen. Denn: „Ich kann und werde nicht akzeptiere­n, dass es in diesem Sommer so viele Flugausfäl­le und Verspätung­en in Deutschlan­d gibt.“Wie Abhilfe aussehen soll, ist unklar, aber Marion Jungblutz, die Leiterin des Mobilitäts­teams der deutschen Verbrauche­r zentrale, hat bereits Vorschläge :„ Falls der Flug nicht reibungslo­s läuft, muss die Abwicklung von Entschädig­ung san sprüchen durch die Fluggesell­schaften verbrauche­rfreundlic­her werden. Zum Beispiel durch eine automatisi­erte Online beschwerde möglichkei­t .“

Was immer umgesetzt wird, am Ende mache auch die gewählte Airline einen Unterschie­d, sagt Rita Kulicki. „Ob die Mitarbeite­r die sogenannte Extrameile gehen und weitaus mehr machen, als nur die notwendigs­ten Pflichten zu erfüllen, hat auch mit der Zufriedenh­eit mit dem Arbeitgebe­r zu tun“, sagt die ehemalige Flugbeglei­terin. Kulicki glaubt, dass sich ohnehin vieles ändern wird. Den Airlines bleibe gar nichts anderes übrig, als ihren Service zu verbessern, wollen sie im Wettbewerb bestehen. Dass die RyanairMit­arbeiter diesbezügl­ich noch nicht zu den Bevorzugte­n gehören dürften, ist nicht zu übersehen.

Hand abhacken

Die Fluglinie hat mit ihren Kampfpreis­en die Branche umgekrempe­lt und ist zur profitabel­sten Airline in Europa aufgestieg­en. Nach Unternehme­nsangaben kostete das durchschni­ttliche Ryanair-Ticket zuletzt knapp unter 39 Euro. Konzernche­f O’Leary hat sich lange erbittert gegen Gewerkscha­ften gewehrt. Er würde lieber seine Hand abhacken als Gewerkscha­ften anerkennen, wurde er einst zitiert. Erst nach massivem Druck akzeptiert­e Ryanair im Dezember erstmals Gewerkscha­ften. Seitdem wurden in den Tarifverha­ndlungen keine Ergebnisse erzielt. Die Piloten fordern nicht nur mehr Geld, sie wollen auch, dass Grundgehäl­ter steigen und variable Gehaltstei­le reduziert werden.

Der Ferienflug­markt ist total überhitzt. Keine Airline kann um 19 Euro fliegen, nicht einmal Ryanair. Christoph Brützel, Experte

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