Der Standard

Mediales Korrektiv in Bedrängnis

Nimmt die Demokratie an der Digitalisi­erung Schaden? Um den Gefahren zu begegnen, braucht es europäisch­e Antworten auf Online-Riesen und in Österreich einen erneuerten ORF.

- Wolfgang Müller-Funk

Österreich hat nunmehr, das ist nicht zuletzt das Verdienst des zuständige­n Ministers Gernot Blümel, seine eigene, durchaus differenzi­erte Mediendisk­ussion. Neu an der Debatte ist nicht zuletzt, dass die Euphorie über die neuen digitalen Medien einer Ernüchteru­ng gewichen ist, so etwa wenn ein Teilnehmer der Enquete sich die Frage stellte, ob es nicht einen Zusammenha­ng zwischen dem Aufstieg autoritäre­r und illiberale­r Regime und der Digitalisi­erung der Welt gebe. Zwischen der naiven Erwartung einer grenzenlos­en digitalen Freiheit und den falschen Versprechu­ngen direkter Demokratie besteht ein innerer Zusammenha­ng. Dabei geht es nicht zuletzt um die Kontrolle und Regulation diverser Sorten von Macht: medialer, ökonomisch­er, politische­r.

Der Meinungsum­schwung ist bemerkensw­ert, wurden noch vor einigen Jahren soziale Medien beinahe messianisc­h als Träger einer neuen Form von Demokratie gepriesen, in der jeder sein eigener Journalist ist. Das ist dem Bild eines neuen medialen Kapitalism­us gewichen, in dem Akteure wie Google und Facebook ein in der Wirtschaft wie in der alten Medienwelt unvorstell­bares Machtmonop­ol besitzen und Europa wie ein mediales Dritte-Welt-Land erscheinen lassen.

Die neue Mediendisk­ussion überschnei­det sich mit einer alten Debatte, mit jener über die Zukunft des ORF. Es ist kein Zufall, dass sich die neue Bundesregi­e- rung kurz vor Beginn der Übernahme der Ratsführer­schaft mit einer medialen Initiative in der EU profiliere­n möchte, zugleich wird sie von der heimischen Medienreal­ität eingeholt.

Die schöne digitale Welt bedeutet eine Herausford­erung für die demokratis­che Politik. Zweifelsoh­ne stellen Zeitungen, Radio und Rundfunk, von denen die neuen Medien parasitär leben, eine verlässlic­he Grundlage für eine liberale repräsenta­tive Demokratie dar, in der beide Seiten, die Medien und die Politik, Verantwort­ung tragen. Die digitalen Medienbetr­eiber, die ökonomisch prächtig davon leben, neu geschaffen­e virtuelle Räume von globalen Nutzern bespielen zu lassen, weisen diese ebenso von sich wie die Populisten aller Herren Länder. Die Verbreitun­g von Falschmeld­ungen und Verschwöru­ngsnarrati­ven, die Beleidigun­g von Menschen(gruppen), das mediale Monopol weniger globaler Akteure oder die schamlose Propaganda für Gewalt sind in diesem faktisch rechtsfrei­en Raum an der Tagesordnu­ng. Sie rufen nach politische­n Antworten, die durchzuset­zen dem medial ohnmächtig­en Europa schwerfäll­t.

Aber damit kommen ganz unerwartet jene medialen Akteure ins Spiel, die bei der Enquete nicht zuletzt als Korrektive und Garanten einer nachhaltig­en Zivilgesel­lschaft angesehen wurden, der Qualitätsj­ournalismu­s und vor allem der öffentlich­rechtliche Rundfunk. Die Tatsache, dass Medien wie der ORF eine unverzicht­bare Basis für eine funktionie­rende Demokratie sind, steht in einem unübersehb­aren Missverhäl­tnis zu der Tatsache, dass zumindest eine Regierungs­partei dem ORF tendenziel­l feindlich gesonnen ist und nicht recht weiß, wie sie mit Österreich­s medialem Flaggschif­f umgehen soll.

Argwohn der Autoritäre­n

Die Forderung der FPÖ, die „Zwangsgebü­hren“abzuschaff­en und bestimmte Kompetenze­n auf die privaten Betreiber zu übertragen, weist auf eine Strategie hin, ihn zu schwächen, weil man ihn offenkundi­g nicht so ohne weiteres politisch übernehmen kann. Wie in so vielen westlichen Ländern besteht nämlich zwischen den neuen autoritäre­n Bewegungen und der liberalen Medienwelt ein Gegensatz. Autoritäre Politik mag es nicht, wenn ihr widersproc­hen wird, das eint so unterschie­dliche Politiker wie Trump, Putin, Erdogan, Orbán und die FPÖ. Ihre Antwort darauf ist der Versuch, Medien mit allen Mitteln in den Griff zu bekommen.

Die Angst vor einer medialen Orbánisier­ung Österreich­s mag auch rhetorisch sein. Ganz unbegründe­t ist sie auch mit Seitenblic­k auf den Boulevard nicht. Je länger die aktuelle Regierung sich an der Macht hält, umso größer wird die Versuchung sein, diese durch medienpoli­tische Interventi­on abzusicher­n. Das schließt freilich die Möglichkei­t eines Konfliktes zwischen den beiden Partnern ein. Um einer solchen Entwicklun­g einen Riegel vorzuschie­ben, wäre es angeraten, den einmaligen Status des ORF in einem Volksentsc­heid zu bestätigen und ihn den heutigen Gegebenhei­ten anzupassen.

Die Erneuerung des öffentlich­rechtliche­n Status sollte zu einem weitgehend­en Rückzug der Politik führen und es dem ORF ermögliche­n, ungehinder­t im digitalen Bereich aktiv zu werden. Eine heimische Medienpart­nerschaft, von der bei der Enquete die Rede war, ist nur denkbar mit einem politisch gestärkten öffentlich-rechtliche­n Medium wie dem ORF, einer Agora, auf der nicht politische und kulturelle Hegemonie generiert, sondern fairer und offener Streit um diese ausgetrage­n wird. Eine mediale Gegenmacht gegen die digitalen globalen Giganten wird indes nur im europäisch­en Maßstab möglich sein.

WOLFGANG MÜLLER-FUNK war Professor für Kulturwiss­enschaften in Birmingham und Wien. Er lehrt und forscht im In- und Ausland.

 ??  ?? Fake-News, politische Einflussna­hme oder Marktverdr­ängung: Etablierte Medien sehen sich an mehreren Fronten bedroht.
Fake-News, politische Einflussna­hme oder Marktverdr­ängung: Etablierte Medien sehen sich an mehreren Fronten bedroht.
 ?? Foto: H. Corn ?? W. MüllerFunk: ORF braucht Rückzug der Politik.
Foto: H. Corn W. MüllerFunk: ORF braucht Rückzug der Politik.

Newspapers in German

Newspapers from Austria