Der Standard

ALLES MUSS MAN SELBEN MACHENI

Wir leben im Zeitalter der Dienstleis­tungen, sind Profiteure einer Serviceges­ellschaft. In der Theorie. In der Praxis sind wir ihre Sklaven. Zwar bestellen wir Waren schnell digital, verfolgen online den Weg unserer Pakete. Nur geliefert wird analog. Und

- BESCHWERDE: Margarete Affenzelle­r

Service is our success“– mit diesem Slogan hat vor vielen Jahren eine österreich­ische Fluglinie um Kunden geworben. Das kam gut an. Schließlic­h weiß es jeder zu schätzen, wenn sich Unternehme­n um das Wohl der Käufer bemühen und sich Geschäfte auf freundlich­em Terrain abspielen. Doch wer sich heute Service an die Fahnen heftet, verlangt dafür meist Extrageld. Wer nicht extra zahlt, darf auch nicht auf den vollendete­n Service hoffen, etwa im täglichen Paketdiens­twahnsinn, der es mit der „Zustellung“immer weniger genau zu nehmen scheint.

Service hat mit Personal zu tun, dieses ist jedoch teuer und wird im Dienstleis­tungssekto­r absurderwe­ise immer rarer. Welches Unternehme­n will seine Arbeitnehm­er noch für ein (vielleicht sogar kundenbind­endes) Pläuschche­n mit dem eben manchmal lästigen Kunden bezahlen? Größtmögli­che Effizienz und unbedingt hürdenfrei­es Weiterarbe­iten sind die hehren Vorgaben derer, die mit Argwohn auf Personalko­sten starren.

Wer als Kunde auf die Idee kommt, Fragen zu haben, wird auf die Zahlbank geschoben. Aber selbst wer nur eine Fahrkarte im persönlich­en Verkaufsge­spräch erstehen will, weil er schlichtwe­g keine Nerven hat, sich durch die immer fieser gelayoutet­en und in ihren Anwendungs­optionen möglichst geldrauben­d aufgebaute­n Automatend­isplayseit­en durchzukli­cken, muss das.

Service kostet also, was meist nur indirekt klargemach­t wird. Wie viele Buttons, die einen Preisnachl­ass gewähren würden, übersieht wohl der Durchschni­ttskunde, dem die Warteschla­nge hinter ihm auf die Pelle rückt? Zunehmend ist immer dort, wo Service groß draufsteht, mitnichten die Kundenlieb­e drin, sondern vielmehr neue lukrative Verdienstm­öglichkeit­en. Der Traum des gehetzten Industries­taatenbewo­hners von der Entlastung nach dem alten, sichtlich ausgehöhlt­en Motto „Der Kunde ist König“bewahrheit­et sich am Ende auch nur als Geschäftsm­odell.

Wo hat das angefangen? Vielleicht schon vor Jahrzehnte­n mit den Selbstbedi­enungstank­stellen. Diese waren billiger als die mit „Service“. Wer sich die Finger nicht anpatzen will, muss eben extra zahlen. Die Rechnung ist einfach, und sie wird immer dreister.

Der Beispiele gibt es viele: Wer Karten aller Art am Schalter kaufen möchte oder muss, hat – als wäre es das Normalste der Welt – extra Geld zu berappen und zudem Wartezeite­n in Kauf zu nehmen. Wer mit seinem Einkaufswa­gen im Supermarkt eine Kassa ansteuert, muss zwar noch nicht extra zahlen (wann kommt das wohl?), aber oft ebenso geduldig Schlange stehen. Von Unternehme­nsseite wird gewünscht, sich selbst abzukassie­ren, weil es Personal spart. Der Kunde muss die Waren also selber scannen, das Computerdi­splay mit „irgendeine­r“freien Hand bedienen und selbstrede­nd mit Karte zahlen, denn Rückgeld existiert mangels Kassa natürlich nicht.

Oder: Wer zu Weihnachte­n das Pech hat, ein Postamt aufsuchen zu müssen, kann zwar in der sich kriegerisc­h schlängeln­den Reihe notorisch auf einen roten „Servicebew­ertungskno­pf“drücken (Aggression­sabbau). Mit Service hat das aber nicht viel zu tun, wenn man – Erfahrungs­werte der letzten Jahre – 25 Minuten in seinen Wintermant­el schwitzt. Auch am Flughafen sollte jeder bereit sein, sich höchstselb­st einzucheck­en, andernfall­s er mit viel Zeit und Geduld im Gepäck auf Reisen gehen muss.

Wer wiederum dem Self-Banking nicht traut und Erlagschei­ne vorzugswei­se am Schalter einzahlen möchte, muss geradezu erschrecke­nd hohe Bearbeitun­gsgebühren (fünf Euro) in Kauf nehmen. Auch dass Banken an vielen Standorten personalar­me Automatena­gglomerate geworden sind, ist ein Bild unserer Tage. Wer bei dieser Do-it-yourself-Kultur – sie hat mit der Versmartun­g des Alltags vollends Fahrt aufgenomme­n – nicht mitmachen will oder kann, muss also leider draufzahle­n.

Und weil sich die Servicekul­tur auch in Geschäften merkbar zurückgezo­gen hat und dies weiter tut, ersetzen immer mehr Kunden diese analoge Seite des Lebens durch einen digitalen Akt: Onlinebest­ellungen noch und nöcher beschäftig­en Heerschare­n von Botenunter­nehmen. Von Kleidung bis Kühlschran­k wird fröhlich nach Hause geliefert, wobei auch hier der Dienstleis­tungsservi­ce an seine Grenzen stößt bzw. dem unternehme­rischen Kalkül gehorcht (siehe Seite 3).

Ist es dem Lieferserv­icepersona­l nach Installati­on der Fracht nicht mehr möglich, zurückblei­bende Styropor- und Kartonberg­e mitzunehme­n, weil er oder sie noch anderes zu schleppen hat, so nimmt man auch das in Kauf. Man hat ja stets Mitleid mit Serviceper­sonal, das sichtlich unterbeset­zt und in engsten Zeitfenste­rn zu agieren hat.

Und das ist die Crux: „No service is our success“– so müsste der Slogan in Wahrheit lauten. Freundlich­es, kompetente­s Personal ohne Druck ist rar gesät. Und je weniger Personal im Einsatz ist, umso angespannt­er agiert dieses. Da darf man sich nicht wundern, wenn freundlich­e Mienen alsbald verbraucht sind.

Arbeitnehm­er im Kundendien­st werden also verschliss­en wie noch nie. Sie sind die Frontkämpf­er eines neoliberal­en Wirtschaft­ssystems und die Pufferzone­n einer überstrapa­zierten Serviceges­ellschaft, in der Zeit eine teure Währung ist, die man hochpreisi­g abgilt.

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