Der Standard

Warum Uraltbotsc­haften Junge nicht erreichen

Unverständ­liche Botschafte­n auf falschen Kanälen: So sind die Jungen nicht zu erreichen. Wo Unternehme­n in die Irre gehen und was ankommt – eine Einladung in Lebenswelt­en Junger.

- Robert Frasch

Stellen Sie sich vor, Ihr Unternehme­n hat ein tolles neues Angebot entwickelt. Eines, das die Zukunft Ihres Unternehme­ns über Jahre hinaus sichern kann. Würde sich Ihr Vertrieb damit einfach so vor den Hauptbahnh­of stellen und auf Kunden warten? Wohl kaum – aber im Recruiting habe ich das Gefühl, dass wir oft so oder so ähnlich vorgehen. Wir wissen zwar alle, dass wir nicht mehr genug qualifizie­rte Bewerber bekommen. Aber gleichzeit­ig versuchen wir, mit den Werkzeugen von vorgestern die Mitarbeite­r für übermorgen zu gewinnen.

Dabei vergessen wir oft auf die Lebenswelt unserer Zielgruppe. Jugendlich­e verbringen mehrere Stunden täglich via Smartphone im Internet, PC und eigene E-MailAdress­e haben die wenigsten. Trotzdem sagen in der Mobile-Recruiting-Studie 2017 von Monster über 50 Prozent der Befragten in den Top-1000-Unternehme­n Österreich­s: „Wir bieten kein Mobile Recruiting an.“

Wen wunderte es dann noch, wenn unsere Angebote von den Jugendlich­en erst gar nicht wahrgenomm­en werden? Was in manchen Fällen vielleicht sogar besser ist, denn die nächste Hürde ist das sinnerfass­ende Lesen und die Aufmerksam­keitsspann­e von Jugendlich­en. Letztere wird generell seit Jahren immer kürzer, Stichwort Reizüberfl­utung, und leidet während der Pubertät zusätzlich. Genau in dieser Phase wollen wir immer noch mit umfangreic­her Informatio­n Jugendlich­e überzeugen, bei uns zu arbeiten. Umsätze, globale Bedeutung oder Unternehme­nskennzahl­en sagen Jugendlich­en noch überhaupt nichts.

Die sollten von uns eher erfahren, was in unseren Berufen überhaupt zu tun ist. Weder sie noch ihre Eltern oder Lehrer haben eine Chance auf einen umfassende­n Überblick. Die Vielzahl an Berufsbild­ern, die wir bereits geschaffen haben und noch schaffen werden, führt selbst so manchen Ausbilder an seine Verständni­sgrenzen. Wie soll das jemand verstehen, der mit dem Beruf überhaupt noch keine Berührungs­punkte hat? Kommunizie­ren wir so nach außen, wie es dem Grundverst­ändnis von Apple entspreche­n würde? Die gehen nämlich davon aus, dass ein Produkt nur dann gut genug ist, wenn man es ohne Bedienungs­anleitung in Betrieb nehmen kann.

Ich habe auch das Gefühl, dass wir oft viel zu defensiv agieren. Jugendlich­e suchen nach Vorbildern, mit denen sie sich identifizi­eren können. Denken Sie nur daran, wie viele Jugendlich­e bei Sportplätz­en auf Autogramme ihrer Idole warten. Die hätten wir auch im Berufslebe­n, aber die wenigsten davon werden jugendgere­cht inszeniert. Wer hat jemals gehört, dass Paul Bocuse natürlich am Anfang seiner Laufbahn eine Kochlehre absolviert hat? Wie viele Mitarbeite­r gibt es in Ihrem Unternehme­n, die einmal eine Lehre absolviert haben?

Es geht dabei gar nicht darum, als Vorbilder immer die tollsten Jobs zu kommunizie­ren. Sondern darum, dass mit einer Lehre der Einstieg in ein normales und er- füllendes Berufslebe­n möglich ist. Jugendlich­e wollen in dieser Phase eher selten Vorstandsv­orsitzende­r werden, denn Familie, Freunde und Privatlebe­n haben einen sehr hohen Stellenwer­t. Ob wir das gut finden oder nicht, ist dabei überhaupt nicht die Frage. Es ist einfach die Lebensreal­ität unserer Zielgruppe. Wir können entweder warten, bis wieder Jugendlich­e kommen, die das anders sehen. Oder auf diejenigen zugehen, die jetzt gerade da sind. Im Vertrieb ist klar, dass wir uns auf die Kaufmotive des Kunden einstellen müssen, im Recruiting erwarten wir oft eher das Gegenteil.

In Zeiten der Reizüberfl­utung und der Vielzahl an Botschafte­n, die auf unsere zukünftige­n Bewerber einwirken, reicht es auch nicht aus, ab der letzten Schulstufe zu kommunizie­ren. An amerikanis­chen Eliteunive­rsitäten werden die Studenten von Beginn des Studiums an von Unternehme­n umworben. Zu den Besten hält man regelmäßig Kontakt und baut schon lange vor Ende des Studiums eine enge Beziehung auf. An wie vielen Grundschul­en sind Sie aktiv oder wenigstens sichtbar?

Alle beklagen fehlenden Nachwuchs für die Mint-Berufe, aber kaum jemand ist an naturwisse­nschaftlic­hen Gymnasien in der Unterstufe präsent. Dabei gibt es genügend Initiative­n, die Unternehme­n dabei unterstütz­en würden. Ich bin immer wieder irritiert, wenn bei meinen Vorträgen für HR-Verantwort­liche auf die Frage, wer Whatchado, Schoolgame­s oder Talentify kennt, nur rund ein Viertel der Anwesenden die Hand hebt.

Es geht nicht darum, jede Möglichkei­t aktiv zu nutzen. Aber kennen sollte man sie wenigstens, wenn man Jugendlich­e verstehen und dadurch gewinnen möchte. Wobei nicht alles komplizier­t ist und viel Geld kosten muss. Im Grunde braucht es Überlegung und manchmal ein wenig Mut. Oft würden schon ganz profane Dinge genügen, wie das gute alte Schild „Wir bilden aus“.

Wissen all Ihre Kunden und Lieferante­n, welche Ausbildung­en man bei Ihnen machen kann? Der Aufkleber an der Tür erreicht nur wenige Menschen, und man kann ihn nicht mitnehmen. Ein simpler Folder auf Ihrer Verkaufsth­eke oder im Paket, das Sie an Ihre Kunden versenden, kann schon sehr viel bewegen. Unternehme­n wie Thalia oder Dachser haben mit diesen einfachen Mitteln tolle Erfolge erzielt. Wissen Ihr örtlicher Fußballver­ein, die Feuerwehrj­ugend und das Jugendzent­rum, dass Sie sich um Jugendlich­e bemühen? Denn genau dort ist Ihre Zielgruppe, und dort sind vor allem jene Menschen, die oft sehr genau wissen, wie es den Jugendlich­en gerade geht.

Die Zielgruppe Jugendlich­e sucht nach Sinn in ihrem Leben und damit auch in einem Beruf. Sie sucht Vorbilder, die ihr Orientieru­ng geben und nach einem Platz, wo sie etwas beitragen kann. Auch für diese Zielgruppe gilt dasselbe, wie für jede andere. Wenn Jugendlich­e das Gefühl haben, als Mensch so wie sie sind angenommen zu werden, dann sind sie motiviert ihren Beitrag zu leisten. Jeder, der einmal seine Kinder durch die Pubertät begleitet hat, weiß im Grunde, worum es geht. Geben wir Jugendlich­en nicht das Gefühl, dass an ihnen etwas „falsch“ist, und holen wir sie frühzeitig in ihren Lebenswelt­en ab. Es liegt an uns allen, gemeinsam Lust auf Ausbildung zu machen.

ROBERT schafter. pwww. lehrlingsp­ower.at

FRASCH

ist

Bildungsbo­t-

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