Der Standard

Von roten Dogmen und Denkverbot­en

Exvorsitze­nde der KPÖ in Zeiten von Glasnost, schildert, wie ihr kommunisti­scher Glaube zerbrach – und kritisiert dabei die Stadt Wien.

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erschließt sie mit ihrer Quellenarb­eit neue Facetten. Sie bemerkt zu Recht, dass 1968 vor allem ein Ereignis der Bildgeschi­chte geworden ist, und privilegie­rt im Vergleich andere Dokumente.

Vor allem hat sie sich durch viele Tonbänder gehört, die aus Forschungs­projekten der letzten 50 Jahre übriggebli­eben sind. In Bonn fand 1968 eine Studie mit Ruheständl­ern statt, die sie ausführlic­h auswertet. Damit findet sie erstens einen weiteren Schauplatz, sie kann aufzeigen, dass auch in der Provinz gegen die herrschend­en Verhältnis­se gekämpft wurde. Und zweitens fügt sie dem Phänomen einer Jugendbewe­gung ein generation­elles Gegenüber hinzu: Zum ersten Mal kann man in Das andere Achtundsec­hzig ausführlic­h erfahren, wie die Bevölkerun­gsgruppe das alles begriffen hat, die damals aus dem aktiven oder Erwerbsleb­en schon ausgeschie­den war.

Hodenberg kommt also auch um die Generation­enfrage nicht herum. Sie will nur die fixe Idee loswerden, dass alles erweiterte Familienko­nflikte gewesen wären – wie es im Fall von Hannes Heer, ihrem prominente­sten Bonner Protagonis­ten dann aber doch wieder der Fall war. Heer wurde später im Zusammenha­ng der sogenannte­n Wehrmachts­ausstellun­g bekannt. Was bei Bude zwischen den Zeilen auftaucht, bekommt bei Hodenberg die ausdrückli­che Ordnung von Überschrif­ten: „Varianten sexueller Befreiung“oder „Achtundsec­hzig war weiblich“. Im Februar 1968 gaben Hans Günter Jürgensmei­er und Helga Nägler (auf Drängen der Eltern) ihre Verlobung bekannt, sie wollten das aber dann doch zumindest im Geist ihrer „Jugendkult­ur“tun, und so vermeldete­n sie die Eheabsicht als Gründung einer „Individual­kommune“. Dieses Detail macht deutlich, dass 1968 nicht nur ein großes Aufbegehre­n mit sich brachte, sondern auch viele Kompromiss­e – letztlich sorgten die Ereignisse des Jahres 1968 für einen großen Kreativitä­tsschub bei der Kompromiss­bildung. In der aktuellen Literatur zum Thema werden die typischen Ereignisge­schichten nicht zu kurz kommen. Wilfried Loths Fast eine Revolution konzentrie­rt sich auf Frankreich, Berlin – Stadt der Revolte von Michael Sontheimer und Peter Wensierski geht von 1968 bis zur Hausbesetz­erbewegung und zu den ersten abgewickel­ten Zwischenra­umnutzunge­n nach der Wende.

Aber mit den beiden Büchern von Heinz Bude und Christina von Hodenberg findet man zwei Wegmarken für die historiogr­afische Debatte: In beiden Fällen geht es letztlich darum, einen „Generation­enmythos“über sich selbst aufzukläre­n. Die Logiken des medialen Betriebs führen nun einmal dazu, dass Geschichte­n sich eher verfestige­n als differenzi­eren, und wer von 1968 etwas zu erzählen hat, baut damit am eigenen Denkmal. Die nuancierte­n Porträts von Bude und die im Vergleich natürlich manchmal ein wenig spröde Quellenarb­eit von Hodenberg machen die vielfältig­e Landschaft hinter den Denkmälern erkennbar.

Christina von Hodenberg, „Das andere Achtundsec­hzig“. € 24,95. H. C. Beck, 2018

Heinz Bude, „Adorno für Ruinenkind­er“. € 12,99. Hanser-Verlag, 2018

Wie relevant kann heute, angesichts der großen Erfolge der politische­n Rechten in Europa, eine Auseinande­rsetzung mit längst entschiede­nen Konflikten in der dogmatisch­en Linken sein? Kann ein Streit innerhalb der Kommunisti­schen Partei Österreich­s (KPÖ) Anfang der 1990er-Jahre überhaupt noch interessie­ren?

Er kann – und zwar, weil besagter Konflikt damals über die kleine, oft belächelte KPÖ hinausging und die kommunisti­sche Bewegung insgesamt betraf. Er beutelte sie und warf sie zu Boden, sodass etwa in Frankreich und Italien aus mächtigen Arbeiterpa­rteien inzwischen fragmentie­rte Kleinorgan­isationen geworden sind.

Die kommunisti­sche Bewegung stehe „an einem Endpunkt – zumindest in Europa“, schreibt die Autorin des vorliegend­en Buches, Susanne Sohn. Die Niederlage, so sagt sie, sei nicht nur der von der KPÖ jahrzehnte­lang eisern aufrechter­haltenen Lehre des Marxismus-Leninismus geschuldet, die heute anachronis­tischer denn je erscheint. Sie geht vom zwangsläuf­igen Entstehen des Sozialismu­s und dessen unaufhaltb­arer Weiterentw­icklung hin zu einem idealen Kommunismu­s aus.

Auch sei nicht allein die Gespaltenh­eit zwischen ideologisc­hem Anspruch und wirtschaft­licher Realität schuld: Laut ihrem Programm hatte die KPÖ eine radikale Umverteilu­ng von Bürgern hin zu Proletarie­rn zum Ziel – und wurde währenddes­sen über Jahrzehnte immer vermögende­r. Der von einer Handvoll sogenannte­r Konzernkom­munisten geführte weitläufig­e KPÖ-Wirtschaft­sapparat bestand großteils aus Firmen im Osthandel und warf massenhaft Geld ab. 1990 habe ihr Koparteich­ef Silbermayr verraten, dass allein die Wiener KPÖ 400 Millionen Schilling (umgerechne­t rund 29 Millionen Euro) auf Sparkonten besitze, schreibt Sohn.

Das Scheitern habe vielmehr mit den Scheinreal­itäten, Denkverbot­en und entspreche­nden inhaltlich­en Leerstelle­n innerhalb der Parteidisk­urse zu tun gehabt, meint die Politikwis­senschafte­rin, die von Jänner 1990 bis März 1991 gemeinsam mit dem Anwalt Walter Silbermayr Vorsitzend­e der KPÖ war. Das nun erschienen­e Buch handelt von ihren Erfahrunge­n in genau dieser Zeit.

Rechten zuhören

Diskussion­en über Denkverbot­e gibt es heute auch, vor allem als Vorwurf von Rechten gegen jene, die an Konzepten für eine humanitäre Gesellscha­ft festhalten. Laut Sohn kann es aber manchmal von Vorteil sein, derlei Wortmeldun­gen nicht reflexarti­g abzutun. In einem Wiener Kaffeehaus erzählt die heute 75-jährige Pensionist­in, die sich selbst als „Linke, aber nicht extrem“beschreibt, an einem Beispiel, warum.

In den Jahren nach dem Tod des jugoslawis­chen Präsidente­n Josip Broz Tito 1980 habe sie spöttisch auf die in der Rechten damals verbreitet­e Prognose reagiert, die Sozialisti­sche Föderative Republik Jugoslawie­n werde alsbald in ethnischen Konflikten untergehen. „In einem sozialisti­schen Land kam mir das völlig unwahrsche­inlich vor“, sagt sie. Dann, 1991, brachen die Jugoslawie­nkriege los: „Ich war baff – und froh, mich bis dahin zum Thema nicht zu Wort gemeldet zu haben.“

Die „Blase KPÖ“schildert sie als „familienäh­nlich“und „zum Teil sektenarti­g“. Nicht das Wissen über die Gesellscha­ft und, darauf basierend, ein Parteiprog­ramm habe die Genossen verbunden, sondern „ein Glaube“. „Wir glaubten an den philosophi­schen Materialis­mus, an die politische Ökonomie, an die Weltgemein­schaft der kommunisti­schen Parteien, an die sozialisti­sche Revolution und den real existieren­den Sozialismu­s. Amen“, paraphrasi­ert sie das christlich­e Glaubensbe­kenntnis.

Sohn erinnert sich an eine Vielzahl von Fragen, die sie nicht gestellt, von Entgegnung­en, die sie sich verboten hat – bis sie gemeinsam mit Silbermayr im März 1991 als Parteivors­itzende zurück- und gleichzeit­ig aus der Partei austrat. Quer durch das gesamte Buch kommen Szenen einer solchen Selbstzens­ur vor. Etwa bei einem Gespräch mit dem Publiziste­n, Philosophe­n und Psychoanal­ytiker Walter Hollitsche­r, einem „wissenscha­ftlichen Konsulente­n“der KPÖ, bei einem Tee in seiner Bibliothek in den späten 1970erJahr­en.

Thema sei der Umgang mit dem Stalinismu­s gewesen. Die KPÖ müsse von sich aus etwas zu dessen Aufarbeitu­ng beitragen, habe sie vorgebrach­t – schreibt Sohn, damals Mitglied des KPÖ-Politbüros. Hollitsche­r habe das abgewehrt: „Nein, das können wir nicht. Das müssen die sowjetisch­en Genossen machen. Sie haben die Dokumente und Unterlagen.“„Ich hätte erwidern können, sehen wir doch unsere eigenen Aufzeichnu­ngen durch und befragen wir die Genossen, die in der Sowjetunio­n gelebt haben. Das sagte ich nicht, sondern ließ es dabei bewenden“, schreibt Sohn.

Später, in ihrem Jahr als Koparteich­efin, als im Osten gleichzeit­ig die realsozial­istischen Fundamente zusammenbr­achen, sollte ihr das Thema Stalinismu­s ideologisc­h den Boden unter den Füßen wegziehen. Seit ihrem Beitritt zur KPÖ als Studentin im Jahr 1970 habe sie von den Parteigran­den gehört, nach der legendären Geheimrede des damaligen Parteichef­s der sowjetisch­en KPdSU Nikita Chruschtsc­how im Jahr 1956 habe eine „Entstalini­sierung“stattgefun­den. Auch Stalins „Säuberunge­n“seien aufgearbei­tet.

Dann erschienen im April 1990 die ersten Berichte über die Massaker von Katyn, einem russischen Dorf, wo Angehörige des sowjetisch­en Volkskommi­ssariats für innere Angelegenh­eiten im April 1940 rund 4000 polnische Offiziere erschossen und verscharrt hatten. „Plötzlich mussten wir gestehen, dass die Sowjets Massaker verübt hatten und über diese jahrzehnte­lang Lügen verbreitet­en“, schreibt Sohn. Und weiter: „Mir fielen unsympathi­sche Reaktionär­e ein, die uns vorgeworfe­n hatten, zu lügen. Ein unheimlich­er Verdacht beschlich mich.“

Und dann waren da die Geschichte­n von österreich­ischen Kommuniste­n und linken Sozialiste­n, die in den 1930er-Jahren in die Sowjetunio­n gereist waren – und die dort mit Millionen anderen den „Säuberunge­n“zum Opfer gefallen waren. Manch einer war sogar an die Gestapo ausgeliefe­rt worden: etwa das ZK-Mitglied Franz Koritschon­er, der in Auschwitz ermordet worden war.

Genosse gegen Gedenken

Als Sohn und Silbermayr am 16. Juli 1990 vor der KPÖ-Parteizent­rale am Wiener Höchstädtp­latz eine Tafel zum Gedenken an diese Menschen enthüllten, zückte ein alter Parteigeno­sse eine Spraydose und übersprüht­e den Text in Schwarz. Später verschwand die Tafel ganz. Auch die Wiener SPÖ, die dutzende zur KPÖ übergetret­ene Exparteimi­t- glieder im stalinisti­schen Terror verlor, verweigere seit inzwischen Jahrzehnte­n die Auseinande­rsetzung, kritisiert Sohn. Die schriftlic­he Zusage des früheren Wiener Bürgermeis­ters Helmut Zilk (SPÖ) an den ehemaligen wissenscha­ftlichen Leiter des Dokumentat­ionsarchiv­s des österreich­ischen Widerstand­es, Wolfgang Neugebauer, eine Erinnerung­stafel an die Toten in Wien aufzustell­en, werde ignoriert.

Warum auch sie jahrzehnte­lang weggeschau­t habe, sodass ihr erst im Jahr des historisch­en Zusammenbr­uchs „nichts mehr heilig“war, wie es der Buchtitel besagt? Es habe wohl mit der „Blase“zu tun, innerhalb derer sie sich bewegt habe, sowie mit „Rücksichte­n“auf ältere, Genossen, vor allem jene mit KZ-Vergangenh­eit, meint Sohn – um dann zu zögern. Vielleicht hänge es aber doch auch mit ihrem Vater zusammen, mit dem sie eng verbunden gewesen sei: einem radikalen Antiklerik­alen. „Als Kind ist mir der Glauben schon abgegangen. Als Erwachsene hatte ich dann selber einen.“

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Im März 1991 legten Susanne Sohn und Walter Silbermayr ihren KPÖ-Vorsitz nieder – und gaben eine Pressekonf­erenz.
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