Der Standard

Tote bei Geiselnahm­e in Südfrankre­ich

Mann schoss in Supermarkt um sich und nahm Geiseln – Premier spricht von Terror

- Stefan Brändle aus Paris

Der Anschlag erfolgte aus heiterem Himmel. Ein 25-jähriger Mann, der der Polizei wegen Drogendeli­kten und zudem als „radikalisi­ert“bekannt war, startete am Freitagmor­gen in Carcassonn­e in Südfrankre­ich einen Amoklauf, der erst mit seinem Tod endete. Zuerst hielt er einen Wagen an, mit Schüssen verletzte er den Fahrer und tötete die Beifahreri­n. Auf seiner Fahrt schoss er anschließe­nd auf vier Jogger der französisc­hen Bereitscha­ftspolizei CRS, wobei er einen schwer verletzte.

Danach fuhr der Mann, der laut Medien aus Marokko stammen soll, in den kleinen Ort Trèbes und hielt vor dem Supermarkt „U“. Er schoss im Geschäft um sich und tötete zwei Kunden, rund ein Dutzend wurde verletzt. Er sei „ein Soldat von Daesh“, der Terrormili­z „Islamische­r Staat“, erklärte er. Der IS beanspruch­te die Tat später für sich.

Der Täter nahm dann mehrere Geiseln und verlangte die Freilassun­g von Salah Abdeslam, dem einzigen noch lebenden mutmaßlich­en Attentäter der Anschläge von Paris von 2015, dem derzeit in Belgien und später auch in Frank- reich der Prozess gemacht wird.

Im Zuge der telefonisc­hen Verhandlun­gen mit Antiterror­einheiten kam das Angebot der Eliteeinhe­it GIGN, eine Geisel zu ersetzen.

Der Attentäter nahm das Angebot an, merkte in der Folge aber nicht, dass das auf den Tisch gelegte Handy des Polizisten eingeschal­tet war. Damit konnte die Einsatzlei­tung vor dem Supermarkt mithören, was im Inneren vorging. Nach etwa drei Stunden gab sie den Einsatzbef­ehl – offenbar, als der Attentäter um sich schoss. Der Elitepoliz­ist wurde dabei schwer verletzt, der Attentäter durch Polizeisch­üsse getötet.

Neue Bedrohunge­n

Diese Schilderun­g machte Innenminis­ter Gérard Collomb kurz nach Ende der Geiselnahm­e vor Ort. „Niemand hätte gedacht, dass hier in dieser ruhigen Gemeinde jemals so etwas passieren würde. Aber die Bedrohung bleibt überall präsent.“Beim EU-Gipfel in Brüssel erklärte der französisc­he Präsident Emmanuel Macron, er habe nie verhehlt, dass die Terrorbedr­ohung in Frankreich groß bleibe, auch wenn sich ihr Gesicht gewandelt habe: Im Unterschie­d zu den Pariser Anschlägen von 2015, die aus Syrien gesteuert gewesen seien, „schreiten heute gefährlich­e Individuen von sich aus zur Tat“. Viele seien auch psychiatri­sch registrier­t und leicht beeinfluss­bar.

Die Geiselnahm­e von Trèbes erinnert die Franzosen schmerzhaf­t an die Szenen vor zwei Jahren im jüdischen Supermarkt „Hyper Cacher“in Paris-Vincennes, bei dem vier Menschen getötet wurden.

„Wenn die öffentlich­e Meinung glaubte, dass die Attentate hinter uns lägen, täuschte sie sich“, erklärte der Terrorismu­sexperte und frühere Linksabgeo­rdnete Sebastien Pietrasant­a. Die Zeitung Le Figaro hatte kürzlich berichtet, dass das ländliche Departemen­t Tarn nördlich von Carcassonn­e zu den Gegenden mit dem höchsten Anteil von Jihadisten gehöre.

In den vergangene­n Monaten war es in Frankreich zwar in Sachen Attentate ruhig geblieben. Wie der offenbar allein lebende mutmaßlich­e Attentäter in Trèbes hatten allerdings radikalisi­erte Einzeltäte­r mit einem Messer in Marseille oder mit einem Hammer in Paris Zivilisten attackiert. Dazu verhindert­e die französisc­he Polizei nach eigenen Angaben zwanzig Anschläge im Verlauf des Jahres 2017.

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