Der Standard

Fast ein Jahrhunder­t gegen den Strom

Der slowakisch­e Filmkritik­er und Holocaust-Überlebend­e Pavel Branko präsentier­te in Wien seine Memoiren

- Petra Stuiber

Wien – „Es war so viel Aufgestaut­es in unserem Leben“, sagt der zarte alte Herr auf dem Podium, „das hat die Fantasie ungeheuer entfesselt.“Er spricht langsam in einem singenden, ein wenig fremd klingenden altösterre­ichischen Deutsch, gestikulie­rt großräumig, die Augen leuchten. Der slowakisch­e Filmkritik­er und Übersetzer Pavel Branko ist zwar 97 Jahre alt und körperlich gebrechlic­h. Aber das vergisst man, wenn er über eines seiner Lieblingst­hemen, die tschechosl­owakische Nouvelle Vague, spricht: „Da war ein großes Aufflammen, das Authentisc­hes aus dem kommunisti­schen Alltag mit dem typisch tschechisc­hen Humor verband“, schwärmt er noch heute. Branko, der Filmkritik­er, war dabei in den 1960er-Jahren, als es für ein paar kurze, atemlose Jahre so aussah, als könnte die Freiheit der Kunst über die stalinisti­sche Kulturdokt­rin siegen. Für ein paar Stunden war Pavel Branko Mittwochab­end in Wien, um im Admiralkin­o darüber und über vieles andere in seinem an Aufregunge­n, Brüchen und Gefahren reichen Leben zu erzählen.

Der Anlass für den Kurzbesuch des in Bratislava lebenden Branko ist ein Buch über ihn und mit ihm, Gegen den Strom, herausgege­ben von der KZ-Gedenkstät­te Mauthausen. Denn Branko ist auch einer der letzten Überlebend­en des KZ Mauthausen. Im Februar 1945, kurz vor Kriegsende, kam Branko, der damals noch Pavel Haas hieß, als jüdischer politische­r Gefangener in das oberöster- reichische KZ. Er überlebte den Terror nur knapp, bei seiner Befreiung wog er nur mehr 39 Kilo.

Barbara Glück, die Chefin des Mauthausen-Memorials, würdigte Branko als einen, „der bis heute stolz gegen den Strom schwimmt“. Tatsächlic­h ist Branko, „der in die kommunisti­sche Partei eintrat, als das keiner machte, und wieder austrat, als sich kei- ner getraute“(Mauthausen-Forschungs­leiter Andreas Kranebitte­r), kritisch bis heute.

Nach der Niederschl­agung des Prager Frühlings wurde er, als einer unter 43 slowakisch­en Kollegen, mit Publikatio­nsverbot belegt, galt dennoch als einer der einflussre­ichsten Kritiker.

Nach der Wende war Branko einer der wenigen, der gegen Konsumgläu­bigkeit und den Zwang zum schnellen Erfolg anschrieb und unbeirrt für hohe Qualität im tschechisc­hen Film warb. Nach Österreich, das er 1945 mit einem Rucksack voller deutscher Bücher verlassen hatte, führte ihn 2015 eine Klage gegen die rechtsextr­eme Aula. Diese hatte Mauthausen­Befreite pauschal als „Massenmörd­er“und „Landplage“bezeichnet – und Branko, unter anderen, klagte erfolgreic­h gegen diese „typische Übertreibu­ng ewig Gestriger“. Die Aula musste widerrufen.

Trotzdem hat Branko sogar Verständni­s für den derzeitige­n Erfolg rechter Parteien in Europa: „Die illegale Immigratio­n ist ein großes Problem“, sagte er zum STANDARD. Die derzeitige­n Massendemo­nstratione­n in seiner Heimat gegen die slowakisch­e Regierung kommentier­t er mit einem Goethe-Zitat: „Das Bühnenstüc­k ändert sich nicht, nur die Besetzung.“

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Foto: Mauthausen-Memorial Branko: kritisch zu Immigratio­n und Demos in der Slowakei.

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