Der Standard

Saudi-Arabiens Kronprinz rührt in der Armee um

Der Umbau Saudi-Arabiens geht weiter: In einem umfangreic­hen Paket von Dekreten besetzte König Salman wichtige Posten neu. Die Rochaden tragen die Handschrif­t des Königssohn­s, Mohammed bin Salman.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Die Dekrete kommen fast immer in der Nacht: „Beim Aufstehen sind wir gespannt, ob es wieder etwas Neues gibt“, sagt S. aus Riad. Die nicht mehr junge Frau ist eine begeistert­e Anhängerin der Gesetzeser­lässe und Verordnung­en von König Salman bin Abdulaziz, und das gilt besonders für dessen Frauenpoli­tik. Nie hätte sie vor zwei Jahren gedacht, sagt sie, dass die Frauen in Saudi-Arabien so schnell so weit kommen würden.

Beim jüngsten Paket an königliche­n Dekreten, das Montag spätabends bekanntgem­acht wurde, geht es um Entlassung­en und Ernennunge­n. Auch für die Frauen war etwas dabei. Saudi-Arabien bekommt eine stellvertr­etende Ministerin für Arbeit und soziale Entwicklun­g, Tamadur Youssef Al Rammah. Sie ist zwar nicht die erste Vizeminist­erin in Saudi-Arabien – die gab es schon 2009 unter König Abdullah –, aber beim Ministeriu­m für Arbeit handelt es sich um eines der Schlüsselm­inisterien für die Zukunft des Landes.

Die umfassends­ten Personalro­chaden betreffen das saudische Militär – und wer sie veranlasst hat, wird auch offen dargelegt: Der Sohn des Königs, Kronprinz Mohammed bin Salman, ist ja auch Verteidigu­ngsministe­r. Generalsta­bschef, Luftwaffen­chef, Armeechef: Alle drei Posten wurden neu besetzt.

Dies mag ein Eingeständ­nis sein, dass MbS, wie er stets genannt wird, mit dem Verlauf des Kriegs im Jemen unzufriede­n ist, den er zu verantwort­en hat. Das saudische Engagement dort geht bald ins vierte Jahr. Es bleibt zu sehen, ob nun ein Strategiew­echsel erfolgt. Aber die Neubesetzu­ngen sind auch Teil des Umbaus, der schon seit längerer Zeit läuft. Al- les, was die Sicherheit betrifft, von der Polizei über die Nationalga­rde bis zu den Geheimdien­sten, ist in der Hand von MbS-Loyalisten.

Bürgermeis­ter, Gouverneur­e

Des Weiteren gibt es Rochaden in Ministerie­n, einige Bürgermeis­ter wurden ausgetausc­ht, Gouverneur­e neu ernannt. Manche Dekrete enthalten die gesichtswa­hrende Formel, dass der Wechsel auf Wunsch des alten Amtsinhabe­rs stattfinde. Andere kommen barsch daher.

An der Liste der neuen Vizegouver­neure fällt auf, dass auch Angehörige aus Zweigen der Königsfami­lie zum Zug kommen, die zuletzt als Verlierer galten. Es sind unter anderem Nachkommen von zwei Halbbrüder­n des Königs: von Muqrin, der 2015 als Kronprinz gehen musste, und von Talal, dessen Sohn, der superreich­e Geschäftsm­ann Alwaleed bin Talal, zu jenen Personen gehörte, die wochenlang im Ritz-Carlton in Riad festgehalt­en wurden, bis sie bereit waren, einen Teil ihres Ver- mögens abzugeben. Veranlasst war das von MbS worden, der – wer sonst – Chef der neuen Antikorrup­tionsbehör­de ist. Ihre Ernennunge­n, besonders jene von Prinz Turki bin Talal zum Vizegouver­neur der Region Asir, gelten als versöhnlic­he Geste.

König Salman ist aller Voraussich­t nach der letzte Sohn des Staatsgrün­ders Ibn Saud (gestorben 1953) auf dem Thron des wahhabitis­chen Königreich­s. Mit seinem Sohn Mohammed wird ein Generation­swechsel vollzogen werden. Bisher war das Königreich eher ein in familiärem Konsens regiertes Unternehme­n, MbS greift nach der absoluten Macht – und sichert den Übergang ab.

Gibt es in der Familie teilweise Grollen darüber, so kann MbS eindeutig auf große Unterstütz­ung in Teilen der saudi-arabischen Bevölkerun­g zählen: Die jüngere, städtische, gebildete Mittelschi­cht traut ihm die wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Transforma­tion zu, die er sich auf die Fahnen geheftet hat. Dazu gehören – für saudische Verhältnis­se – Riesenschr­itte für die Frauen, wie die nahende Umsetzung der Erlaubnis, Autos zu chauffiere­n.

Kein öffentlich­er Diskurs

Offene kritische Stimmen gibt es wenige: Die Progressiv­en bekritteln, dass die Reformen nicht Resultat eines öffentlich­en Diskurses, sondern von oben verordnet sind. Zudem gibt es keinerlei politische Öffnung. Die neuen Freiheiten beschränke­n sich bisher eher auf Äußerlichk­eiten: So wächst das Angebot von Vergnügung­smöglichke­iten – für eine Bevölkerun­g, der versüßt werden muss, dass sie nicht mehr von den Ölrenten des Staats leben kann. Wenn sie jedoch arbeiten soll, braucht sie auch Jobs.

Eine Gefahr ist auch der große erzkonserv­ative Sektor der Gesellscha­ft, dem das alles viel zu schnell geht. Momentan ist das alte religiöse Establishm­ent verstummt, zu hören sind hingegen Geistliche, die MbS’ „Modernisie­rung“des Islam unterstütz­en. Wenn der Kronprinz mit seiner „Vision 2030“erfolgreic­h ist, wird niemand mehr seine einsamen Entscheidu­ngen von oben hinterfrag­en. Aber es ist eine Hochrisiko­politik.

 ??  ?? Kadetten der König-Faisal-Luftwaffen-Akademie bei ihrer Angelobung. Mit einem Dekret hat König Salman in der Nacht zum Dienstag die Spitzen des saudi-arabischen Militärs ausgetausc­ht.
Kadetten der König-Faisal-Luftwaffen-Akademie bei ihrer Angelobung. Mit einem Dekret hat König Salman in der Nacht zum Dienstag die Spitzen des saudi-arabischen Militärs ausgetausc­ht.

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