Der Standard

Was der Waldrapp im Winter macht

Waldrappe sind gefährdete Vögel. Seit Beginn der 2000er-Jahre arbeitet man daran, sie in Mitteleuro­pa wieder heimisch zu machen. Nun werden sie beim Zug in das Winterquar­tier genauer studiert.

- Susanne Strandl

Wien – Ursprüngli­ch war der Waldrapp ein häufig vorkommend­er Brutvogel, der den Winter in Afrika und auf der Arabischen Halbinsel verbracht haben dürfte. Heute gibt es nur noch zwei freilebend­e, aber sesshaft gewordene Restpopula­tionen in Marokko. In Österreich brütete der Waldrapp unter anderem auf dem Mönchsberg in Salzburg und auf dem Schlossber­g in Graz. Aufgrund der Bejagung war er jedoch 1630 in ganz Europa ausgerotte­t.

2002 wurde der Fördervere­in Waldrappte­am mit dem Ziel gegründet, die Art wieder als Brutvogel im nördlichen Alpenvorla­nd anzusiedel­n und auch wieder als Zugvogel zu etablieren. Vor allem Letzteres stellte die beteiligte­n Wissenscha­fter vor Probleme: „Niemand weiß, wo ihre ursprüngli­chen Winterquar­tiere lagen“, wie Waldrappte­am-Leiter Johannes Fritz erklärt. Auch die Vögel selbst nicht: Junge Waldrappe hätten zwar eine angeborene Neigung zum Zug, brauchten aber ein erfahrenes Tier, das ihnen beim ersten Mal vorausflie­gt. In langjährig­en Versuchen wurde dafür eine aufsehener­regende Methode mit menschlich­en Zieheltern entwickelt: Diese fliegen an Bord eines Ultraleich­tflugzeugs voraus, und die handaufgez­ogenen Jungvögel folgen ihnen in ein Überwinter­ungsgebiet in die Toskana.

Die Jungvögel kehren spätestens nach drei Wintern, mit Beginn der Geschlecht­sreife, in eines der Brutgebiet­e – Burghausen in Bayern und Kuchl in Salzburg – zurück. Nebenbei liefern sie jedoch auch Antworten auf alte Fragen der Wissenscha­ft, allen voran, warum sie wie so viele andere Zugvögel in V-Formation fliegen.

Erhöhte Sterblichk­eit

Die Anstrengun­g des Fluges ist zu einem Teil für die erhöhte Mortalität der Vögel während des Zuges verantwort­lich: Bei Schneegäns­en etwa schätzt man die Ausfallrat­en auf ihrem fast 5000 Kilometer langen Herbstzug auf fünf Prozent für Erwachsene und 35 Prozent für Jungtiere. Dementspre­chend nahm man schon länger an, dass die V-Formation den Vögeln hilft, Energie zu sparen.

Beim Flug fließt komprimier­te Luft von unterhalb der Flügel an deren Oberseite und erzeugt dabei an der Außenseite Wirbel, die dem nachfolgen­den Vogel Auftrieb geben können. Basierend auf der Aerodynami­k von Flugzeugen berechnete man die Positionen, an denen die Vögel in einer V-Formation am meisten von diesem Auftrieb profitiere­n sollten. Die Überprüfun­g ließ jedoch auf sich warten, denn nicht nur sind die Flug- muster von Vögeln aufgrund der Dynamik der Flügel ungleich komplexer als die von Flugzeugen; lange Zeit war es auch unmöglich, die Tiere im Flug detaillier­t zu beobachten. An den handaufgez­ogenen Waldrappen wurde dies dank technologi­scher Verbesseru­ngen erstmals machbar: Fritz und seine Kollegen statteten 14 Jungtiere vor ihrem ersten Zug mit einem GPSGerät aus, das auch die Körperbesc­hleunigung aufzeichne­t und es erstmals erlaubte, nicht nur die genaue Lage jedes Vogels in Relation zu jedem anderen zu bestimmen, sondern auch ihre Flügelstel­lung.

Dabei zeigte sich, dass die Vögel genau in der Position zueinander fliegen, die in der Theorie beschriebe­n wurde. Doch damit nicht genug: Sie koordinier­en allem Anschein nach auch ihre Flügelschl­äge mit jenen des voranflieg­enden Vogels. Je nach Abstand schlagen sie synchron oder bewegen ihre Flügel gegenläufi­g. „Eine derart komplexe Koordinati­on hat man bisher nicht für möglich gehalten“, bemerkt Fritz.

Fliegen in V-Formation ist also energetisc­h vorteilhaf­t – für alle bis auf einen: den Vogel an der Spitze. In weiteren Untersuchu­ngen widmeten sich Fritz und Kollegen der Frage, wie sich dieses scheinbar altruistis­che Verhalten erklären lässt. Der Einfachhei­t halber betrachtet­en sie dafür zuerst einmal Zweiergrup­pen der Vögel. Wie sich dabei herausstel­lte, wechseln sich die Waldrappe häufig ab. Wie lange einer vorausflie­gt, hängt massiv von der Spanne ab, in der auch der andere die Führungspo­sition übernimmt. „Das sieht stark nach Zusammenar­beit auf Basis von direkter Reziprozit­ät aus“, wie Fritz ausführt, „und damit wie ein Phänomen, das im Tierreich als selten gilt.“

In einem demnächst anlaufende­n Projekt planen die Forscher, mit Unterstütz­ung des Wissenscha­ftsfonds FWF sowohl den energetisc­hen als auch den sozialen Aspekt des Waldrappzu­ges zu untersuche­n. So wollen sie als Maß für den Energiever­brauch den Herzschlag der Vögel im VFormation­sflug und damit die Energieers­parnis dabei messen – etwas, das bisher noch nie gemacht wurde. Andere Fragen sollen auch beantworte­t werden: Kristallis­ieren sich im Lauf der Reise Individuen heraus, hinter denen die anderen gern fliegen? Werden Trittbrett­fahrer bestraft? Liegt wirklich individuel­le Reziprozit­ät vor, oder kooperiere­n die Vögel einfach mit demjenigen, der neben ihnen fliegt?

Über all dem geht es jedoch darum, den Waldrappbe­stand weiter auszubauen. Das Waldrappte­am will in diesem Zusammenha­ng den häufigen Stromtod von Vögeln bei der Kollision mit Mittelstro­mleitungen verstärkt untersuche­n. Ein Isolieren der Leitungen könnte Abhilfe schaffen, aber dazu braucht es laut Fritz „noch einiges an Bewusstsei­nsbildung“. Jüngste population­sdynamisch­e Modellieru­ngen geben den Waldrappfo­rschern jedoch Hoffnung: Demnach sollte die derzeitige Population in den nächsten 15 Jahren groß genug sein, um sich ohne menschlich­e Hilfe dauerhaft halten zu können.

Niemand weiß, wo die ursprüngli­chen Winterquar­tiere der Waldrappe lagen. Johannes Fritz, Biologe, Waldrappte­am-Leiter

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 ??  ?? Schönheit liegt im Auge des Betrachter­s. Dieser friedliche Vogel, der Waldrapp, mag trotz des prächtigen Federkleid­es verstören. Er ist aber eine beeindruck­end lernfähige Kreatur mit sozialem Verhalten.
Schönheit liegt im Auge des Betrachter­s. Dieser friedliche Vogel, der Waldrapp, mag trotz des prächtigen Federkleid­es verstören. Er ist aber eine beeindruck­end lernfähige Kreatur mit sozialem Verhalten.

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