Der Standard

Völlern, bis die Niere streikt

Das Martinigan­sl macht den Auftakt, dann kommen die Weihnachts­kekse, später die Festessen. Dem einen oder anderen tun da die Gelenke weh. Bei Gicht ist der Harnsäureh­aushalt aus dem Lot. Kristalle lagern sich in den Gelenken ab.

- Andreas Grote

Wien – Wir essen zu viel Fleisch, zu viel Süßes, trinken zu viel Alkohol. All dies trägt dazu bei, dass der Harnsäures­piegel im Blut ansteigt. Gesunden macht das wenig aus, die Niere bringt den Wert wieder auf Normalnive­au. Zwischen zwei und vier Prozent der Westeuropä­er haben einen krankhaft erhöhten Harnsäures­piegel. Das heißt: Die Niere scheidet zu wenig Harnsäure über den Urin aus. Es bilden sich Kristalle, die auf Dauer Gelenke und Niere schädigen.

„Gicht ist eine Erkrankung, die häufig familiär auftritt“, sagt Judith Sautner, Oberärztin am Landesklin­ikum Weinvierte­l/Stockerau und Leiterin des Arbeitskre­ises Osteoarthr­itis und Kristallar­thropathie­n der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Rheumatolo­gie und Rehabilita­tion. Ihr erster Rat an Patienten mit erhöhtem Harnsäures­piegel im Blut ist eine Ernährungs­umstellung.

Das Ziel dabei ist, zu viele Purine in der Nahrung zu vermeiden, denn sie werden beim Abbau im Körper zu Harnsäure umgewandel­t. Fisch ist purinreich, sollte aber nicht ganz von der Speisekart­e verschwind­en, weil seine Omega-3-Fettsäuren einen günstigen Effekt zur Vorbeugung von HerzKreisl­auf-Erkrankung­en haben.

Fleisch hingegen enthält mit am meisten Purine und sollte nur einmal pro Woche auf dem Speiseplan stehen. Es erhöht nicht nur den Harnsäures­piegel im Blut, die ungesättig­ten Fette vermindern die Harnsäurea­usscheidun­g der Niere. Auch Alkohol, vor allem Bier, erhöht stark die Harnsäurep­roduktion und behindert den Abbau der Harnsäure in der Niere. In Softdrinks und Fruchtsäft­en ist der Fruchtzuck­er das Problem, bei dessen Abbau Harnsäure ent- steht. Auch einige Medikament­e wie Aspirin oder Entwässeru­ngsmedikam­ente gegen Bluthochdr­uck erhöhen den Harnsäures­piegel.

„Die Ernährungs­anpassung allein senkt den Harnsäures­piegel in den meisten Fällen bei bestehende­r Gicht zu wenig“, sagt Sautner. Als unproblema­tisch gelten mittlerwei­le pflanzlich­e Lebensmitt­el. Auch wenn Nüsse, Hülsenfrüc­hte, Spinat, Pilze, Haferflock­en und Kohl zum Teil purinreich sind, ließ sich in Studien der Harnsäurew­ert durch ihren Verzicht nur wenig senken. Außerdem versorgen sie den Kör- per mit wichtigen Nährstoffe­n wie Eiweiße, Faserstoff­e, Vitamine und Mineralien.

Viel Wasser trinken

Unbedenkli­ch sind Milchprodu­kte, sie fördern die Ausscheidu­ng von Harnsäure und haben entzündung­shemmende Eigenschaf­ten. Viel Flüssigkei­t, Wasser und ungesüßte Getränke unterstütz­en die Niere beim Ausschwemm­en der Harnsäure. Gut wirkt auch Kaffee, denn einige seiner Inhaltssto­ffe wirken ähnlich wie der chemische Wirkstoff Allopurino­l, der Gichtpatie­nten am häufigsten verschrieb­en wird.

Kommt es nach einem üppigen Mahl oder viel Alkoholkon­sum dann zum akuten Gichtanfal­l, lässt sich nicht mehr ganz auf Arzneien verzichten. Meist zeigt sich der Gichtanfal­l zu Beginn am Grundgelen­k des großen Zehs. Das Gelenk wird binnen weniger Stunden rot, heiß, schmerzt und schwillt an. Entzündung­shemmende Schmerzmit­tel wie Proxen oder Diclofenac sind dann die erste Wahl, bei stärkeren Schmerzen auch Indocid.

Sind Schmerzmit­tel wegen anderer Erkrankung­en oder Unverträgl­ichkeit nicht einsetzbar, wird Kortison als Tablette gegeben oder direkt in das Gelenk gespritzt. Ist auch Kortison zum Beispiel wegen einem Diabetes nicht verwendbar, kann unter bestimmten Voraussetz­ungen auf den Wirkstoff Colchizin ausgewiche­n werden, der ebenso entzündung­s- und schmerzlin­dernd wirkt.

Mit Medikament­en senken

Ist der akute Gichtanfal­l nach etwa zehn Tagen abgeheilt, gilt es, weitere Gichtanfäl­le zu vermeiden, um die Gelenke zu schonen. Die Zahl der Medikament­e ist jedoch eng begrenzt, sie wirken nur optimal bei gesunder Niere, es gibt zahlreiche Wechselwir­kungen mit anderen Medikament­en und zum Teil heftige Nebenwirku­ngen. Mittel der ersten Wahl sind Medikament­e mit dem Wirkstoff Allopurino­l. Die Therapie damit beginnt frühestens zwei Wochen nach einem Gichtanfal­l. Allerdings schafft es günstigste­nfalls nur jeder Zweite damit, seinen Harnsäures­piegel wieder ins Lot zu bringen.

„Bei ungenügend­er Wirksamkei­t oder Unverträgl­ichkeit gibt es auch Febuxostat, das auch bei mittelgrad­ig eingeschrä­nkter Nierenfunk­tion eingesetzt werden kann. Vor der Zulassung steht auch noch Lesinurad“, sagt Sauter.

Warum eine Senkung langfristi­g für Betroffene notwendig ist: Weil durch die Gicht auch die Niere Schaden nimmt: Zu hohe Harnsäurew­erte fördern den Bluthochdr­uck und somit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankung­en.

Zudem setzen sich die Harnsäurek­ristalle auch in der Niere ab und fördern Nierenstei­ne, was im äußersten Fall zu einem Nierenvers­agen führen kann. Besser also, wenn sich Menschen mit Gichtneigu­ng fleischarm ernähren.

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Gichtige Finger: Schon Jean de La Fontaine warnte in seinen Fabeln vor dem zu guten Leben.

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