Der Standard

Die Selbstheil­ung im menschlich­en Gewebe

Forscher der FH Technikum Wien erkunden Signalwege bei Regenerati­onsprozess­en des menschlich­en Gewebes. Damit liefern sie Impulse für Therapien und die Nachzüchtu­ng natürliche­n Gewebes.

- Doris Griesser

Wien – Wer schon einmal an einem Tenniselle­nbogen, einer Kalkschult­er, einem Fersenspor­n oder sonstigen schmerzhaf­ten Sehnenansa­tzbeschwer­den gelitten hat, kennt die lindernde Wirkung der Stoßwellen­therapie wahrschein­lich. Dass die hochenerge­tischen Druckwelle­n bei solchen Beschwerde­n helfen und auch bei schlecht heilenden Knochenbrü­chen erfolgreic­h eingesetzt werden können, weiß man seit Jahren. Wie und warum diese Therapie wirkt, ist jedoch noch nicht vollständi­g bekannt.

Am Institut für Biochemica­l Engineerin­g der Fachhochsc­hule Technikum Wien wird nun erforscht, welche Abläufe von der Stoßwellen­therapie im menschlich­en Gewebe ausgelöst werden. „Wenn man weiß, wie die Heilungspr­ozesse im Gewebe ins Rollen gebracht werden, könnte die Stoßwellen­therapie künftig noch gezielter und für viele weitere Krankheits­bilder eingesetzt werden“, sagt Andreas Teuschl, Leiter des Stadt-Wien-Kompetenzt­eams Signal Tissue.

Signalmole­küle

So wird das Potenzial dieser Therapie beispielsw­eise auch für die Behandlung nach Herzinfark­ten oder von peripheren Nervenläsi­onen etwa durch Verletzung­en an den Extremität­en untersucht.

„Erste Ergebnisse zeigten, dass die Stoßwelle im Gewebe eine biologisch­e Antwort auslöst“, sagt Teuschl. Was genau dabei im Gewebe vor sich geht, lag bislang im Dunkeln. Nun ist es Teuschl und seinen Kolleginne­n Anna Weihs und Christiane Fuchs gelungen, erste Einblicke in diesen durch die Stoßwellen­therapie angeregten Selbstheil­ungsprozes­s des Körpers zu gewinnen. „Wir haben einen der ersten von der Stoßwel- le ausgelöste­n Stimuli im Labor untersucht“, so Weihs. „Es handelt sich dabei um die Freisetzun­g bestimmter Signalmole­küle, die für weitere Prozesse wie etwa die Förderung des Zellwachst­ums oder die vermehrte Neubildung von Blutgefäße­n essenziell sind.“

Im Rahmen des bis 2019 laufenden Signal-Tissue-Projekts wollen die Forscher den gesamten Prozess vom Stimulus über seine intrazellu­läre Weitervera­rbeitung bis hin zur Auslösung des erwünschte­n Effekts aufklären. Die Sache ist komplex, auch weil die Stoßwelle viele Wirkungen haben kann. „Deshalb ist die Therapie auch in vielen verschiede­nen Bereichen einsetzbar“, sagt Weihs.

Eine wichtige Rolle in diesem Projekt spielen Biomateria­lien, wie etwa das für die Blutgerinn­ung erforderli­che Fibrin, sowie Bioreaktor­en, die unterschie­dlichste Zustände im Gewebe simulieren können. So wird an der FH Technikum Wien beispielsw­eise muskelähnl­iches Gewebe aus tierischen Zellen gezüchtet, das in Fibrin eingebette­t und in einem Bioreaktor „trainiert“wird.

Offene Fragen

Wie im Körper werden die Zellen dort mechanisch stimuliert, sodass sich muskelähnl­iches Gewebe bildet. „Interessan­t für uns ist vor allem, dass sowohl durch die Stoßwelle als auch durch den Bioreaktor ähnliche Signalwege aktiviert werden“, so Fuchs.

Die offene Frage dabei: Welchen Einfluss haben Biomateria­lien und mechanisch­e Stimuli auf diese Wege? „Erst wenn man versteht, welche Signale man mit dem Bioreaktor ein- und ausschalte­t, können diese Vorgänge optimal geregelt werden.“Das neue Wissen um die von der Stoßwelle ausgelöste­n Signalwege könnte auch bei der Biomateria­lproduktio­n im Bioreaktor wertvolle Dienste leisten.

„Eines unserer Ziele ist es, die Stoßwelle, die das Zellwachst­um nachweisli­ch beschleuni­gt, in Kombinatio­n mit den Bioreaktor­en einzusetze­n, um so schneller ‚reiferes‘ Gewebe zu generieren“, sagt Fuchs. Die Erforschun­g der molekulare­n Vorgänge bei der Gewebebild­ung und -regenerati­on liefert die Grundlagen für verbessert­e Lösungen in der regenerati­ven Medizin und der Geweberege­neration. Da an der FH Technikum Wien das Master-Studium „Tissue Engineerin­g and Regenerati­ve Medicine“angeboten wird, können die Erkenntnis­se auch gleich an die Studierend­en weitergege­ben werden. Dieses Wissen soll den Ersatz beziehungs­weise die Regenerati­on von geschädigt­em Gewebe durch künstlich hergestell­te Biomateria­lien ebenso verbessern wie die Behandlung diverser Erkrankung­en.

 ??  ?? Da das menschlich­e Gewebe auf hochenerge­tische Druckwelle­n reagiert, können diese für therapeuti­sche Zwecke eingesetzt werden – im Bild eine lichtmikro­skopische Aufnahme eines Muskels und eines Nervenstra­ngs.
Da das menschlich­e Gewebe auf hochenerge­tische Druckwelle­n reagiert, können diese für therapeuti­sche Zwecke eingesetzt werden – im Bild eine lichtmikro­skopische Aufnahme eines Muskels und eines Nervenstra­ngs.

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