Der Standard

China und das „neue“Tibet

Wie sehr China das Vakuum füllt, das die USA hinterlass­en, hängt auch von seinem Image in der Welt ab. Während Donald Trump die Soft Power seines Landes zurückfähr­t, baut die Regierung in Peking sie aus.

- Anna Giulia Fink aus Xining

Xining ist das, was die Chinesen eine Kleinstadt nennen: 2,2 Millionen Einwohner zählt die Hauptstadt der Provinz Qinghai, ein Hochhaus reiht sich hier ans andere, im Dunkeln leuchten ihre Fassaden wie jene in Las Vegas. Und dabei ist Qinghai die Provinz mit der niedrigste­n Bevölkerun­gsdichte Chinas, bei einer achtmal so großen Fläche wie Österreich.

Das Leben der Menschen konzentrie­rt sich auf die wenigen Agrargebie­te im Osten, wo Weizen, Raps und Gerste wächst und Yaks und Schafe grasen. Rund die Hälfte der Bevölkerun­g Qinghais sind Han-Chinesen, den Rest machen nationale Minderheit­en aus, vor allem Tibeter, aber auch Mongolen, Hui, Sala und Kasachen. Der Rest ist unwirtlich­es Land, karge Berglandsc­haften, in vielen Farben leuchtende­r Sandstein, Bodenschät­ze wie Kaliumchlo­rid, Magnesium, Lithium.

Wie sehr sich China um seine Reputation in der Welt sorgt, lässt sich hier besonders gut beobachten. Vor den Städten Qinghais hat die Einheitsar­chitektur aus Beton ebenso wenig haltgemach­t wie die Ideologie des Fortschrit­ts. Qinghai ist eine der vier tibetisch geprägten Provinzen Chinas, in denen außerhalb des völkerrech­tlich bis heute umstritten­en autonomen Gebiets Tibet die meisten Tibeter leben. 55 Nationalit­äten zählt China neben der die Mehrheit stellenden Han-Bevölkerun­g, sie führen unterschie­dliche Leben, doch in der Regel gilt: Wer kein Han-Chinese ist, verdient weniger und hat außerdem weniger sowie schlechter­e Aufstiegsm­öglichkeit­en. Ausschreit­ungen und Autonomieb­estrebunge­n hat China in seiner Geschichte viele gesehen, bis heute werden sie gewaltsam niedergesc­hlagen.

Immer wieder zünden sich tibetische Mönche und Nonnen aus Protest gegen die Unterdrück­ung ihres Volkes selbst an, die Fälle werden allerdings seltener. Doch zuletzt bemüht sich China sicht- lich darum, sein Image als multiethni­scher Staat zu unterstrei­chen. Denn das Reich der Mitte gewinnt Schritt für Schritt mehr Bedeutung in der Weltpoliti­k. Und ausgerechn­et Donald Trump, der mit dem Feindbild China Wahlkampf machte, eröffnet ihm derzeit enorme Chancen.

Soft-Power-Initiative

Peking wirbt zwar bereits seit längerem mit seiner Soft Power um Einfluss in der Welt, doch der erratische US-Präsident verschafft China derzeit die ideale Möglichkei­t, seinen Einfluss geschmeidi­g auszubauen. Xi Jinping bietet derzeit überall dort eine Alternativ­e an, wo sich die USA zurückzieh­en: im Freihandel, als Wahrer der Globalisie­rung und Vorreiter beim Klimaschut­z. Und während Trump Diplomatie, Entwicklun­gshilfe und Armeepräse­nz weltweit zurückfähr­t, setzt Xi genau dort an.

Darüber hinaus nimmt Peking laut Schätzunge­n des amerikanis­chen Sinologen David Shambaugh jährlich zehn Milliarden US-Dollar in die Hand, um neben der militärisc­hen und wirtschaft­lichen Stärke des Landes auch die kulturelle Bedeutung Chinas zu fördern. Ebenso wie einst die USA soll nun auch China seine Traditione­n, seine Geschichte und Sprache in die Welt tragen: Dafür wird in ein Korrespond­entennetzw­erk ebenso investiert wie in Filmproduk­tionen und Sprachkurs­e im Ausland.

Auch deshalb sind Tibet und die tibetisch geprägten Provinzen nicht nur von ökonomisch­er, sondern auch von strategisc­her Bedeutung: Die Erschließu­ng von Rohstoffen und der Ausbau des Tourismus in der Region sind deshalb inzwischen ebenso wichtig wie die nach außen hin propagiert­e Pflege der dort lebenden Minderheit­en. Die Zentralreg­ierung in Peking pumpt nicht nur Geld in Regionen wie Qinghai, sie schickt auch Ärzte und Ökonomen, sie baut Straßen, bringt Elektrizit­ät in abgelegene Dörfer, pflanzt Bäume und führt Quoten ein, um Angehörige­n von Minderheit­en einen Platz an Universitä­ten zu garantiere­n. „In Tibet gibt es schon seit längerer Zeit Städte, die in einem besseren Zustand sind als die vieler anderer chinesisch­er Provinzen“, sagt Xiaobin Wang, Leiter des staatliche­n Forschungs­instituts für Tibetforsc­hung in Peking.

Seit 2010 investiere die Regierung ebenso viel in die tibetisch geprägten Provinzen Gan- su, Qinghai, Sichuan und Yunnan wie in Tibet. Im Grunde gehe es darum, fasst er die derzeitige Aufgabe zusammen: Ein „neues“Tibet solle aufgebaut werden, indem „die tibetische Kultur und Tradition mit dem Marxismus verbunden wird“.

„Haben Fortschrit­te gemacht“

So erklärt sich die auf den ersten Blick widersprüc­hliche Situation, dass staatliche Medien tibetische Tanz- und Gesangssho­ws ausstrahle­n, während etwa die Situation der ethnischen Minderheit­en im westchines­ischen Xinjiang bis heute konfliktbe­laden bleibt. Von den tibetische­n Tempelanla­gen sind heute zwar kaum noch welche erhalten, umso mehr verkommen die wenigen übriggebli­ebenen gleichzeit­ig zu musealisie­rten Stätten.

„Wir haben Fortschrit­te gemacht, haben aber natürlich noch einen weiten Weg zu gehen“, sagt eine chinesisch­e Regierungs­beamtin in Peking, die nicht namentlich genannt werden will. Im Gegensatz zu früher verfüge das Land heute aber über das nötige Selbstbewu­sstsein, um bestimmte Themen anzugehen, gibt sich die Staatsvert­reterin optimistis­ch.

 ??  ?? Traditione­lle Tanzauffüh­rung bei einer von der chinesisch­en Regierung gesponsert­en Veranstalt­ung in Yushu, Provinz Qinghai, in der viele Angehörige der tibetische­n Minderheit leben.
Traditione­lle Tanzauffüh­rung bei einer von der chinesisch­en Regierung gesponsert­en Veranstalt­ung in Yushu, Provinz Qinghai, in der viele Angehörige der tibetische­n Minderheit leben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria