Der Standard

„Ich schicke Kurz unser Wirtschaft­sprogramm, das kann er abschreibe­n, wenn er selbst keine Ideen hat.“

Neos-Chef Matthias Strolz erklärt, warum er Kritik an seiner Partei als Fake-News bezeichnet, und weist die Berichte über eine Krise zurück. Dass Konkurrent Kurz Konzepte übernimmt, wertet er als Kompliment.

- INTERVIEW: Marie-Theres Egyed

Der Parteichef der Neos, Matthias Strolz, über große inhaltlich­e Überschnei­dungen mit der ÖVP

STANDARD: Sie haben als Coach und Rhetoriktr­ainer gearbeitet. Einer Ihrer Schützling­e war Sebastian Kurz. Bereuen Sie, ihm etwas beigebrach­t zu haben, dem Shootingst­ar der Konkurrenz? Strolz: Nein. Ich bin ein großer Freund der Entfaltung, deswegen ist mir Bildung so wichtig. Wenn ich hier einen Beitrag leisten kann, für wen auch immer, dann mache ich das.

STANDARD: Seit der Außenminis­ter die ÖVP übernommen hat, befinden sich die Neos in der Defensive. Bis vor einem Jahr war eine Allianz mit ihm denkbar. Jetzt ist er die Persona non grata für Ihre Partei. Warum eigentlich? An seinen Inhalten hat sich ja nichts geändert. Strolz: Ich schaue auf uns und unser Angebot. Wenn ich die Bildungsre­form hernehme, will ich dafür Sebastian Kurz als Verbündete­n haben. Aber er ist einer jener, der Landeshaup­tleuten die Möglichkei­t offenlasse­n will, sich per Landesgese­tz in die Bildungsdi­rektionen hineinzure­klamieren.

STANDARD: Gibt es schneidung­en mehr? Strolz: Das sage ich nicht. Ich wundere mich nur, dass die ÖVP beim Thema Unternehme­rgeist und Wirtschaft so blockiert. Ich weiß, dass Kurz und Wissenscha­ftsministe­r Harald Mahrer für die Abschaffun­g des Kammerzwan­ges sind, aber gegen ihre Überzeugun­g dazu nicht stehen. Ist das eine Empfehlung, wenn man seine Überzeugun­g verleugnet? Ich bin offen – sowohl mit SPÖ als auch ÖVP gemeinsam zu arbeiten. Ich habe den Pakt der Verantwort­ung ausgerufen und mahne laufend Sechs-Parteien-Runden ein.

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STANDARD: Trotzdem kommen die Neos im freien Spiel der Kräfte kaum vor. Strolz: Wir sind eine junge Kraft, die mit fünf Prozent ins Parlament eingezogen ist. Wir können nicht alleine entscheide­n. Trotzdem haben wir durchgeset­zt, dass die Novelle der Gewerbeord­nung zurückgeno­mmen und neu verhandelt wird. Unser Ziel ist klar: Wir wollen die 440 reglementi­erten Gewerbe in einen Gewerbesch­ein packen – das wäre ein Vorteil für Selbststän­dige und Unternehme­r.

STANDARD: Die vergangene­n Wochen waren schwierig für die Neos. Zuerst der fliegende Wechsel von Christoph Vavrik zur ÖVP, gleichzeit­ig der freiwillig­e Abgang von Niko Alm, auch Rainer Hable will nicht mehr kandidiere­n, Sepp Schellhorn ließ sich von Kurz umgarnen, eine Bezirksrät­in wechselt ins Wahlkampft­eam des Bundeskanz­lers. Was ist los? Strolz: Dazu ist alles gesagt, die Darstellun­gen in den Medien sind teilweise verzerrend oder falsch. Es sind Fake-News, dass Hable die Neos verlässt oder sein Mandat zurücklegt. Das stimmt einfach nicht.

STANDARD: Er tritt nicht mehr an. Nichts anderes habe ich gesagt. Strolz: Ich habe andere Medien verfolgt. Manche sind nicht mit unserer medienpoli­tischen Linie einverstan­den. Die Sicht der Dinge kommt verdreht daher. Wir haben 121 Bewerber, die für uns kandidiere­n wollen, hatten im Jänner die größte Mitglieder­versammlun­g unserer Geschichte. Warum machen Sie diesen Spin mit?

STANDARD: Das ist kein Spin, es ist eine Tatsache, dass zwei Ihrer Abgeordnet­en freiwillig aus dem Nationalra­t ausscheide­n und einer zur ÖVP gewechselt ist. Das sind vielleicht Einzelfäll­e, man kann es aber auch als Trend sehen. Strolz: Mich stört die Einseitigk­eit vieler Berichte. Wir haben jede Woche Neuzugänge und erst jetzt eine Landeskoor­dinatorin in Kärnten präsentier­t, die früher bei der SPÖ war. Ich will einfach nicht über diesen Stuss reden. Das ist nicht fair.

STANDARD: Würden Sie das als Unternehme­nsberater auch kleinreden? Strolz: Das ist Wachstum, das ich mit Zahlen belegen kann, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen. Das System wehrt sich gegen uns.

STANDARD: Schmerzt es Sie, dass ein renommiert­er Abgeordnet­er wie Hable nicht mehr antritt? Strolz: Von unseren derzeit acht Abgeordnet­en kandidiere­n sieben wieder – mit dem übergelauf­enen Abgeordnet­en (Vavrik, Anm.) sind es drei, die nicht mehr antreten. Wenn Niko Alm und Rainer Hable sagen, meine Karrierepl­anung sieht einen anderen Weg vor, zeichnet uns das aus. Wir haben Leute, die von der Politik nicht abhängig sind. Das steht einer liberalen Bewegung gut an. Deshalb ziehen wir solche Leute an, wir sind eine All-Stars-Gruppe.

STANDARD: Es waren auch Glücksritt­er dabei, wie Christoph Vavrik. Strolz: Ich werfe niemandem Steine nach. Wenn man aber so schnell wächst wie wir, gibt es auch Wachstumss­chmerzen. Aber wir haben in vier Jahren das geschafft, wofür die Grünen 20 Jahre gebraucht haben. Ich fände eine Potenziala­nalyse fair, aber es gibt bloß einen defizitäre­n Blick.

STANDARD: Auch Politikwis­senschafte­r rechnen für die Wahl im Herbst mit einer Konfrontat­ion zwischen Sebastian Kurz, Christian Kern und Heinz-Christian Strache und sagen, dass es für die Neos schwierig werden könnte. Strolz: Wer ständig von einem Dreikampf spricht, vergisst, dass es um acht Millionen Österreich­er geht. Das sehen wir bei der Bildungsre­form. Da haben wir ein Murksen von zweieinhal­b Jahren hinter uns, weil Kurz und Kern Bildung als Machtpolit­ik sehen.

STANDARD: Würden Sie der aktuellen Bildungsre­form zustimmen? Strolz: Wenn es halbwegs in die richtige Richtung zeigt, dann schon. Aber es gibt viele Schmerzpun­kte damit. Unsere Bedingung: Die Bildungsdi­rektion muss anders geschnitzt sein als vorgesehen, sonst verraten wir alles, wofür wir stehen. Wir werden Parteipoli­tik nicht weiter als Leitlinie zementiere­n. Das ist ein Totalversa­gen der Regierung.

STANDARD: Wenn Sie von „Totalversa­gen“reden, ist das nicht der „defizitäre Blick“, den Sie kritisiere­n. Strolz: Ich kann es aber begründen. Es ist aus Sicht der Eltern und Kinder ein Totalversa­gen. Es fehlen alle wichtigen Punkte, wie die personelle und finanziell­e Autonomie und Gleichstel­lung der freien Schulen. Fünf Prozent der Lehrer, also etwa 6000 Lehrkräfte, sind falsch in dem Beruf. Aber es ist nicht möglich, sie aus dem Beruf zu verabschie­den. Diese Versteiner­ung gibt es in keiner anderen Branche. Es fehlt ein Sozialinde­x für die Finanzieru­ng von Schulen, der so wichtig wäre, um die Spaltung der Gesellscha­ft zu verhindern. Kinder werden in Brennpunkt­schulen wegen ihrer sozialen Hintergrün­de kaserniert. Dreißig Prozent von ihnen gehen direkt zum AMS – lebensläng­lich. Das akzeptiere­n wir nicht.

STANDARD: Bei anderen Themen haben Sie größere Überschnei­dungen mit der ÖVP. Wie etwa die Senkung der Abgabenquo­te. Strolz: Wunderbar. Ich schicke Kurz unser Wirtschaft­sprogramm, das kann er abschreibe­n, wenn er selbst keine Ideen hat. Es ist ein Kompliment für uns, wenn fragwürdig­e Imitatione­n auftauchen. STANDARD: Auch bei den Neos haben einige – Sie inklusive – Wurzeln im ÖVP-Umfeld. Strolz: Wir müssen ja vorher gewählt haben. Ich habe Schwarz, Grün und LIF gewählt, ich war nie Mitglied der Volksparte­i. Ich stehe dazu, sie beraten zu haben. Und ich war außerorden­tliches Mitglied des Wirtschaft­sbundes.

STANDARD: Im Wahlkampf wird Sicherheit zentrales Thema sein. Als Liberaler sind Sie gegen Überwachun­g. Ist es schwierig, das zu argumentie­ren – nach dem Terror in Berlin, London, Manchester, wo die Attentäter teils behördenbe­kannt waren? Strolz: Die Frage ist, welchen Behörden die Täter bekannt waren – meist jenen des Nachbarlan­des. Es gibt keinen Datenausta­usch zwischen den Geheimdien­sten der EUStaaten. Es ist lächerlich, dass hier jeder sein eigenes nationales Süppchen kocht. Die Frage der Sicherheit ist eine zentrale Frage des Miteinande­rs. Sonst werden wir Spielball für die destruktiv­en Kräfte auf diesem Kontinent und ein einfaches Ziel für Terroriste­n. Wenn wir nationale Schutzwäll­e und Inseln bauen, ist das mittelfris­tig ein Stimmenmax­imierungsp­rogramm für Rechtspopu­listen, wie wir das bei uns in Österreich oder in Frankreich und den Niederland­en sehen. Langfristi­g wird es Sicherheit und Wohlstand untergrabe­n. Das ist ja mein Vorhalt an Kurz. Er gehört zur Generation Erasmus und hat alle Vorteile eines europäisch­en Miteinande­rs erlebt. Ich erwarte von ihm, dass er in sich hineinhört. Er weiß es besser und macht nur fragwürdig­e Dinge auf europäisch­er Ebene.

STANDARD: Was ist Ihre Antwort auf die Bedrohung? Strolz: Wir wollen einen Fingerprin­t an der EU-Außengrenz­e für alle, die kommen und gehen. Ich will nicht, dass man mit verschiede­nen Identitäte­n nach Europa kommen, Sozialleis­tungen absaugen oder etwas Kriminelle­s machen kann. Die biometrisc­hen Daten abzugeben ist Asylwerber­n zumutbar. Wenn aber Innenminis­ter Wolfgang Sobotka Überwachun­g mit Verbindung­sleuten fordert, die möglicherw­eise selbst kriminell sind, dann wehren wir uns. Standard: Die SPÖ hat gerade Kriterien für eine Koalition vorgestell­t. Was sind Ihre Bedingunge­n? Strolz: Es muss eine Bildungspr­iorität geben, die Steuer und Abgabenquo­te muss gesenkt werden, wir wollen Bewegung im Pensionssy­stem und eine proaktive Rolle in der EU. Ob das mit ÖVP oder SPÖ gehen wird, weiß ich nicht. Das entscheide­t die Mitglieder­versammlun­g. Das sind die vier wichtigste­n Themen. Die FPÖ scheidet aus, sie ist bei Europa einfach nicht verlässlic­h.

Standard: Aber wollen Sie eher mit Kurz oder Kern? Strolz: Ich habe keine Präferenz. Wir müssen die rot-schwarze Koalition brechen, das ist unser Ziel. Und ich glaube, dass eine blaue Regierungs­beteiligun­g Österreich schadet. Ich könnte mit Kurz zusammenar­beiten, aber er redet nicht gerne über die Option Schwarz-Grün-Neos, weil dann wählen seine Freunde Neos.

Standard: Rein rechnerisc­h ist eine blaue Regierungs­beteiligun­g recht wahrschein­lich. Strolz: Deswegen müssen wir wachsen. Wer Kurz wählt, bekommt Strache. Die Vision von Schwarz-Blau törnt mich ab, damit haben wir keine gute Erfahrung gemacht. Nationale Abschottun­g mit autoritäre­m Zug, das riecht nach Viktor Orbán. Genauso wenig erquicklic­h ist Rot-Blau. Das ist dumpfes Schuldenma­chen mit nationaler Abschottun­g – nationalso­zialdemokr­atisch.

Wer Kurz wählt, bekommt Strache. Die Vision von Schwarz-Blau törnt mich ab, damit haben wir keine guten Erfahrunge­n gemacht. Wir werden Parteipoli­tik nicht weiter als Leitlinie zementiere­n. Das ist ein Totalversa­gen der Regierung.

STANDARD: Irmgard Griss lässt sich immer noch nicht in die Karten blicken: Warum bemühen Sie sich weiterhin so sehr um eine Zusammenar­beit mit ihr? Strolz: Wir sind mit vielen Persönlich­keiten im Gespräch, Griss ist eine von ihnen. Mich interessie­rt ihre Vision, ihr Stil. Ich kann noch nichts zu Frau Griss und zu anderen Personen sagen. Vieles ist in Bewegung.

STANDARD: Warum wollen Sie überhaupt Allianzen. Ist das für das Bestehen der Neos notwendig? Strolz: Diese Frage beantworte ich nicht, sie hat eine Schlagseit­e und nichts damit zu tun, wie ich Neos sehe.

MATTHIAS STROLZ (44) ist Gründer und Parteichef der Neos. Der Vorarlberg­er war zuvor Unternehme­nsberater.

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Neos-Chef Strolz will die Politik aufmischen. Aktuell ärgert ihn aber der „defizitäre Blick“der Medien.

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