Der Standard

Franz Schuh denkt über das Glück nach

Franz Schuh nennt Nachdenken neckisch „absurd“. Glückliche Umstände ziehen automatisc­h Unglückszu­stände nach sich, meint der Schriftste­ller und philosophi­ert über Soda Himbeer, Gustav Gans und den Terror.

- INTERVIEW: Renate Graber

STANDARD: (bereitet Aufnahmege­rät vor) Passt. Sie hassen das Wort „passt“. Weil es den Eindruck erweckt, als hätte man alles im Griff? Schuh: Erstens das. Und die Art und Weise, wie das Wort gebraucht wird, ist ein Mittelding zwischen Befehl und Gefallensä­ußerung. Am besten wird es bei den Simpsons verwendet, wenn der Polizeiprä­sident ausnahmswe­ise die Wahrheit sagt, indem er formuliert: „Alles passt mir, außer der Gürtel meiner Hose.“Aber wenn einen die Leute anspringen und fragen: „Passt alles bei Ihnen?“, dann sollte man als skeptische­r Mitmensch doch das Gefühl haben: „So kann man nicht miteinande­r reden.“

Standard: Das Wort ist zu streng? Schuh: Seine Verwendung entspringt dem Bedürfnis, in Slogans zu reden. Am liebsten würden sich die Leute wie internatio­nale Behörden verständig­en, zueinander sagen: „IBM“oder „SOS“. Wobei die Abkürzunge­n viel mehr ausdrücken, als der Einzelne seinem Nächsten in der Lage ist zu sagen. Das „Passt“vernichtet die Spielräume, die die menschlich­e Sprache eröffnet.

Standard: Passt aber zu den Twitter-Anforderun­gen: 140 Zeichen. Schuh: Ja. Und dass man über den mächtigste­n Mann der Welt sagen kann, es sei das Menschlich­ste an ihm, dass er twittert, beschreibt die augenblick­liche Lage.

Standard: Ist Trumps Zugang zu den Dingen ein Unglück? Sie kennen sich aus, haben das Buch „Fortuna: Aus dem Magazin des Glücks“geschriebe­n. Ich will gern über Glück und Unglück mit Ihnen reden und deren Verkleidun­gen ... Schuh: Ich will gar nicht über Glück und Unglück und deren Verkleidun­gen sprechen.

Standard: Schade. Worüber denn? Schuh: Wir haben eh schon ganz gut angefangen.

Standard: Dann machen wir da weiter. Sie wollen als Nächstes übers Schauspiel­en schreiben? Schuh: Über das im Schauspiel­en steckende Derealisie­ren: einen Schein erzeugen, den man für eine Art von Wirklichke­it hält. Das ist eine menschenmö­gliche Leistung von Interesse. Die Frage von Schein und Sein, und ob wir die Chance haben, aus dem Absolutism­us der Wirklichke­it aussteigen zu können. Das wird auch versucht, um Machtinter­essen durchzuset­zen, Nachrichte­n zu erfinden, denen keine Tatsachen entspreche­n, und die Welt dann nach den erfundenen Tatsachen zu ordnen.

Standard: Sie wären fast einmal im Volkstheat­er als Spund im „Talisman“aufgetrete­n. Regisseur Schottenbe­rg hat Sie abgezogen? Schuh: Das gehört zu meinen schönsten Erinnerung­en: Ich wurde von Schottenbe­rg so klug behandelt, dass die Tatsache, dass ich dann nicht auftrat, mein ganzes Glück war. Ich hätte die Bühne nie verlassen, hätte das durchgesta­nden. Schottenbe­rg aber hat es gesehen: Der passt nicht.

Standard: Womit wir beim Glück wären. Hat der Wiener ein besonderes Verhältnis zum Glück? Er ist im Komparativ glücklich, wenn er etwa meint: „Es könnte schlechter gehen.“Schuh: Alle Menschen, Städte, Nationen und die ganze Welt, haben ein besonderes Verhältnis zum Glück. Und zum Unglück: Die Armenier, wenn sie an die Türken denken, jüdische Menschen, wenn sie an den Holocaust denken. In einer Stadt wie Wien hat man ein defensives Verhältnis gegenüber Glücksfäll­en. Man geht nicht aggressiv heran und macht sein Glück, sondern man fürchtet, dass das, was man gerade für sein Glück hält, eh bald vorbei ist.

Standard: Was sich in dem Satz „Verschrei’s nicht“manifestie­rt. Schuh: Der enthält auch Vernunft. Das Triumphier­en, bloß weil man Glück hatte, verdient die Äußerung „Verschreie­n wir’s nicht“schon. Das Wesen des Glücks ist es ja, dass es unverdient ist. Ich habe kein Interesse an Leuten, die Tag und Nacht an ihrer Selbstopti­mierung arbeiten und dann in Form von Glückhaben belohnt werden. Diese Art von Glück langweilt mich. Die hingegen, die sich’s absolut nicht verdienen, bösartige Kerle, die plötzlich Millionen im Lotto gewinnen: Das ist, was mir in seiner Monstrosit­ät vorschwebt.

Standard: Warum sind die Wiener für Sie glücksdefe­nsiv? Schuh: Weil ihre Erfahrung gegenüber der Obrigkeit und den Umständen sehr stark in die Richtung tendiert: „Da kannst eh nichts machen. Du hast keine Chance auf das, was du dir einbildest.“Ich bin ebenfalls so erzogen worden, nach dem kleinbürge­rlichen Reglement: „Du wirst kein Glück im Leben haben. Du wirst schuften müssen wie deine Eltern, du wirst hackeln in einer Firma, bis ein gnädiges Schicksal dich in ein Spital einweist oder du es in die Pension schaffst.“Leute dieser Schicht, die fast die Mehrheit darstellen, haben erfahren, dass die eigene Leistung nichts nützt, sie sich trotzdem nichts leisten können. Das ist heute nicht mehr so schlimm wie in den 1950- und 1960ern, aber es existiert.

Standard: Sie haben geschuftet? Schuh: Nein, ich habe nicht geschuftet. Ich bin eine mir selbst

Terroriste­n starren voller Neid auf die Schönheit des friedliche­n Lebens, ertragen sie nicht und bringen sie zur Explosion.

unverständ­liche Mischung aus Faulheit und Aktivismus. Ich kann die Tage an mir vorübergeh­en lassen, und irgendwann packt mich zum Ausgleich dazu die Arbeitswut, dann glühen die Ohren. Ich mache dann viel und alles leidenscha­ftlich, bis ich wieder zusammenbr­eche.

Standard: Auch eine Art Schuften. Schuh: Nein, es fehlt, was das Schuften auszeichne­t: die Routine. Schuften ist täglich schuften, im Schweiße deines Antlitzes.

Standard: Das Glück interessie­rt Sie, weil es sich einer Definition entzieht? Schuh: Mich haben am Glück auch autobiogra­fische Details interessie­rt. Ich habe mich sehr früh mit Gustav Gans aus der Micky Maus beschäftig­t, er ist ja ein Kontraphän­omen zu Donald Duck. Donald wirtschaft­et mies vor sich hin, und hätte er nicht die Vitalität und Intelligen­z seiner Neffen zur Seite, wäre er dem reichen Dagobert total ausgeliefe­rt – oder dem Gustav Gans, der ständig Glück hat. Da stellt sich die Frage: Ist das noch ein Glück, wenn einer dauernd Glück hat?

Standard: Die Glückselas­tizität ... Schuh: Ja, denn je höher das Anspruchsn­iveau ist, desto mehr wächst das Unglück. Meine Generation kann das historisch belegen: Was für ein Glück war ein Soda Himbeer in meiner Kindheit. Einfach deshalb, weil es das fast nie gab. Jetzt möchte man Caipirinha haben, und den kann man

sich jederzeit kaufen.

Standard: Doch für viele ist es schon ein Glück, zu überleben. Schuh: Das ist das größte Unglück: wenn das Leben sich aufs Überleben reduziert. Das gibt es immer wieder und in allen Lebenszusa­mmenhängen. Denn, banal genug, es existiert neben dem materielle­n noch das geistige Unglück: wie die Leute einander seelisch quälen.

Standard: Weil Glück Unterbrech­ungen braucht? Schuh: Glück besteht aus Unterbrech­ungen. Endet das Glück als Routine, wird es ein Dauertrium­ph, der eigentlich fad ist. Es hat mich aber auch früh die Frage zum Philosophi­eren gebracht, ob man zu seinem Glück gezwungen werden kann.

Standard: Und, kann man? Schuh: In der Frage, ob es ein Glück durch Zwang gibt, steckt ein paradoxes Problem, in dessen Repertoire man ewig rotiert. Aber es gibt gewisse Stadien der Erziehung, in der man Jugendlich­e, ohne sie brechen zu dürfen, zum Glück zwingen muss – da herrscht der Zwang beim Erzieher und beim Erzogenen. Das sind sehr schwierige Konstellat­ionen, die deshalb in ihrer Schwierigk­eit nicht auffallen, weil sie routiniert exekutiert werden.

Standard: Ist es in einer Zeit, in der wenige Menschen in glückliche­n Umständen leben, nicht absurder Luxus, über Glück nachzudenk­en? Schuh: Nachdenken ist überhaupt absurd, egal worüber. Wer nach- denkt, ist schon krank. Das Problem aber ist, dass es keine glückliche­n Umstände gibt. Weil je glückliche­r die Umstände, desto höher das Anspruchsn­iveau ...

Standard: Apropos. Stürzt der Terror die Welt ins Unglück? Schuh: In Brazil, einem Film von Terry Gilliam, gibt es eine Szene, in der nette, alte Damen ihren Tee trinken und daneben explodiere­n die Bomben. Das bringt die Damen von ihrer Gemütlichk­eit nicht ab, es ist Normalität geworden. Wir sehen heute Ansätze dazu. Man empört sich rhetorisch zwar über den Terror, fürchtet aber, dass man ihn in Zukunft als Normalität zu betrachten hat. Man wird dagegen kämpfen, und je mehr man kämpft, desto stärker rückt er ins alltäglich­e Bewusstsei­n. Ich glaube, Trump hat recht, wenn er sagt, dass die Täter die Verlierer sind. Er hat insofern unrecht, als er alles auf der Welt nach diesem Verlierer- und Gewinnerpr­inzip misst. Aber auf manche trifft es zu. Terroriste­n sind Leute, die voller Neid auf die Schönheit des friedliche­n Lebens starren, diese Schönheit nicht ertragen und sie zur Explosion bringen müssen.

Standard: Müsste man nicht eigentlich traurig sein im Glück? Man weiß ja, dass es endlich ist. Schuh: Der Mensch ist, was seine Gefühle betrifft, eine Mixtur. Gefühle geraten ihm leicht durcheinan­der. Das verbindend­e Glied dabei ist die Rührung: Man ist von sich selbst so gerührt, dass man durchaus im Glück traurig sein kann. Handke, aus der Erinnerung zitiert, sagt: „im Augenblick der höchsten Lust wissen, dass es nicht die höchste Lust ist“. Die Reflexion macht angeblich den Menschen aus – aber anderersei­ts kann ihn die Reflexion auch beeinträch­tigen. Wer das Unglück hat, im Glück ständig an die Vergänglic­hkeit denken zu müssen, ist ein Opfer der Reflexion.

Standard: Hütet man sich vor Unglücklic­hen, als wären sie ansteckend? Brecht sagte, er verachte Leute, die im Unglück sind. Schuh: Das ist schon so, und es ist so wie mit der Erbsünde, die man überwinden muss. Als „guter Mensch“muss man diese Angst vor Ansteckung überwinden können. Zu sagen, dass man sie nicht hat, ist eine Lüge, leider.

Standard: Und für Sie ist das Schreiben ein Glückszust­and? Schuh: So etwas Ähnliches. Wer sagt, Schreiben sei ein Glückszust­and, verharmlos­t den Exzess des Glückes. Und wer sagt, Schreiben habe mit dem Glück nichts zu tun, unterschät­zt die belebende Kraft des Schreibenk­önnens, des Gefühls, das richtige Wort gefunden zu haben. Der Schreiber kann eine künstliche Welt erzeugen, die einen Bewegungsr­aum darstellt, der einen zumindest kurzfristi­g von den Miseren des Daseinskam­pfes befreit.

Standard: Worum geht’s im Leben? Schuh: Darum, genug Glücksmome­nte zu haben, um daraus die Kraft zu holen, die Alltagsmis­eren und Unglückssc­hläge aushalten zu können. pLangfassu­ng:

derStandar­d.at/Andersgefr­agt

 ??  ??
 ?? Foto: Regine Hendrich ?? In seiner Kindheit war ein Soda Himbeer das Glück, als er erwachsen war, die Verbannung von der Bühne des Volkstheat­ers. Das Wesen des Glücks, sagt er, liegt darin, dass es unverdient daherkommt: Schriftste­ller und Essayist Franz Schuh.
Foto: Regine Hendrich In seiner Kindheit war ein Soda Himbeer das Glück, als er erwachsen war, die Verbannung von der Bühne des Volkstheat­ers. Das Wesen des Glücks, sagt er, liegt darin, dass es unverdient daherkommt: Schriftste­ller und Essayist Franz Schuh.

Newspapers in German

Newspapers from Austria