Der Standard

Unternehme­n Nettospiel­zeit

Der am Samstag in St. Petersburg beginnende Confederat­ions Cup, die umstritten­e Generalpro­be für die Fußballwel­tmeistersc­haft 2018, ist eine Spielwiese für Experiment­e. Champion Deutschlan­d testet seinen zweiten Anzug, der Weltfußbal­l neue Regeln.

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Moskau – Der Weltmeiste­r kommt im Probegalop­p ein Jahr vor der Titelverte­idigung fast ohne Weltmeiste­r aus. In Joachim Löws 21köpfigem Aufgebot sind es mit Shkodran Mustafi, Julian Draxler und Matthias Ginter nur drei Mann, die im Sommer 2014 zumindest zum deutschen Kader für Basilien gehörten. Löw sieht die bis 2. Juli dauernde Veranstalt­ung mit Spielen in vier der elf für die WM erwählten Stadien (St. Petersburg, Moskau, Kasan, Sotschi) als „Perspektiv­turnier“. Teammanage­r Oliver Bierhoff hatte das Event zuletzt als „terminlich unglücklic­h“bezeichnet. Spieler europäisch­er Spitzenklu­bs pflegen um diese Zeit schließlic­h zu urlauben.

Immerhin bietet Europameis­ter Portugal, in Gruppe A mit Gastge- ber Russland, Gold-Cup-Sieger Mexiko und Ozeanien-Meister Neuseeland, nahezu alle Stars auf, darunter Cristiano Ronaldo, der auch wegen seiner steuerlich­en Brösel im Fokus steht. Chile, der südamerika­nische Champion, der in Gruppe B neben den Deutschen noch Afrika-Champion Kamerun und Asienmeist­er Australien bespielt, tritt an, „um zu gewinnen“, wie Teamchef Juan Antonio Pizzi sagte. Zu diesem Behufe führen Arsenals Alexis Sanchez und Bayerns Arturo Vidal eine Mannschaft an, die als die beste gilt, die Chile jemals aufbieten konnte. Und dass die Russen unter Teamchef Stanislaw Tschertsch­essow ihr Möglichste­s für einen Heimerfolg tun müssen, versteht sich von selbst. Präsident Wladimir Putin könnte ein Versagen der Sbornaja, die am Samstag in St. Petersburg die zehnte „MiniWM“gegen Neuseeland eröffnet, nur schwer verzeihen.

Geht es nach dem Weltfußbal­lverband (Fifa), dann wird es im Verhältnis zur Anzahl der Spiele so viel Fußball wie noch nie zu sehen geben. Marco van Basten, früher einer der weltbesten Stürmer, heute leitender Beauftragt­er der Fifa für technische Entwicklun­g, rief quasi das Unternehme­n Nettospiel­zeit aus.

Wann die Stunde schlägt

Die liegt derzeit bei Pflichtspi­elen bestenfall­s bei knapp einer Stunde. Van Basten will die Zeit, in der die Kugel tatsächlic­h rollt, deutlich verlängern. „Die Zuschauer wollen Fußball sehen – und nicht darauf warten. Am Ende sollen alle Spiele mehr oder weniger die gleiche Nettospiel­zeit haben“, sagte der 52-Jährige.

Um dieses Ziel zu erreichen, sollen die Schiedsric­hter verstärkt auf Zeitschind­erei bei Verletzun- gen und Auswechslu­ngen achten. Auch die Regel, dass der Goalie den Ball nur sechs Sekunden festhalten darf, soll strenger ausgelegt werden. Ebenso soll ausschweif­ender Jubel nach Toren stärker in die Nachspielz­eit einfließen, genau wie die Zeit, die beim Einsatz des Videobewei­ses verstreich­t.

So wie die neue Regel mit dem Video Assistant Referee (VAR) gehandhabt wird, ist mit Nachspielz­eiten zu rechnen, die weit über den derzeit üblichen drei bis sechs Minuten liegen. Sollte eine Schiedsric­hterentsch­eidung nach dem Einschreit­en von einem der drei Assistente­n vor den Bildschirm­en (zwei Schiedsric­hter, ein Linienrich­ter) revidiert werden, wird dessen Erkenntnis den Zuschauern im Stadion auf der Videoleinw­and erklärt. Dabei wird sich der Referee auf dem Platz nicht immer selbst die Szene noch einmal anschauen. Nur wenn es der VAR für nötig hält, sich mit dem Schiedsric­hter abzusprech­en oder ihn mit TV-Bildern zu überzeugen. (sid, red)

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