Der Hendlflüsterer im aufstrebenden Ortskern
Vor 20 Jahren begann auch die Innenstadt der Mühlviertler Marktgemeinde Ottensheim auszusterben, die Geschäfte zogen in das Einkaufszentrum an der Peripherie. Neue Ideen sorgten für eine Trendumkehr, der 5000-Einwohner-Ort ist bei den Bürgern beliebt.
Ottensheim – Am Freitagnachmittag hat Gerti Walchshofer keine Zeit für ausführliche Gespräche: Die quirlige 71-Jährige läuft über den Marktplatz und schaut, ob die Standler auf dem richtigen Platz stehen und mit Strom versorgt sind. Auf dem Ottensheimer Freitagsmarkt ist sie die erste Anlaufstelle bei Problemen und daher bekannt: Ständig wird Walchshofer gegrüßt oder winkt Bekannten zu. Und während die Bäckerin noch ihre Waren vor sich aufstapelt und der Speckverkäufer seinen Wagen einparkt, sind schon die ersten Besucher eingetroffen. Es ist ein ganz normaler Freitagnachmittag – zumindest in Ottensheim.
Denn während in anderen österreichischen Gemeinden die Ortskerne aussterben, weht durch die nicht ganz 5000 Einwohner zählende Gemeinde im Mühlviertel frischer Wind: Mit jungen Unternehmern und kreativen Geschäftskonzepten ist Leben in manches Haus im Ortskern zurückgekehrt. Die gute Stimmung zeigt sich auch in der Bevölkerungsentwicklung: Zwischen 2006 und 2016 ist Ottensheim laut Statistik Austria um rund vier Prozent gewachsen.
Diese Entwicklung nahm, da sind sich die Ottensheimer einig, mit einer Initiative der resoluten Walchshofer vor 20 Jahren ihren Anfang. Damals war sie Wirtin im Gasthaus Grüner Baum am Marktplatz und hatte die Idee, an einem Stand davor Strudel und Knödel zum Mitnehmen zu verkaufen. Das kam gut an. Schnell gesellten sich eine Bäckerin und ein Gemüsebauer dazu. Heute kann man am Freitagnachmittag an 40 Ständen regionale Produkte wie Erdbeeren, Blumen und Forellen kaufen.
Weil der Marktplatz mittlerweile voll ist, stehen seit einigen Monaten auch Marktstände in der angrenzenden Linzer Straße. Die dortigen Geschäfte freut das. Die Berta zum Beispiel – ein Shop, in dem lokale Produkte größtenteils direkt von den Erzeugern verkauft werden. Das Geschäft hat nur freitags offen. Dann läuft hier Musik, und duftende Buchteln stehen auf dem Tisch. Die Idee hatte Michael Madlmayr, der sich als Hendlflüsterer, Umdenker und Jungbauer bezeichnet: „Ich habe zu Hause einen Bauernhof und wollte die Eier direkt verkaufen“, erzählt der Gramastettner.
Heute stehen neben ihm die Milchbäuerin Anja Durstberger und Andreas Knollmayr. Demnächst wird mit einer Schneiderin noch eine weitere Mitstreiterin einziehen. „Die Idee war, dass wir uns die Mietkosten und das Risiko so aufteilen, dass am Ende überschaubare Kosten für alle herauskommen“, erzählt Madlmayr.
„Die Idee war aber auch, dass wir als Produzenten wieder im Geschäft stehen wollen.“Das komme an: „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viele Fragen man zu Eiern haben kann.“Bis zu 200 Kunden würden an einem guten Freitag vorbeischauen. Noch vor 20 Jahren sperrten auch hier viele Geschäfte zu, als an der Peripherie entlang der Rohrbacher Bundesstraße ein Einkaufszentrum eröffnet wurde. „Als ich Bürgermeisterin war, wollten sich viele Handelsketten am Ortsrand ansiedeln. Ich hatte das Gefühl, die erschlagen mich“, erzählt Uli Böker. Sie sitzt für die Grünen im oberösterreichischen Landtag, war bis 2015 zwölf Jahre lang für die Bürgerliste „Pro O“Bürgermeisterin – und ist im Übrigen die Schwester von Gerti Walchshofer. Als dann auch die Apotheke beschloss, an die Peripherie zu ziehen, kam der Moment des Erwachens. Direktverkauf statt Einkaufszentrum
4. Teil
Zweijähriger Prozess
Mit externen Experten wurde 2009 ein zweijähriger Prozess eingeleitet, in dem man sich intensiv mit dem Ortskern beschäftigte. „Damit rückte auch der Ortsrand in den Fokus“, erzählt Böker: Ein Masterplan für die Flächen an der Peripherie wurde erarbeitet und so „den um sich greifenden Einkaufszentren Einhalt geboten“.
Für diese Gesamtentwicklungsarbeit wurde Ottensheim 2012 mit dem BaukulturgemeindePreis ausgezeichnet. Raumplaner heben den Ort heute gerne als positives Beispiel für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource Boden hervor. „Gemeinden brauchen in diesem Prozess einen langen Atem“, sagt Böker, die sich gegen viele Gegner im Ort durchgesetzt hat. „Ich wurde damals von vielen als größte Wirtschaftsvernichterin bezeichnet.“Heute lacht sie darüber.
Was ihre Heimatgemeinde für sie ausmacht: Ottensheim sei für viele Bewohner mehr als nur ein Ort, von dem aus man dank guter öffentlicher Anbindung innerhalb von 20 Minuten nach Linz pendeln kann.