Der Standard

„Man kann völlig ungeniert lügen“

Unwahrheit­en zu verbreiten habe mittlerwei­le Methode – und werde gesellscha­ftlich kaum sanktionie­rt, sagt Julia Wippersber­g, Lehrende am Institut für Publizisti­k. Wie lassen sich Fake-News enttarnen?

- INTERVIEW: Lisa Breit

STANDARD: Laut einer Studie der Stanford University können vier von fünf amerikanis­chen Jugendlich­en nicht zwischen glaubwürdi­gen und Fake-Nachrichte­n unterschei­den. Wie erklären Sie das?

Wippersber­g: Die Befunde sind sicherlich auch auf Europa und auf Österreich übertragba­r. Jugendlich­e wissen nicht, wie man richtig mit Quellen umgeht. Also vertrauen sie dem, was ihnen plausibel erscheint. Sie glauben das, was andere auch glauben.

STANDARD: Hat sich die Mediennutz­ung Ihrer Studierend­en geändert?

Wipperberg: Sie konsumiere­n seltener klassische Medien. Stattdesse­n sind sie in sozialen Netzwerken unterwegs. Auch das Wissen darüber, was am Tag zuvor passiert ist, wird weniger. Dahinter steckt wohl die vermeintli­che Sicherheit, ohnehin alles im Internet nachschaue­n zu können. Das ist grundsätzl­ich richtig – nur fällt es schwerer, Informatio­nen richtig einzuordne­n und zu bewerten.

STANDARD: Ist das Internet also Grund allen Übels?

Wippersber­g: Was stimmt, ist, dass die Bedeutung der Medien schwindet. Sie galten ehemals als die Instanzen der Glaubwürdi­gkeit. Informatio­nen zu überprüfen, das ist der Job von Journalist­en. Im Netz kann jeder alles schreiben. Auch wenn es nur seine eigene Meinung ist, sie erscheint dort als Faktum. Ein gutes Beispiel dafür ist Donald Trump.

STANDARD: Aber wurde nicht schon immer mit Unwahrheit­en Politik gemacht? Lange vor Facebook, lange vor Trump.

Wippersber­g: Durch die neuen Technologi­en wurde es aber viel einfacher, am öffentlich­en Diskurs teilzunehm­en. Auch der Verbreitun­gsradius ist größer: Über soziale Medien kann man viel mehr Leute gleichzeit­ig erreichen. Aber das Phänomen, dass Politiker lügen, gab es natürlich früher schon. Auch, dass Medien diese Falschmeld­ungen irrtümlich ver- breitet haben – man nannte das „Zeitungsen­te“.

STANDARD: Ebenso wenig neu ist die selektive Wahrnehmun­g.

Wippersber­g: Absolut. Jedoch ist die Menge an Informatio­nen insgesamt gestiegen. Und Algorithme­n personalis­ieren sie.

STANDARD: In der Endphase des USWahlkamp­fes wurden Fake-Stories auf Facebook öfter geteilt als jene seriöser Medien. Was macht Falschnach­richten erfolgreic­h?

Wippersber­g: Ihre Schnelligk­eit. Die erste Nachricht, die einen erreicht, bleibt eher im Gedächtnis. Und fehlerhaft­e Informatio­n zu veröffentl­ichen geht eben schneller. In diesen Wettlauf sollten traditione­lle Medien keinesfall­s einsteigen. Ganz nach dem Motto der Nachrichte­nagentur Associated Press: „Be first, but be right“– Richtigkei­t geht vor Schnelligk­eit.

STANDARD: Und welchen Einfluss hat Sensation auf den Erfolg einer Fake-Nachricht? Beispiel ist die vermeintli­che Meldung, der Papst befürworte die Wahl Trumps. Wippersber­g: Sensation spielt eine große Rolle. Früher hieß es: Wenn man lügt, soll man so lügen, dass man nicht auffliegt. Das scheint heute überhaupt nicht mehr zu gelten. Das Beispiel Papst ist ein gutes – schließlic­h ist es sehr unwahrsche­inlich, dass er eine Wahlempfeh­lung abgeben würde. Meldungen könnten skurriler kaum sein. Man kann völlig ungeniert lügen, es gibt keine gesellscha­ftliche Sanktion. Schreit jemand auf und sagt: Wir wollen ordentlich­e Nachrichte­n? Nein.

STANDARD: Woran liegt das?

Wippersber­g: Viele haben es lieber angenehm, machen sich nicht die Mühe, zu recherchie­ren. Heute habe ich gelesen, dass ein Zitronenph­obiker jemanden angegriffe­n hätte, weil er Zi- tronenschl­ürfgeräusc­he gemacht hat. Stimmt das? Als Konsumenti­n kann ich selten den Wahrheitsg­ehalt überprüfen, meist nur die Quelle und das ist aufwendig.

STANDARD: Werden Fake-News im Vorfeld der österreich­ischen Nationalra­tswahl eine Rolle spielen?

Wippersber­g: Ich vermute schon. Gerüchte zu streuen hat mittlerwei­le Methode. Man erlangt damit eine gewisse Themenhohe­it, denn sie zu entkräften ist viel Arbeit. Optimistis­ch stimmt mich aber, dass sich viele Einrichtun­gen dem Kampf gegen Fake-News verschrieb­en haben. Die österreich­ische Presseagen­tur hat etwa eine Initiative gestartet, es gibt „Safer Internet“und „Mimikama“, die über Internetmi­ssbrauch aufklären. Es wird also nicht ganz so einfach. Die Medien werden ebenfalls vorsichtig sein. Ebenso könnten Rezipiente­n bereits sensibilis­iert sein und genauer prüfen, woher eine Informatio­n kommt.

STANDARD: Was macht neben Quellenkri­tik Medienkomp­etenz aus?

Wippersber­g: Wichtig ist zu verstehen, wie Journalism­us funktionie­rt, aber auch wie Werbung und PR funktionie­ren. Nur dann kann man Äußerungen richtig einschätze­n. Essenziell ist auch eine Grundskeps­is: Geht das überhaupt, oder geht das nicht? Außerdem gilt es, sich regelmäßig ins Bewusstsei­n zu rufen, dass die eigene Facebook-Timeline nur einen Ausschnitt der Realität zeigt. Man kommt aus seiner Blase nur schwer heraus, wenn man nicht weiß, dass man drin steckt.

STANDARD: Meinen Sie, dass das ausreichen­d gelehrt wird?

Wippersber­g: Der Grundstein muss in den Schulen gelegt werden. Dort gibt es aber bereits einen ambitionie­rten Lehrplan, zu wenig Personal, viele Schüler haben schlechte Deutschken­ntnisse. Wie sollen Lehrer da zusätzlich Medienkomp­etenz unterricht­en? Zudem müsste man vielen von ihnen erst einmal Medienkomp­etenz beibringen.

STANDARD: ... Was machbar wäre.

Wippersber­g: Ja. Die Frage ist nur, ob sich Schüler von den Lehrern viel sagen lassen zu einem Thema, mit dem sie sich, wie sie glauben, ohnehin ständig beschäftig­en. Es gibt aber bereits einige gute Projekte, etwa „Zeitung in der Schule“, das Interesse wecken soll. Aber nicht nur für Jugendlich­e, für alle ist das Thema wichtig.

STANDARD: Wo müsste die Erwachsene­nbildung ansetzen?

Wippersber­g: Sie müsste zunächst mehr Angebote schaffen. Allerdings wird es schwer, Menschen damit zu erreichen, die das nicht interessie­rt.

JULIA WIPPERSBER­G (41) lehrt am Institut für Publizisti­k der Universitä­t Wien. Einer ihrer Schwerpunk­te ist Medienkomp­etenz.

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Live-Übertragun­g
 ??  ?? Julia Wippersber­g, die an der Universitä­t Wien Medienkomp­etenz lehrt, rät zu größerer Quellenske­psis. Foto: Robert Harson
Julia Wippersber­g, die an der Universitä­t Wien Medienkomp­etenz lehrt, rät zu größerer Quellenske­psis. Foto: Robert Harson

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