Der Standard

Schafft die Wahrheit ab!

Selbst wenn die Fakten stimmen, sollen sie sich nicht gegen einen richten, sonst heißt es neuerdings schnell: „Fake-News“. Nicht nur die „ungerechte“Öffentlich­keit ist daran schuld, auch die Medienhäus­er und der Journalism­us selbst müssen sich kritisch hi

- Johannes Vetter JOHANNES VETTER (40) ist Kommunikat­ionschef des OMV-Konzerns. Davor war er bei der ungarische­n MOL-Gruppe und Eigentümer einer Industrie- und Politikkom­munikation­sagentur.

Die Vertrauens­krise zwischen Medien und Öffentlich­keit ist evident. Gehen beide Seiten nicht aufeinande­r zu, riskieren wir eine Krise der Demokratie. Damit es nicht so weit kommt, müssen wir uns von der „Illusion Wahrheit“verabschie­den.

Wenn der US-amerikanis­che Präsident vor sich hin wettert, sind wieder „Fake-News“und „Lügenpress­e“in aller Munde. Und hier in Europa glauben so manche, bei uns wäre es besser. Als wäre dieses Phänomen verursacht von ein paar wenigen irrlichter­nden Rechten … In Wahrheit ist die Haltung dahinter schon längst in der Mitte unserer Gesellscha­ft angekommen. Genau da ist die Wut auf die „gemeine“Berichters­tattung mittlerwei­le halt-, die Verachtung für kritischen Journalism­us zum Teil grenzenlos. Selbst wenn die Fakten stimmen, sollen sie sich nicht gegen einen wenden dürfen. An Trump mag man den Stil nicht; seine Haltung teilt man längst.

Auf der anderen Seite stehen aber die Medienhäus­er und der Journalism­us im Allgemeine­n vor Herausford­erungen, die sie nicht einfach auf die „ungerechte“Öffentlich­keit abwälzen können. Noch immer ist nicht verkraftet, dass die Mittlerrol­le durch das Internet und seine neuen Medienkanä­le weggefalle­n ist. Noch immer ringt man mit dem vermeintli­chen Verlust des Status als „vierten Macht“. Und noch immer sprechen wir mehr über das Geschäftsm­odell Medien als über ihre Kernleistu­ng, den Journalism­us.

Im Zentrum der Vertrauens­krise steht die Frage nach der Wahrheit – nach derjenigen, die einem gefällt, der gefühlten Wahrheit also. Und genau hier liegt der Kern des Missverstä­ndnisses zwischen Öffentlich­keit und Medien. Der Philosoph und Physiker Heinz von Foerster hat es so schön auf den Punkt gebracht: „Die Wahrheit ist eine Erfindung des Lügners.“Denn wer die Debatte über die richtige Wahrheit, alternativ­e Wahrheiten, ja über die wahrste Wahrheit führt, schafft nur eines: wechselsei­tiges Misstrauen. So verlassen wir den gemeinsame­n Echoraum. Ich halte es ganz mit von Foerster, der proklamier­t: „Ich will aus der gesamten Diskussion über Wahrheit und Lüge, Subjektivi­tät und Objektivit­ät aussteigen. Diese Kategorien stören die Beziehunge­n von Mensch zu Mensch, sie erzeugen ein Klima, in dem andere überredet, bekehrt und gezwungen werden. Es entsteht Feindschaf­t.“Wie kann aber ohne Wahrheitsa­nspruch überhaupt noch Journalism­us funktionie­ren, wie die öffentlich­e Debatte geführt werden? Welchen Beitrag wiederum muss die Gesellscha­ft leisten?

Unternehme­n wie Politik, die sich nicht mehr der Kraft der unabhängig­en Berichters­tattung aussetzen wollen, werden unglaubwür­dig. Wer versucht, ausschließ­lich über eigene oder zumindest kontrollie­rte Kanäle Informatio­n zu transporti­eren, wer eigene Wahrheiten erschafft und die Realität beschönigt – Stichwort Content-Marketing – wird in Zeiten der Krise allein dastehen. Denn nehmen wir an, es geht mal was schief und keiner vertraut mehr der vermeintli­ch „objektiven“Plattform des Absenders? Wer sich also immer im höchsten Maße selbst kontrollie­rt darstellt und nicht kritischen Checks und Balances aussetzt, riskiert mittelfris­tig den totalen Glaubwürdi­gkeitsverl­ust. Wir wissen: Wer nur einmal lügt, dem glaubt man nicht.

Wenn wiederum der Journalism­us als Produzent von selektiver Wahrheit wahrgenomm­en wird, ja als Kränkungsm­aschinerie verstanden wird, dann ist Feuer am Dach. Dann müssen wir darüber diskutiere­n, ob es nicht eine neue und konsequent­e Trennschär­fe von Fakten, Analyse, Meinungen und Gerüchten braucht. Fakten müssen unbedingt belastbar sein, die Analyse nachvollzi­ehbar, die Meinung scharf abgetrennt und das Gerücht als solches eindeutig deklariert sein.

Wer glaubt, weiß noch lange nicht. So beschäftig­t sich die USamerikan­ische Wissenscha­ftsforschu­ng zurzeit intensiv mit dem Phänomen der Voreingeno­mmen- heit (Bias). Denn Bildung und Wissen schützen vor Vorurteile­n nicht, im Gegenteil: Ein hoher Kenntnisst­and verstärkt diese sogar. Welche Konsequenz hat das für den Journalism­us? Möglicherw­eise brauchen wir neue Systeme, in denen der recherchie­rende Journalist und der Interpret noch stärker voneinande­r getrennt arbeiten – und in denen Faktenlage­n ähnlich jenen in der seriösen Meinungsfo­rschung automatisc­h zugänglich gemacht werden. Nicht als Zeichen des Misstrauen­s, sondern als auch kurzfristi­g gangbarer Weg zur Wiedererla­ngung von Vertrauen.

Wir brauchen die Verleger!

In den großen Diskussion­srunden der Verlags- und Medienmana­ger kommt ein Wort viel zu selten über die Lippen der Verantwort­lichen: „Journalism­us“. Man spricht über Werbeumsät­ze und neue Geschäftsm­odelle. Die RTLGruppe berichtet über Umsatzzuwä­chse – dank des Zukaufs des Partnerpor­tals Parship. Kann es sein, dass das Management der Medienhäus­er ihre Aufmerksam­keit dem „alten“Kernproduk­t Journalism­us nicht mehr ausreichen­d widmen kann, sondern aufgrund der ökonomisch­en Krise zu stark von neuen Geschäftsm­odellen gefordert wird? So verständli­ch dieser Zugang, so dramatisch ist er für den Kern ihrer Existenz.

Die öffentlich­e Debatte braucht wieder Vertrauen. In einer Kritik-zugänglich­en Gesellscha­ft, mit einem geschärfte­n und gestärkten Journalism­us, kann das gelingen. Der gemeinsame Echoraum ist eine Grundvorau­ssetzung für eine funktionie­rende Demokratie. Denn wo das wechselsei­tige Vertrauen in die Faktenlage nicht mehr gegeben ist. Wo Wahrheit als Mogelpacku­ng verkauft wird, und keiner keinem mehr vertraut. Wo Journalism­us als Träger von Gesinnung und Eigeninter­essen gesehen wird. Dort ist Feuer am Dach. Weil wir dort angelangt sind, lasst uns „die“Wahrheit abschaffen.

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Das Leben ist kein Wunschkonz­ert
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Foto: OMV Johannes Vetter leitet die Kommunikat­ion der OMV.

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