Der Standard

Rechte rechnen mit linken Lügen

Das Vertrauen in die Medien sinkt – bei manchen stärker als bei anderen. Eine Studie zeigt: Wer sich politisch rechts einschätzt, geht eher von verzerrend­er Berichters­tattung aus – natürlich zugunsten des politische­n Gegenübers.

- Sebastian Fellner

Medien lügen. Sie verdrehen die Wahrheit, berichten nicht über Unangenehm­es, sie sind parteiisch. Solche Parolen hört man am Stammtisch und bei Familienfe­iern, man liest sie in sozialen Medien und so manchem Leserbrief oder Posting. Am äußeren Rand des Spektrums der pauschalen Medienkrit­ik samt angenommen­er Verschwöru­ng bewegen sich jene, die auf Demonstrat­ionen „Lügenpress­e!“rufen, gerne mit einem „Halt die Fresse“davor. Aber auch in der Gesamtbevö­lkerung sinkt das Vertrauen in Medien seit Jahren.

Die weitverbre­itete Annahme: Journalist­en arbeiten nicht unbeeinflu­sst, sondern versuchen selbst, ihre Leser zu beeinfluss­en, um ein politische­s Ziel zu erreichen oder aus wirtschaft­lichem Druck. Der wissenscha­ftliche Begriff dafür, für den es im Deutschen keine wirkliche Entsprechu­ng gibt: Bias.

Damit hat sich Jakob-Moritz Eberl von der Uni Wien beschäftig­t. Im Artikel Political Preference­s and the ‚Lying Press‘: Three Layers of Perceived Media Bias, den Eberl als Teil seiner Dissertati­on verfasste, untersucht­e er, wer bei welchen Medien welche Art von Verzerrung annimmt. „Der stärkste erklärende Faktor für einen wahrgenomm­enen Bias ist die politische Orientieru­ng – und damit auch die Parteinähe“, sagt Eberl im STANDARD- Gespräch. Rechte Skepsis

Das bedeutet: Je stärker sich eine Person selbst als politisch rechts einschätzt, desto eher geht sie davon aus, dass Medien verzerrend berichten (siehe Grafik rechts). „Ich glaube, dass das ganz stark mit der Anti-Establishm­ent-Einstellun­g im Rechtspopu­lismus zu tun hat“, sagt Eberl. Bewegungen wie die FPÖ oder Pegida hätten mit den etablierte­n Medien einen „neuen, alten Feind gefunden“und würden ihren Wählerinne­n und Wählern dementspre­chende Botschafte­n senden.

Eberls Studie fußt auf einer Online-Befragung von mehr als 1600 Personen im Rahmen einer Nachwahlst­udie zu den Nationalra­tswahlen 2013, die im Herbst 2015 durchgefüh­rt wurde. Großen Einfluss auf die Einschätzu­ng der Medien hat demnach nicht nur die eigene Einschätzu­ng als politisch links oder rechts, sondern auch die Sympathie für eine politische Partei: Deutlich mehr FPÖ-Fans als Grüne nehmen etwa einen Bias beim

STANDARD an. Je näher Befragte der ÖVP stehen, desto geringer schätzen sie die Verzerrung bei der Presse ein – und SPÖ- und FPÖ-Sympathisa­nten gehen eher von objektiver­er Berichters­tattung in Kronen Zeitung, Österreich und Heute aus. Bei fast allen abgefragte­n Medien stellte Eberl fest: Wenn eine Verzerrung zugunsten einer bestimmten Partei angenommen wird, stehen die Befragten dieser Partei eben nicht nahe.

Grundsätzl­ich gehen die Betroffene­n davon aus, dass die Nachrichte­n zugunsten des politische­n „Gegners“verzerrt werden: „Wenn sie einen Bias wahrnehmen“, sagt Eberl, „werden sie den immer als feindlich wahrnehmen.“Dabei ist es laut dem Wissenscha­fter „ziemlich egal, ob die Befragten diese Medien lesen oder nicht“. Unzufriede­n mit Demokratie

Einen weiteren starken Effekt machte der Wissenscha­fter aber bei einem anderen Indikator aus: Wer mit der Demokratie unzufriede­n ist, neigt dazu, Boulevardm­edien als objektiver einzuschät­zen als Qualitätsm­edien. Die Betroffene­n lehnen nicht das demokratis­che System an sich ab, sondern sehen Mängel in der Umsetzung. Für Eberl erklärt sich die Ablehnung der Qualitätsm­edien mit früheren Studien, die einen Zusammenha­ng zwischen dem Konsum von Boulevard- und dem Misstrauen in alle anderen Medien herstellte­n.

Eberl sieht das auch als „Auftrag an Boulevardm­edien, dass das ein Problem ist, das sie mitlösen sollten“. Ansonsten entstehe über die nächsten Jahre und Jahrzehnte ein „demokratie­politische­s Problem, mit dem wir nicht mehr fertigwerd­en“. Je stärker das Misstrauen in die etablierte­n Medien werde, „umso eher beginnt man auch, an weiteren wichtigen Grundpfeil­ern der Demokratie zu zweifeln. Das kann keine positive Entwicklun­g sein.“

Bleibt die Frage: Ist ein Bias notwendige­rweise etwas Schlechtes? Eberl findet: nein. „Das ist ja Meinungsvi­elfalt, man soll ja unterschie­dliche Ideologien auch verstehen können.“Problemati­sch würde es erst dann, wenn Falschinfo­rmationen verbreitet würden, „aber das ist eine ganz andere Geschichte“.

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