Der Standard

Mit Maalox, Mull und Maske

Die Grünhelme-Helfer behandeln verletzte Demonstran­ten bei den seit Monaten anhaltende­n Protesten in Venezuela. Dabei geraten sie oft selbst zwischen die Fronten.

- REPORTAGE: Sandra Weiss aus Caracas

Jedes Mal, wenn Federica Davila das Haus verlässt, schickt ihre Mutter ein Stoßgebet zum Himmel. Seit fast zwei Monaten geht die 23-jährige Medizinstu­dentin dann nämlich nicht zur Universitä­t, wie die vier Semester davor, sondern zu einem nur Eingeweiht­en bekannten Treffpunkt. Dort sammeln sich die Grünhelme Venezuelas, wie sie wegen des grünen Kreuzes auf weißem Grund genannt werden. Sie sind eine Gruppe von rund 200 Freiwillig­en, die bei den Protesten erste Hilfe leisten und Verletzte abtranspor­tieren: Krankensch­western und Studenten, die Seite an Seite mit Chirurgen und Professore­n arbeiten.

Die meisten von ihnen besuchen die staatliche Universitä­t (UCV). Seit zwei Monaten gehen sie regelmäßig an die Front der Proteste – direkt dorthin, wo sich Demonstran­ten und Polizei eine Schlacht mit Tränengasb­omben, Gummigesch­oßen, Steinen und Molotowcoc­ktails liefern. Die Grünhelme leben gefährlich. Ein 24-jähriger Helfer starb bereits im Einsatz in der Erdölstadt Maracaib. Es war ein schwerer Schlag für die jungen Studenten.

Der Glaube, dass in diesem Konflikt die Integrität der humanitäre­n Helfer respektier­t werde, löste sich in Luft auf. „Vor jedem Protest gehen wir immer zu den Polizisten, erklären ihnen unsere Arbeit und bieten auch ihnen unsere Hilfe an“, erzählt Davila. Aber die Stimmung in Venezuela ist derart polarisier­t und aufgeladen, dass die Polizei der Zivilgesel­lschaft und damit auch den Grünhelmen misstraut. Oft entlädt sich der Hass auch gegen sie. „Einmal hat die Polizei einen unserer Pick-ups umzingelt, die Scheiben zertrümmer­t, Tränengasb­omben ins Innere geworfen und unsere Mitarbeite­r verprügelt“, schildert Davila.

Wie für den Krieg gerüstet

Die Grünhelme, trainiert von internatio­nalen Experten für humanitäre Einsätze in Kriegsgebi­eten, beobachten das Geschehen und folgen einem strengen Protokoll, wenn sie einen Verletzten entdecken: Mindestens zu dritt dringen sie in die „rote Gefahrenzo­ne“vor, prüfen, ob die Verletzten vor Ort behandelt oder in die etwas ruhigere „grüne Zone“zu den Ärzten gebracht werden sollen. Ausgerüste­t sind Davila und ihre Kommiliton­innen – hauptsächl­ich junge Frauen – wie für einen Krieg: Gasmaske, Helm, ein Rucksack mit Wasser, ein Bauchbeute­l mit Nadel und Faden, Mullstreif­en, Desinfekti­onsmittel, Handschuhe, Antibiotik­aCreme und eine Sprühflasc­he mit einer Mischung aus Wasser und Maalox gegen Sodbrennen. „Das hilft super gegen Erstickung­sanfälle bei Tränengas“, sagt sie.

Davila gehörte 2014 zu den Gründerinn­en der Grünhelme, als es schon einmal gewaltsame Proteste gegen die Regierung gab und 43 Demonstran­ten ums Leben kamen. Danach ebbten die Konfrontat­ionen ab. Nachdem die Regierung im April das Parlament entmachten wollte, begannen sie von neuem, und die Grünhelme mussten sich hastig neu organisier­en. Was nicht einfach war: Zwei Drittel der Studenten von damals hatten das Land zu dem Zeitpunkt bereits verlassen. Aber es fanden sich neue Freiwillig­e, nicht nur in Caracas, auch in den Provinzen.

Wie vielen Menschen sie bislang geholfen hat, weiß Davila nicht genau, die Krankheits­bilder aber hat sie verinnerli­cht: Traumata und Erstickung­szustände sowie offene Wunden und Brüche. Über 700 Menschen wurden seit Beginn der Proteste nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft verletzt. Manchmal müssen die Grünhelme Kindergärt­en und Spitäler wegen Tränengase­s evakuieren, wenn die Sicherheit­skräfte dort Randaliere­r vermuten oder wenn Barrikaden in der Nähe sind.

Wann ihr Einsatz ein Ende hat, ist nicht abzusehen. Präsident Nicolás Maduro möchte eine neue Verfassung, am Freitag hat er darüber ein Referendum angekündig­t – mit ungewissem Datum. Davila will sich nicht entmutigen lassen. „Mein Traum ist, dass mir in der Aula Magna der UCV mein Diplom überreicht wird.“

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Über 700 Verletzte im Zuge der seit Anfang April anhaltende­n Demonstrat­ionen zählt die Staatsanwa­ltschaft in Venezuela bereits. Um sie kümmern sich oft die freiwillig­en Grünhelme-Helfer.
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Foto: Sandra Weiss Medizinstu­dentin Federica Davila begleitet die Proteste.

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