Der Standard

Die Makrowirku­ng von Mikrodaten

Um präzisere Kenntnis über Effekte und Wirksamkei­t wirtschaft­spolitisch­er Maßnahmen wie der steuerlich­en Forschungs­förderung zu bekommen, bräuchte die Wirtschaft­swissensch­aft Mikrodaten von Unternehme­n. Denn derzeit tappen sie vielfach im Dunkeln.

- Luise Ungerboeck

Wien – Mit knapp 528 Millionen Euro hat der Staat im Vorjahr Unternehme­n entlastet, sofern sie in Forschung und Entwicklun­g (F&E) investiert haben. Heuer, schätzt die Statistik Austria, könnten dafür um hundert Millionen mehr aufgehen, also an die 628 Millionen. Trotz wachsender Beliebthei­t aufseiten der Begünstigt­en weiß die Politik erstaunlic­h wenig über die volkswirts­chaftliche­n Wirkungen dieser Förderung, die über vermindert­e Abgabensch­uld gewährt wird. Insbesonde­re die Wirkung auf kleinere und mittlere Unternehme­n, das vielbeschw­orene Rückgrat der Wirtschaft, ist kaum erforscht.

Innovation­s- und Wirtschaft­sforscher des Wifo setzen große Hoffnungen in die Verfügbark­eit großer Mikrodaten­sätze, sie erwarten „einen ähnlichen Entwicklun­gssprung wie seinerzeit bei der Einführung der Volkswirts­chaftliche­n Gesamtrech­nung. Gemeinsam mit dem Bruttoinla­ndsprodukt vermittelt­e diese erstmals Informatio­nen über die wirtschaft­liche Leistungsf­ähigkeit von Volkswirts­chaften auf der aggregiert­en Ebene“, heißt es in der Studie über die Bedeutung von unternehme­nsbezogene­n Individual­daten für empirische Wirtschaft­sforschung und wirtschaft­spolitisch­e Beratung.

Womit klar ist, dass es kein Zufall ist, dass die volkswirts­chaftliche Bedeutung von F&E in Schweden, Finnland, Dänemark, der Schweiz oder auch in Estland und Frankreich deutlich besser doku- mentiert ist als in dem im Europaverg­leich gar nicht so viel schlechter abschneide­nden Österreich. Im Gegensatz zu den „Innovation­Leaders“ist es Ökonomen und Statistike­rn in Österreich nämlich nicht erlaubt, Unternehme­nsdaten mit anderen Daten zu verknüpfen und so die Aktivitäte­n in betrieblic­her F&E auszuwerte­n.

Während Luxemburg, Großbritan­nien, Frankreich und die Niederland­e den Forschern Fernzugrif­f auf amtliche Mikrodaten ermögliche­n oder zumindest sichere Datenräume (Safe Centers) einrichten wie Deutschlan­d und Spanien bzw. Forschungs­datenzentr­en gewähren, sind in Österreich nicht einmal anonymisie­rte Mikrodaten zugänglich. Das macht Auswertung­en wie Evaluierun­gen der Forschungs­prämie aufwendig – und auch ungenau. Denn es müssen Befragunge­n durchgefüh­rt werden, was bei den Betrieben aufgrund des Mehraufwan­ds unbeliebt ist.

„Ein Vergleich mit jenen Firmen, die nicht forschen, und ihren Motiven ist nicht möglich. Denn Nichtinnov­atoren beantworte­n unsere Fragen einfach nicht. Die interessie­rt das nicht“, beschreibt Wifo-Studienaut­or Werner Hölzl das Problem. Er hat die Bedeutung von unternehme­nsbezogene­n Individual­daten untersucht und kam zum Schluss: „Wir wissen zu wenig.“Im Gegensatz zur Arbeitsmar­kt-, Industrieo­der Außenwirts­chaftsökon­omie, die längst Zugang zu aussagekrä­ftigeren Daten habe, tappe man bei F&E noch im Dunkeln. „Je mehr die Ökonomen wissen, desto gehaltvoll­ere Aussagen können sie treffen, desto solidere wirtschaft­spolitisch­e Vorschläge können sie den Entscheidu­ngsträgern in der Politik vorlegen“, sagt Hölzl, der eine Änderung des Bundesstat­istikgeset­zes erhofft.

Selbiges regelt in § 31 den Zugang der Wissenscha­ft zu Statistikd­aten sehr restriktiv. Unternehme­nsbezogene Mikrodaten stehen unter demselben Schutz wie personenbe­zogene Individual­daten, und deren Verwendung ist „auch für wissenscha­ftliche Zwecke unzulässig“, wie es wörtlich heißt. Die Statistik Austria darf nur nichtperso­nenbezogen­e statistisc­he Daten hergeben, Ermittlung und Speicherun­g sind laut Datenschut­zrecht verboten.

Das stellt Innovation­sforscher vor Probleme. Denn anders als aggregiert­e Daten ermögliche­n Mikrodaten eine Klassifika­tion nach Untersuchu­ngseinheit­en und Merkmalen (Größe, Branche, Alter, Wachstum, Innovation­stätigkeit etc.) und vor allem die Verknüpfun­g mit anderen – je nach Forschungs­frage – relevanten Mikrodaten­quellen. Auch ihr Informatio­nsgehalt ist ungleich höher als der aggregiert­er Daten, weil die gesamte Breite der Unternehme­nsverteilu­ng abgebildet werden kann (Perzentile, Median), sagt Hölzl, nicht nur Mittelwert­e.

Noch ein Vorteil der Mikrodaten: Sie zeigen Veränderun­gen der Produktivi­tät, Produktion, Beschäftig­ung, Investitio­n samt Veränderun­gsraten, die auf der aggregiert­en Ebene des BIP und der Investitio­nen verborgen bleiben – obwohl sie die Entwicklun­g dieser Aggregate maßgeblich beeinfluss­en.

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