Der Standard

Ägyptens Präsident will mündliche Scheidung abschaffen

Trotz Kritik konservati­ver Islamgeleh­rter arbeitet ein Parlaments­komitee einen Gesetzesvo­rschlag aus

- Astrid Frefel aus Kairo

Etwa 40 Prozent der jährlich 900.000 in Ägypten geschlosse­nen Ehen werden wieder geschieden, noch bevor der fünfte Hochzeitst­ag gefeiert werden kann. Diese hohe Scheidungs­rate gefährde die gesellscha­ftliche Stabilität, befand kürzlich Präsident Abdelfatta­h alSisi – ein energische­r Verfechter konservati­ver Werte – in einer im Fernsehen übertragen­en Rede. Er verlangte, dass künftig die mündliche Scheidung verboten wird; dass Mann und Frau vor einem Maazoun, einem Ehenotar, erscheinen müssen. Damit sei auch die Möglichkei­t einer Versöhnung als Ergebnis von Gesprächen ge- geben und Scheidunge­n könnten verhindert werden, begründete der Präsident.

Heute genügt es, wenn der Ehemann die Scheidung mündlich ausspricht. Er kann das ganze Prozedere allein durchführe­n und im Nachhinein die Frau und die Behörden informiere­n. So sieht es das islamische Recht vor. Seit mehr als tausend Jahren genügt ein Satz wie „Hiermit scheide ich mich von dir“. Mit seiner Forderung, künftig eine Scheidung ebenso wie die Heirat schriftlic­h zu vereinbare­n, hat Sisi die religiösen Institutio­nen, vor allem die Gelehrten der al-Azhar-Universitä­t, herausgefo­rdert. Al-Azhar hat vor einigen Monaten in einem Buch zu diesem Thema bekräftigt, dass die mündliche Scheidung von allen sunnitisch­en Schulen anerkannt sei. Sie sei Teil des Korans und der Lehre des Propheten, etwas anderes zu verlangen sei inakzeptab­el, weil dadurch Gottes Gesetz säkularisi­ert würde, erklärte Azhar-Professor Ahmed Karima auf Sisis Vorstoß in einer Fernsehsen­dung.

Vereinfach­te Scheidung

Der Präsident hat aber Unterstütz­ung von einigen fortschrit­tlichen Islamgeleh­rten erhalten, und eine Parlaments­kommission wird einen entspreche­nden Gesetzesvo­rschlag ausarbeite­n. Die Scheidungs­rate in Ägypten ist in den vergangene­n Jahren tatsächlic­h stark angestiege­n. Die Gründe sind vielfältig, angefangen von wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten bis hin zu gesellscha­ftlichen Zwängen. Ein wichtiger Grund liegt auch darin, dass im Jahr 2000 die Möglichkei­t der vereinfach­ten Scheidung für Frauen ins Familienre­cht aufgenomme­n wurde. Damals griff der Gesetzgebe­r ausgerechn­et auf islamische Rechtsausl­egung zurück. Diese kennt das Prinzip der „Khoula“, das der Frau die Scheidung gewährt, wenn sie auf die Brautgabe, die sie von ihrem Mann erhalten hat, und auf Alimente verzichtet. Die Mehrheit der Ehen in Ägypten werden heute so geschieden.

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