Freihandel II: Angst ist ein schlechter Ratgeber
Sozialverträgliche Globalisierung braucht europäischen Input, keinen Protektionismus
Im STANDARD hat in den vergangenen Tagen eine wichtige Diskussion über Vor- und Nachteile von Protektionismus und Globalisierung begonnen. Der knappe in einem Kommentar zur Verfügung stehende Raum hat dabei zu Missverständnissen und Übertreibungen geführt. Dass Freihandel und Globalisierung grundsätzlich und im Durchschnitt positive Wirkungen haben, dass es aber auch Verlierer gibt, steht für alle Beteiligten außer Zweifel. Weniger klar ist, was mit den Verlierern geschehen soll, vor allem wenn wir „diese Freiheiten … auch in die Welt tragen“(Badinger et al.) wollen.
Inexistente Hand
Europa hat eine gute alte Tradition, pointiert formulierte Ideologien, die zumeist im angloamerikanischen Raum entwickelt wurden, sozial verträglich zu machen. Das beste Beispiel ist der Umbau des Laissez-faire-Kapitalismus, von dem Frank Hahn 1982 sagte: „Adam Smith meinte, dass das Marktsystem durch eine – unsichtbare – Hand gesteuert werde. Sie war seither unsichtbar, tatsächlich war keine Hand am Steuer.“Die unbefriedigende ausschließliche Steuerung durch die „invisible hand“des Marktes wurde in Europa ergänzt und modifiziert – in Form der sozialen Marktwirtschaft.
Exportmodell
Das begann schon um 1900, als man die Verlierer zunehmend durch Elemente der Sozialversicherung absicherte, und führte im weiteren Verlauf zu Arbeiterund Konsumentenschutz sowie zu einem ausgeprägten Wettbewerbsrecht. Und es gelang, dieses europäische Modell tatsächlich „in die Welt zu tragen“, wenn auch – leider – nicht in die ganze.
Ähnliches sollte Europa mit der seit den Sechzigerjahren von den USA propagierten Globalisierungsideologie machen. Die vier Freiheiten, Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr, die auch von der EU hochgehalten werden, dürfen keine Ziele an sich sein, sie müssen gesellschaftlich verträglich gestaltet werden. Es geht nicht an, im Sinn des freien Warenverkehrs Umweltschutz zu umgehen, indem die jeweiligen Industrien ausgelagert und die Produkte importiert werden. Es geht nicht an, im Sinn des freien Dienstleistungs- verkehrs den Datenschutz auszuhebeln. Es geht nicht an, unter Nutzung des freien Kapitalverkehrs Währungen solider Staaten zu schädigen – durch einen einzigen Spekulanten! Es geht nicht an, durch den freien Personenverkehr Sozialversicherungssysteme und Lohnstrukturen zu gefährden. Und noch weniger geht es an, unter dem Druck der Globalisierung ein gefährliches „race to the bottom“auszulösen, die Erosion von Standards, Unternehmenssteuern oder sozialen Leistungen unter dem Slogan: Wir können uns das nicht mehr leisten. Dabei verlieren alle.
Gute Ansätze
Es gilt zu diskutieren, welche der vier Freiheiten wann und in welchem Maß eingeschränkt werden sollten, wie die Zahl der jeweiligen Verlierer – national, aber auch international – verringert werden und wie die Verbleibenden entschädigt werden können. Dafür gibt es in (Kontinental-) Europa bereits gute Ansätze; sie müssen ausgebaut, systematisiert und in die Welt getragen werden. Renationalisierung und Protektionismus sind keine Antwort auf die gegenwärtigen Probleme. Protektionismus aus Angst vor der Kon- kurrenz mag für die USA mit ihrem traditionell hohen Handelsbilanzdefiziten noch irgendwie verständlich sein – obwohl angesichts der weltweiten Investitionen und Kapitalexporte des Präsidenten erstaunlich! –, nicht aber für Europa und für Österreich mit ihren Exportüberschüssen.
Österreich profitiert
Trotz unserer hohen Löhne profitieren wir von der Globalisierung dank unserer Spezialisierung; wenn die Billiglohnländer in Zukunft konkurrenzfähiger werden, werden sie auch kaufkräftiger und damit zugleich noch interessantere Kunden: Denn der Welthandel spielt sich überwiegend zwischen den Reicheren ab: Es dominiert der Handel mit Industrieprodukten zwischen Industriestaaten. Die Entwicklung eines europäischen Modells sozialverträglicher Globalisierung im Spannungsfeld von Renationalisierungsängsten und Lobbyismus der Multis ist keine leichte, aber eine lohnende Aufgabe und eine, die gut in die europäische Tradition passen würde.
GUNTHER TICHY war Professor für Volkswirtschaftslehre und -politik an der Uni Graz und ist Konsulent des Wifo.