Der Standard

Zäher Kampf gegen den Amtsschimm­el

Ein Grundsatzg­esetz verspricht, der Flut an Regulierun­gen für Unternehme­n Einhalt zu gebieten. Doch der Teufel steckt im Detail. Über Angst vor Geldstrafe­n für Schmutzwäs­che – und Rechtsunsi­cherheit.

- Verena Kainrath

Wien – In der Produktion eines Betriebs steht eine bewährte Rampe: Ihre Steigung entspricht nicht der Vorschrift, muss verlängert werden, ragt folglich in den Raum hinein und wird zum Stolperste­in. Ein Schlachtha­us erhält neue Fliesen: Der Arbeitsins­pektor will gerippte, um Mitarbeite­rn sicheren Tritt zu ermögliche­n; der Hygieneins­pektor besteht im Dienste der Virenbekäm­pfung auf glatte Oberfläche­n. Ein Tischler bezahlt Mitarbeite­rn eine Entschädig­ung dafür, dass sie ihre Arbeitskle­idung selbst reinigen – und wird prompt zu einer Geldstrafe verdonnert. Jede Schmutzwäs­che ist nämlich vom Unternehme­n zu waschen, so sehen es die Auflagen vor.

Reinhold Mitterlehn­er nennt deren Beispiele gern viele. 3600 Euro pro Mitarbeite­r wende jeder Betrieb in Österreich im Jahr für Bürokratie auf, rechnet der Vizekanzle­r und VP-Wirtschaft­sminister vor. 230 Stunden gingen dafür drauf, 5700 Melde- und Informatio­nspflichte­n gehörten bewältigt. Die Entbürokra­tisierung stehe auf der Wunschlist­e der Unternehme­r ganz oben, zumal sich im Zuge der Wirtschaft­skrise Druck aufgebaut habe. „Die Betriebe spüren die Belastunge­n nun noch intensiver.“

Mitterlehn­er kündigte daher am Dienstag gemeinsam mit VP-Klubobmann Reinhold Lopatka ein Grundsatzg­esetz an, das die Regierung im Februar beschließe­n werde. Der Verfassung­srang ist dafür nicht vorgesehen, auf gravierend­e Kulturände­rung hofft er dennoch. Wie im Arbeitspro­gramm mit der SPÖ vorgesehen, soll künftig eine alte Regulierun­g oder Förderung aufgehoben werden, sobald eine neue in Kraft tritt. Neue Gesetze sollen über einen befristete­n Zeitraum erlassen werden – Mitterlehn­er spricht von fünf Jahren. Bei der Umsetzung von EU-Recht will er überschieß­ende Auflagen vermeiden. Zudem sollen Behörden von Bagatellfo­rderungen in Höhe von ein, zwei Euro absehen – also von Strafen, für die der Aufwand das Schadensau­smaß übersteigt.

Auch das Kumulation­sprinzip, Verwaltung­sstrafen, die sich multiplizi­eren, steht auf der Agenda. Verbesseru­ngen für Betriebe rund ums Arbeitnehm­erschutzge­setz will Mitterlehn­er in den nächsten Wochen näher benennen. Das alles jedenfalls sei mit dem Koalitions­partner SPÖ akkordiert.

Was Christoph Matznetter, SPWirtscha­ftsspreche­r, so bestätigt, wobei der Teufel, wie er sagt, im Detail liegt. Exekutione­n etwa, die bei Ausständen von fünf Euro eingeleite­t werden, bezeichnet er geradezu als kafkaesk. Dass aber ein Betrieb mit hunderten Mitarbeite­rn bei Verwaltung­sstrafen nicht wie ein Unternehme­n mit einem einzigen Angestellt­en behandelt werden dürfe, liege auf der Hand. „Auch beim Gold-Plating von EURichtlin­ien werden uns viele Diskussion­en nicht erspart bleiben.“

Christoph Klein macht zahlreiche weitere heikle Punkte aus. Der Plan, neue Regulierun­gen zeitlich zu befristen, sei nur teils sinnvoll, sagt der Direktor der Arbeiterka­mmer Wien. Letztlich drohe massive Rechtsunsi­cherheit: Jede nachfolgen­de Regierung könne sich so mühsam errungener Kompromiss­e entledigen, ohne nur einen Finger rühren zu müssen, warnt er.

Eine Orientieru­ng an EU-Mindeststa­ndards führe im Extremfall dazu, dass Österreich gleiche Arbeitszei­tregeln wie Rumänien habe. Eine neue Giftstoffv­erordnung könne jemanden auf die Idee bringen, andere Gifte aus der Liste der verbotenen Stoffe zu streichen. Und die geplante völlige Abschaffun­g des Kumulation­sprinzips bedeute, dass Arbeitgebe­r Vergehen, die unzähligen Mitarbeite­rn schaden, praktisch aus der Portokasse bezahlen. „Wir sind gesprächsb­ereit“, betont Klein, „aber Automatism­en wären hier fatal.“

„Viel Theaterdon­ner“

Bernhard Achitz, leitender Sekretär des ÖBG, spricht angesichts der groß angekündig­ten Bürokratie­bremse von „viel Theaterdon­ner um nichts“. Er hält es für einen wesentlich klügeren Schritt, die verschiede­nen Landesgese­tze zu vereinheit­lichen. Gesetze generell zu befristen führt seiner Meinung nach zu einem „neuen Bürokratie­wahnsinn sonderglei­chen“.

Sabine Jungwirth, Bundesspre­cherin der Grünen Wirtschaft, vermisst bei Mitterlehn­ers Kampf gegen den Amtsschimm­el konkrete Details. „Es gibt nur viele Überschrif­ten und den Versuch, komplexe Probleme simplifizi­ert darzustell­en.“Diese ließen sich aber nicht mit einem Federstric­h lösen.

Ab März startet der Parlaments­klub eine virtuelle Bürger-Box. Die ÖVP werde Anliegen sammeln und sich in Manier eines Ombudsmann­s um nötige Änderungen bemühen, verspricht Lopatka.

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Bei manchen Bestimmung­en hört man den Amtsschimm­el förmlich wiehern. Nun soll er leiser werden.

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