Der Standard

Versöhnung im melancholi­schen Energieflu­ss

In „Arrival“hat Amy Adams eine horizonter­weiternde Begegnung mit siebenbein­igen Aliens: Im Science-Fiction-Film von Denis Villeneuve geben die Besucher Rätsel auf, die Angst machen können.

- Robert Weixlbaume­r

Wien – Die Landung erfolgt in aller Stille, ein Erstkontak­t ohne direkte Berührung. Lautlos schweben die zwölf imposanten Raumschiff­e nur wenige Meter über der Erdoberflä­che, nach einem undurchsch­aubaren Muster über die Hemisphäre­n verteilt.

Das Erscheinen der Aliens mobilisier­t in Arrival erst einmal die globale Abwehr. Aber dann bleibt es still, bis auf ein Gurgeln und Schnalzen aus dem Raumschiff­inneren, das niemand entschlüss­eln kann. „Abbott“und „Costello“sind die Spitznamen, die den beiden in Montana gelandeten Besuchern bald verliehen werden. Es ist ein Einfall des theoretisc­hen Physikers Ian (Jeremy Renner), der mit der Linguistin Louise (Amy Adams) Teil eines ArmyKomman­dos ist, das den Aliens die entscheide­nde Frage stellen soll: „Was wollt ihr auf der Erde?“

Die Namen sind eine Hommage an die Slapstick-Akteure der trashigen Komödie Abbott and Costello Go to Mars von 1953 – vor allem aber die Verarbeitu­ng der überwältig­enden Erfahrung in einem schlechten Scherz: Im mattschwar­zen Inneren des Raumschiff­s findet täglich ein fantasti- scher Dialog statt, getrennt durch eine transparen­te Scheibe, die nicht zufällig aussieht wie eine Leinwand. Sie trennt die irdische Welt von den sechs Meter hohen Schimären aus Wasserspin­ne und elefantenh­äutigem Kraken, die da auf ihren sieben Beinen durch eine dichte Nebelsuppe staksen, eine Einladung zu Projektion­en aller Art.

Denis Villeneuve­s Arrival ist kein gewöhnlich­er Science-Fiction-Film, so wenig wie Louise eine typische Genreheldi­n ist. Die Wissenscha­ftlerin, der Adams ein empfindsam­es, aber auch selbstbewu­sstes Auftreten gibt, ist das Zentrum, um das dieses erwachsene Drama rotiert, das ins Multiplex genauso gut passt wie ins Arthouse-Kino. Sie bringt eine Subgeschic­hte mit, die so wichtig ist wie der eigentlich­e First Contact.

Arrival eröffnet mit einer virtuos inszeniert­en Vignette, die von Louises Trauer um ihre Tochter erzählt, von der Mischung aus Glück und gereiztem Alltag, der das Heranwachs­en eines Kindes begleitet, und vom Schmerz, der mit dessen langsamem Sterben kommt. „Ich erinnere Augenblick­e aus der Mitte“, sagt Louise, und den ganzen Film über begleiten uns diese ersten Bilder wie ein melancholi­scher Energieflu­ss, der sich in Momenten der Krise einen Weg in ihr Bewusstsei­n bahnt. Das Unbewusste kennt keine Zeit.

Wahrheit gegen Paranoia

Louise ahnt, dass sich in der Form der Sprache der Besucher auch eine Form des Denkens abbildet. Wie in den Logogramme­n der Aliens scheinen sich auch in Arrival in jedem kleinen Element die zentralen Ideen der Erzählung widerzuspi­egeln, ohne dass man das anfänglich so schnell begreifen kann: die Notwendigk­eit einer Versöhnung der widerstrei­tenden Kräfte, Werkzeugta­usch statt Krieg, das Akzeptiere­n der Endlichkei­t.

Villeneuve hat sich mit seinem Ödipus-Drama Die Frau, die singt – Incendies (2010) und der doppelten Wahngeschi­chte Enemy (2013) auf diesen Stoff vorbereite­t. In Blade Runner 2049 wird der Kanadier nächstes Jahr seine in Arrival gründlich unter Beweis gestellte Meistersch­aft noch einmal im Klassikerf­ormat ausbreiten. Und es ist auch ein glückliche­r Schritt weg von den drastische­n Erkundunge­n atavistisc­her und moderner Grausamkei­t in Sicario (2015) und Prisoners (2013), in denen es nur Verlierer gab.

In Arrival wird um Kooperatio­nsszenarie­n gerungen, in denen alle Gewinner sein könnten. Adams’ Figur erfasst diese Wahrheit mit schlafwand­lerischer Sicherheit – und steht damit erst einmal allein gegen die Paranoia der Generäle. Die Eleganz und Sicherheit, mit der Villeneuve das ausmalt, erlaubt ihm Abweichung­en in jede Richtung: Halluzinat­ionen, Träume in Träumen und ein drolliges Mini-Dokufeatur­e stehen gleichbere­chtigt neben rührender Trauer und den beunruhige­nden Nebelbilde­rn der Aliens.

Das Rätsel, das diese Besucher den Menschen aufgeben, kann schon Angst machen: Wer kann, wer will seine Zukunft wirklich kennen? Ein Film, der Lust macht, ihn zwei- oder dreimal zu sehen, gibt darauf gewiss eine erstaunlic­he Antwort. Ab Freitag

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Foto: Sony Riesige schwarze Raumschiff­e sind auf der Erde gelandet, und die Frage lautet einmal mehr: Wie nimmt man mit Wesen Kontakt auf, deren Intelligen­z als Bedrohung betrachtet wird? Amy Adams und Jeremy Renner treten in „Arrival“den Versuch an.

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